Sonja Anders: "Wir sind in Hannover weit gekommen"
Bevor Sonja Anders 2025 die Nachfolge von Joachim Lux am Hamburger Thalia Theater antritt, gestaltet sie noch eine Saison als Intendantin am Schauspiel Hannover. Ein Gespräch mit ihr über Abschied und Neuanfang.
Frau Anders, Sie werden nicht, wie Joachim Lux, 16 Jahre ein Theater geleitet haben, wenn Sie im kommenden Jahr nach Hamburg aufbrechen, Sie waren "nur" sechs Jahre in Hannover. Mit welchen Gefühlen gehen Sie in die nächste, die letzte Spielzeit?
Sonja Anders: Ich gehe mit viel Vorfreude in die letzte Spielzeit, weil man natürlich niemals fertig ist. Wir sind immer ein Prozess, und wir sind hier in Hannover weit gekommen. Gleichzeitig gibt es gerade so viele Themen, die brennen. Das muss ich Ihnen nicht erzählen. Das fängt bei der Politik an und hört aber auch bei so ganz kleinen, oftmals auch feministischen oder diverseren Themen auf - und wenn man genau ist, hört es auch nicht auf.
Heute haben Sie ihre Pläne vorgestellt. Schaut man sich die Premieren an, entsteht der Eindruck, Sie setzen, was Namen und Stoffe angeht, auf Kontinuität: Stefan Kimmig wird wieder inszenieren, ein Regisseur, der Sie seit vielen Jahren begleitet, auch Stefan Pucher und Lilja Rupprecht.
Sonja Anders: Zum einen haben wir wirklich auf Kontinuität gesetzt. Ich glaube, das ist auch im Sinne der Nachhaltigkeit sinnvoll. Auf der anderen Seite haben wir mit Hakan Savaş Mican einen ganz neuen Regisseur, auch Emre Akal wird hier inszenieren und Luise Voigt, die jetzt Furore in Düsseldorf und Weimar mit ihren Inszenierungen gemacht hat, also es kommen auch noch mal neue dazu, das haben wir eigentlich immer so gehandhabt. Ich freue mich wirklich sehr auf diese Mischung.
Jorinde Dröse bringt wieder einen Roman von Mareike Fallwickl als Uraufführung heraus: "Und alle so still". "Die Wut, die bleibt" war in dieser Spielzeit ein großer Erfolg, wanderte sogar von der kleinen Bühne ins große Haus. Dort findet die Uraufführung von "Und alle so still" jetzt gleich statt. Es ist schon eine Entdeckung, oder?
Anders: Total. Ich finde diese Autorin und die Regisseurin gemeinsam so etwas wie so ein Gegenwartsdenken und -fühlen bei uns kreiert haben. "Die Wut, die bleibt" ist eine Inszenierung, die immer noch rappelvoll ist. In der die Menschen aufspringen und weinen und schreien und begeistert sind, also maximale Empathie im Raum ist. Ich hoffe natürlich sehr, dass "Und alle so still" einen ähnlichen Nerv trifft. Es ist in jedem Fall ein Thema, mit dem wir uns beschäftigen müssen. Es geht um Care-Arbeit, es geht um die Erschöpfung der Care-Arbeitenden, aber es geht auch um eine Form der Solidarität. Wie finden wir uns eigentlich zusammen? Und was passiert eigentlich, wenn wir unser Prinzip der Ausbeutung einmal nicht mehr weiterspielen?
Frauen spielen generell eine wichtige Rolle. Das Ensemble ist in Hannover paritätisch besetzt, sonst sind die Männer in der Regel immer noch in der Überzahl. Viele Regisseurinnen drücken dem Haus ihren Stempel auf. Welche Erfahrungen nehmen Sie mit aus Hannover, die Ihnen auch in Hamburg von Nutzen sein können - Sie kennen das Thalia Theater bereits gut, während der Intendanz von Ulrich Khuon haben Sie dort als Dramaturgin gearbeitet.
Anders: Ich kenne die Stadt sowieso. Ich bin ja auch in Hamburg geboren. Ich freue mich auch sehr auf diese Rückkehr, weil ich die Stadt als sehr lebendig und kraftvoll, aber auch sehr zerrissen empfinde. Und ich glaube, das ist ja die Chance fürs Theater. Schlussendlich wollen wir ja diese Bruchstellen aufsuchen und irritieren und dann auch wieder vereinen. Und dieses Thema des Gegenwärtigen, das werde ich sicherlich auch nach Hamburg tragen. Gleichzeitig stehe ich für eine gewisse Form der Offenheit und Diversität. Diversity kam ja ursprünglich über die Erkenntnis, dass alle gemeinsam am stärksten sind. Da freue ich mich sehr auf so eine offene Stadt wie Hamburg. Da kann man sich ja auch viel verwirklichen und auch in den Betrieb noch mal anders reingucken. Das ist auch so etwas, was ich mir hier Hannover zu eigen gemacht habe, dass wir doch auch transformieren und diese Transformation dann im Grunde auch weiterreichen an das Publikum.
Es gibt schon jetzt Überschneidungen im Programm von Thalia Theater und Schauspiel Hannover: An beiden Theatern wird in der kommenden Spielzeit "Asche" von Elfriede Jelinek zu sehen sein. Der Regisseur Emre Akal arbeitet hier wie dort - gibt es eine Verwandtschaft zwischen den Häusern? Könnte man das so nennen?
Anders: Ich denke, Joachim Lux hat ja nicht nur, was die Zahlen angeht, sondern auch, was die Inhalte angeht, wirklich große Arbeit geleistet. Und natürlich haben wir Überschneidungen, das will ich gar nicht verleugnen und gleichzeitig haben wir sicherlich auch Kontinuitäten. Also ich werde auch Sachen fortführen, die Joachim Lux gut angelegt hat. Da wäre ich ja dumm, wenn ich alles neu erfinden will. Es muss einen Bruch geben, ganz sicher. Ich würde auch sagen im Künstlerischen allemal. Was das Publikum angeht, freue ich mich auch wirklich sehr auf die Menschen, die dann zum Beispiel Emre Akal schon kennengelernt haben oder andere Regisseurinnen.
Was werden Sie besonders in Hannover vermissen?
Anders: Hannover ist eine viel wärmere Stadt, als man denkt und das nicht nur klimatisch, da fürchtet man sich ja eher vor der Wärme inzwischen. Hannover ist sehr offen. Ich glaube, es hat mich auch persönlich sehr erreicht und ich erreiche die Leute hier. Mein Publikum werde ich wahnsinnig vermissen, weil man muss wieder anfangen, Vertrauen aufzubauen, auch eine gewisse Form des Diskurses schulen. Ich werde mit einem weinenden und einem lachenden Auge wechseln.
Was sollen die Menschen in Hannover im Idealfall denken, wenn Sie im nächsten Jahr weiterziehen?
Anders: Die sollen sich auch auf Vasco Boenisch freuen und sollen auch denken: Irgendetwas hat man hinterlassen, was man nie wieder wegnehmen kann. Eine Denke, oder eine Art, oder auch dieses Ensemble, was einfach hier toll ist.
Das Gespräch führte Philipp Cavert.