"Perspektiven": Meißel im Herzen des großen Meisters
Der ehemalige Geschichtslehrer Laurent Binet wagt einen Genre-Mix: Sein neuestes Buch "Perspektiven" erzählt eine Kriminalgeschichte in Form eines historischen Briefromans.
Bevor er vom Schreiben leben konnte, arbeitete er als Geschichtslehrer: der mehrfach preisgekrönte französische Schriftsteller Laurent Binet. Da verwundert es nicht, dass bisher alle Romane des 52-Jährigen mit Geschichte zu tun haben - so auch sein vierter und neuester Roman "Perspektiven". Die Geschichte spielt im Italien der Renaissance.
Die Medicis im Florenz des 16. Jahrhunderts
"Ehrlich gesagt war ich mir nicht sicher, ob das überhaupt machbar ist", sagt Laurent Binet zum gewagten Mischgenre seines neuen Buchs. Das ist nämlich ein historischer Kriminal- und Briefroman. "Perspektiven", der Titel ist Programm. Denn es geht um einen Mord, der in unterschiedlichem Licht erscheint, je nachdem, wie ihn die rund zwanzig Briefeschreiber schildern. Einige nehmen es mit der Wahrheit nicht so genau. Wir befinden uns im Florenz des 16. Jahrhunderts. Maria de' Medici aus Florenz schreibt an ihre Tante Catherine de Medici, die Königin von Frankreich:
Stellt Euch vor, liebe Tante, in Florenz hat sich ein entsetzliches Drama abgespielt. Leseprobe
Zwischen falschen Fährten in einem historischen Mord
Der Maler Pontormo wurde mit einem Meißel im Herzen in der Kapelle von San Lorenzo tot aufgefunden, in der er noch an seinen berühmten Fresken gearbeitet hatte. Im Auftrag des Herzogs von Florenz versucht der "Vater der Kunstgeschichte", der Architekt und Hofmaler Giorgio Vasari, den Fall zu lösen. Auch wir Leser werden zu Kommissaren. Raffiniert legt der Autor falsche Fährten. Ist der Mörder im Klerus, in der Politik oder unter den Künstlern zu suchen? Oder ist der Täter Pontormos Farbmischer, der - das ist belegt - mit seinem Chef über die Bezahlung gestritten hat?
Originalität und eine spannende Erzählweise
Der studierte Historiker Binet besitzt die große Gabe, mit seinen Romanen reale und modifizierte Geschichte spannend aufzubereiten. "Mich fasziniert an der Geschichte, dass sie die einzig wahre Tragödie ist. Man kann sie nämlich nicht ungeschehen machen. Auschwitz hat stattgefunden. Dieser Aspekt der Geschichte macht mich melancholisch. Aber der Aspekt, dass es Millionen Möglichkeiten gibt, wie Geschichte ablaufen kann, stimmt mich wiederum optimistisch. Auch wenn die gegenwärtige Weltlage nicht gerade Anlass zum Optimismus gibt", erzählt Binet.
Michelangelo als Zeuge
"Perspektiven" lebt besonders von den originellen Einfällen des Autors. So erinnert sich Michelangelo daran, wie sich der später ermordete Pontormo, ein Künstler voller Selbstzweifel, in der Kapelle von San Lorenzo das Leben nehmen wollte:
Ich versuchte, ihn mit tröstenden Worten zur Vernunft zu bringen, machte geltend, dass er ganz im Gegenteil leben müsse, um sein Werk zu vollenden. Doch bei diesen Worten packte ihn die Wut. Er entfernte sich robbend von mir, griff nach einem Meißel und begann mit dem Ruf "Nach mir die Sintflut!" auf seinen Noah einzudreschen. Leseprobe
Faszination Florenz - aber bitte nur in der Fiktion
Binet steckt uns in diesem Verwirrspiel mit seiner Faszination für die damalige Zeit an. Fragt sich, ob er selbst gerne im Florenz des 16. Jahrhundert gelebt hätte: "Ja", sagt der Autor lachend und fügt hinzu, "aber wohl nur einige Monate. Ich bin über fünfzig. Im damaligen Florenz hätte ich vermutlich nicht mal dieses Alter erreicht. Es gab da ja noch keine Antibiotika oder Impfstoffe. Ich wäre also vielleicht schon in den ersten Monaten meines Lebens gestorben oder später an der Pest oder in einem der zahlreichen Kriege Italiens. Diese Epoche war natürlich faszinierend. Aber an Gelegenheiten zu sterben hat es damals nicht gerade gemangelt."
Ein Roman, der bildet
"Perspektiven" endet mit einer Verfolgungsjagd wie im Actionfilm. Wer hätte das schon von einem Briefroman erwartet?! Laurent Binet ist ein fesselnder und amüsanter historischer Krimi geglückt, eine clever konstruierte Geschichte, durch die man en passant auch noch viel über die Malerei und Gesellschaft der italienischen Renaissance lernt.
Perspektiven
- Seitenzahl:
- 304 Seiten
- Genre:
- Krimi
- Zusatzinfo:
- Übersetzt von Kristian Wachinger
- Verlag:
- Rowohlt
- Veröffentlichungsdatum:
- 11. März 2025
- Bestellnummer:
- 978-3-498-00694-5
- Preis:
- 26 €
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