VIDEO: Demonstration gegen Rechtsextremismus in Hamburg (3 Min)

NS-Zeitzeugen mahnen: "Es ist immer leicht, nach rechts zu gehen"

Stand: 22.01.2024 10:34 Uhr

Auf einem Treffen von AfD- und CDU-Politikern mit Rechtsextremen sind Pläne zur Ausbürgerung von Menschen mit Migrationsgeschichte erörtert worden. Protest formiert sich. Schon lange warnen Holocaust-Überlebende vor rechtsextremen Tendenzen.

von Jochen Lambernd

Das Treffen in Potsdam hat bundesweit für Empörung gesorgt. In ganz Deutschland gehen derzeit Zigtausende Menschen auf die Straße, um sich zur Demokratie und gegen Rechtsextremismus zu bekennen. Auch ein Verbotsverfahren gegen die AfD wird derzeit diskutiert.

Fähnchen mit dem Logo der AfD liegen auf einem Tisch. © dpa picture alliance Foto: Daniel Karmann
AUDIO: Recherche über rechtsextreme Verbindungen der AfD auf der Bühne (4 Min)

Bereits in der Vergangenheit haben sich Überlebende und Zeitzeugen des Holocaust mahnend und kritisch zum Wiederaufflammen rechtsextremer und rassistischer Tendenzen in Deutschland geäußert. Die Holocaust-Überlebende Margot Friedländer sagte Ende 2023 über wachsenden Antisemitismus: "So hat es damals auch angefangen." Was damals war, lasse sich nicht ändern. Aber: "Es darf nur nie wieder geschehen. Es ist in eurer Hand, dass ihr vorsichtig seid."

Anita Lasker-Wallfisch: "Langweilig, wenn alle Menschen gleich wären"

Holocaust-Übelebende Anita Lasker-Wallfisch (hier während einer Gedenkstunde des Bundestags an die Opfer des Nationalsozialismus am 31.01.2018)  Foto: Wolfgang Kumm
"Wir sind alle Menschen", betont Anita Lasker-Wallfisch.

Weitere Zeitzeugen des Holocausts, die immer wieder kritische Töne gegen den Rechtsextremismus angeschlagen haben, sind Anita Lasker-Wallfisch, Irene Butter und Sally Perel. Lasker-Wallfisch hat die Konzentrationslager Auschwitz und Bergen-Belsen überlebt. 2020 äußerte sie sich in einem NDR Interview anlässlich des 75. Jahrestags der Befreiung von Bergen-Belsen über ihre Vergangenheit.

"Man muss erst einmal akzeptieren, dass wir alle Menschen sind, die auf zwei Beinen herumlaufen. Und dass es vollkommen gleichgültig ist, ob man zufällig - denn es ist ein kompletter Zufall - als Jude, als Zigeuner oder als jemand anders geboren wird", sagte sie. Das könne man nicht auswählen. Aber man könne auswählen, wie man sich anderen Menschen gegenüber benimmt. 

"Man muss sein Gehirn anstrengen"

"Wenn alle Menschen gleich wären - so wie damals die Deutschen gemeint haben, alle müssten blond und blauäugig sein -, wäre es stinklangweilig auf dieser Welt." Ihr sei es wichtig, der Jugend einzubläuen, dass man Respekt vor Menschen hat. Die Frage, ob man jüdisch oder christlich ist, sei vollkommen nebensächlich. Lasker-Wallfisch ergänzte: "Die Menschenwürde soll erhalten bleiben - und nicht, dass sich jemand einbildet, dass er besser ist als ein anderer. Man hat ja gesehen, wozu das führt. Leider zeigt die Tendenz wieder sehr in diese schlechte Richtung."

Sie begegne einer solchen Entwicklung mit großer Angst. "Es ist immer sehr leicht, nach rechts zu gehen. Um nach links zu gehen oder in der Mitte zu bleiben, muss man sein Gehirn anstrengen - und das tun wenige Leute. Es ist ein Skandal, dass da wieder so eine Partei aufgeblüht ist."

Irene Butter: "Sei niemals ein Mitläufer"

Irene Butter am Grab ihres Vaters in Laupheim © NDR / John Bidwell Foto: John Bidwell
Irene Butter hat aus ihrem Leben mehrere Lehren gezogen, die sie an andere vermittelt.

Die Holocaust-Überlebende Irene Butter sprach 2022 in einem NDR Podcast eindrucksvoll über ihr Leben gesprochen. Seit mehreren Jahren berichtete sie unter anderem an Schulen über ihr Schicksal. Ihre Erzählungen verbindet Irene Butter - am 11. Dezember 1930 in Berlin geboren - mit Botschaften an ihr Publikum: Was gibt uns diese Zeit mit? Was können wir aus ihr lernen?

Aus ihrer eigenen Geschichte habe sie mehrere Lehren gezogen, sagte sie: Sei niemals ein Mitläufer. Bedenke bei allem, was du tust oder nicht tust, dass jeder Mensch etwas bewirken kann. Quäle keine Menschen, unterdrücke niemanden, diskriminiere niemanden, gebe jedem eine Chance, so anders er auch sein mag. Und lass dich niemals gegen andere aufhetzen. "Denn vielleicht haben diese anderen Menschen eine Geschichte zu erzählen, die viel mehr mit dir selbst zu tun hat, als du es dir vorstellen kannst", sagte sie.

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Porträt des NS-Überlebenden Salomon "Sally" Perel © picture-alliance/dpa Foto: Marijan Murat
"Ich war Hitlerjunge Salomon" ist die Autobiografie von Sally Perel.

Sally Perel, Sohn eines Rabbiners, war gebürtiger Deutscher. Zur Welt kam er am 21. April 1925 im niedersächsischen Peine. Weil er seine jüdische Herkunft verschleierte und sich als "Volksdeutscher" ausgab, überlebte er den Holocaust. Seine Autobiografie "Ich war Hitlerjunge Salomon" ist weltbekannt. Unermüdlich setzte sich Perel gegen Antisemitismus und Rassismus sowie für Respekt und Toleranz ein.

Es sei die Pflicht eines Überlebenden aufzuklären - vor allem Kinder und Jugendliche: "Ein junges Hirn kann man schnell vergiften." Es seien die jungen Jahre, in denen der menschliche Charakter geprägt wird - und Rechtsradikale und Neonazis versuchten durch Propaganda in Schulen gezielt, Kinder und Jugendliche zu beeinflussen. Setzten diese sich aber intensiv mit Toleranz und Respekt auseinander, sei die Gefahr viel geringer, empfänglich für die Ideen des Nationalsozialismus zu sein, zeigte sich Perel überzeugt.

Dem "Spiegel" sagte er 2018 über den Aufstieg der AfD: "Ich habe Ähnliches als Kind in der Weimarer Republik erlebt, und das fängt genauso wieder an." Mit seiner Geschichte könne er etwas dazu beitragen, das die Jugend widerstandsfähiger mache gegen den aufkeimenden Neonazismus. Sein Appell: "Man muss wachsam sein und etwas dagegen tun. Nicht mit Gewalt - ich glaube, mit Gewalt erreicht man immer das Gegenteil. Aber wenn die sagen, 'Wir sind das Volk'. Dann muss man sagen: 'Nein. Wir sind das Volk'."

Sally Perel starb am 2. Februar 2023 in Israel. Er wurde 97 Jahre alt.

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Dieses Thema im Programm:

NDR Info | 19.01.2024 | 16:00 Uhr

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