Protest gegen rechts: "Wir müssen nachhaltig laut sein"
Die Hamburgerin Aster Oberreit ist in Eritrea geboren. Sogenannte Remigrationspläne von Rechtsextremen machen ihr Angst. Sie hofft, dass es die Gesellschaft jetzt nicht bei bloßer Empörung belässt.
Die 45-jährige Oberreit engagiert sich mit dem Verein We. A.R.E. in Hamburg ehrenamtlich für frühkindliche antirassistische Bildung und studiert "Diversity Management". Im Alter von vier Jahren floh sie mit ihrer Familie vor dem Bürgerkrieg in Eritrea nach Deutschland. Sie hat schon in der vergangenen Woche an der Demonstration gegen rechts in Hamburg teilgenommen und will auch heute Nachmittag am Jungfernstieg dabei sein, wo die Großkundgebung "Hamburg steht auf - gegen Rechtsextremismus und neonazistische Netzwerke" stattfinden soll. Im NDR Interview sagt sie, nach dem Bekanntwerden der "Remigrationspläne" von Rechtsextremen würden in ihrer Community viele gedanklich schon ihre Koffer packen.
Frau Oberreit, was haben Sie gedacht, als Sie von der "Correctiv"-Recherche zu einem Geheimtreffen von AfD-Funktionären mit Rechtsextremen erfahren haben?
Aster Oberreit: Überrascht war ich nicht. Die Radikalität der AfD habe ich schon länger ernstgenommen. Die Äußerungen sind nichts Neues, nur dass sie jetzt ganz konkret die Zielgruppe benennen. Dass die Partei bald an der Regierung beteiligt sein könnte, das macht natürlich Angst.
Was denken Sie über die derzeit laufende Protestwelle gegen die AfD?
Oberreit: Ich habe mich schon lange gefragt, was passieren muss, damit die Bedrohung, die von der AfD ausgeht, nicht nur von direkt Betroffenen gesehen wird. Und wann sich Demokratie wehrhaft zeigt.
Sie sind in Eritrea geboren. Wie geht es Ihnen persönlich mit den Enthüllungen über Pläne von Rechtsextremen, Millionen Migranten auszuweisen?
Oberreit: Es ist ambivalent. Mal denke ich: Was mache ich im Fall der Fälle, wenn mein Leben und das Leben meiner Tochter bedroht ist? Wie können wir uns schützen, welche Möglichkeiten haben wir eigentlich? Aus der Community höre ich auch: Man muss sich vorbereiten, seinen Koffer schon gepackt haben. Aber da sage ich: Das ist ja ein Privileg. Wer hat schon die Möglichkeit zu gehen, überall hin zu können, wo er hin möchte? Aber klar, ich unterhalte mich mit meinem Partner regelmäßig darüber, was man machen kann. Ich begegne durch meine Arbeit vielen Menschen, die sich in diesem Kontext bewegen - und die Ängste sind ähnlich.
Was löst es in Ihnen aus, wenn im Zusammenhang mit diesen bekannt gewordenen rechtsextremen Plänen von "Remigration", also von Deportationen, gesprochen wird?
Oberreit: Das ist Rhetorik, die in die Mitte der Gesellschaft getragen wird und sich etabliert. Ich würde mir wünschen, dass sich die Menschen dessen bewusst sind und nicht reinfallen auf pseudo-akademische Begrifflichkeiten für perfide Dinge.
Glauben Sie, dass diese Protestwelle, die wir jetzt erleben, anhalten wird?
Oberreit: Ich habe die Sorge, dass es bei einem kurzen Aufschrei und bloßer Empörung bleibt. Aber das können wir uns eigentlich nicht erlauben. Das erzeugt keine Veränderung. Wir müssen jetzt nachhaltig laut sein und Haltung zeigen.
Was können Menschen tun, die nicht auf die Straße gehen wollen?
Oberreit: Es gibt ganz viele Organisationen, die seit Jahren wertvolle Arbeit zur Stärkung des gesellschaftlichen Zusammenhalts leisten. Die benötigen immer finanzielle Unterstützung. Man kann auch im Kleinen wirken. Laut sein bedeutet nicht immer, nur sichtbar zu sein. Man kann bei FreundInnen und NachbarInnen ebenfalls wirken, die Thematiken diskutieren und Wissen weitergeben. Das ist auch eine Form des Lautseins und der Beteiligung.
Warum sollten sich die Menschen gerade jetzt engagieren?
Oberreit: In diesem Jahr stehen ganz viele Wahlen an. Die Entwicklungen zeigen, dass das rechte Lager ganz viel Zulauf hat. Wenn man aufklären kann, wenn man sich dagegenstemmen kann, muss man es jetzt tun. Wenn die Partei mit solchen Ideen erst mal an der Regierung beteiligt ist, sehe ich die Demokratie gefährdet und das Leben, so wie wir es kennen. Nicht nur das Leben der Betroffenen. Wenn wir in die Vergangenheit blicken: Bei wem fängt es an, wo hört es auf? Vielleicht zitiere ich an dieser Stelle Desmond Tutu, und das ist letztendlich als Appell an alle Menschen zu verstehen: "Wenn man in Situationen von Ungerechtigkeit neutral ist, dann hat man sich für die Seite des Unterdrückers entschieden."
Wie sehen Sie die Debatte um ein mögliches Verbotsverfahren gegen die AfD?
Oberreit: Ich glaube nicht, dass ein Verbot die Antwort ist. Die Antwort auf die AfD hätte viel früher kommen müssen, gerade von etablierten Parteien. Wenn ich insbesondere die Diskurse der letzten Jahre verfolge, da sind die über jedes Stöckchen gesprungen, das die AfD hingehalten hat - und finden selber keine Antworten auf bestehende Probleme. Es gilt jetzt, nicht parteipolitische Interessen zu verfolgen, sondern ernsthaft an den Problemen gemeinsam zu arbeiten und Veränderungen zu schaffen. Und dann erreicht man auch die Menschen, die man erreichen will.
Der Impuls für die Protestwelle kommt aus einem breiten gesellschaftlichen Bündnis. Wie bewerten Sie das?
Oberreit: Das gibt mir auf jeden Fall Hoffnung. Ich hoffe auch, dass diese Menschen nicht sofort müde werden oder glauben, nur weil viele andere auch draußen sind, dass es nicht notwendig ist, draußen zu sein. Ich würde mir auch wünschen, dass alle Menschen, die die AfD aus Trotz wählen, das kindliche Getue zur Seite schieben und die Ernsthaftigkeit dieser Tat begreifen. Ich hoffe, dass alle, die es bisher nicht für notwendig erachtet haben zu wählen, wählen gehen. Und ich würde mir wünschen, dass sich alle Menschen mit Rassismus auseinandersetzen und anerkennen, dass wir vielfältig sind und wunderbar zusammenleben können. Und dass für jeden und jede hier Platz ist und wir einander bereichern.
Das Interview führte Julia Freistedt.