Was schafft Kreativität? "Unser Gehirn braucht Langeweile"
Kann man Kreativität lernen beziehungsweise befeuern? Ja, sagt die Psychologin Jennifer Haase, die mit vielen wissenschaftlichen Partnerinnen und Partnern eine Metastudie zur Kreativität durchgeführt hat.
Frau Haase, Generationen von Rockmusikern haben auf den Joint im Studio geschworen, um ihre Kreativität zu boostern. Und jetzt kommen Sie als psychologische Spielverderberin. Warum?
Jennifer Haase: Weil es leider nicht so einfach ist. Ich will den Leuten gar nicht deren Joint oder den Gefallen daran absprechen; wir können nur diese klare Verbindung zwischen Drogenkonsum und der direkten kreativen Leistung nicht in Experimenten nachweisen. Wobei wir kein Gras untersucht haben, sondern es ging um andere Drogen wie Alkohol und diverse Medikamente, die uns aufputschen.
Und da ist es so, dass die Leute ihre Ideen zwar toll finden, aber so richtig überzeugend waren sie am Ende doch nicht. Das kennt man auch.
Haase: Genau. Das ist so ein Phänomen, dass wir subjektiv der Meinung sind, dass das ganz toll ist, dass wir oft in so einen Fluss kommen. Das heißt, die Masse ist vielleicht da, aber nicht unbedingt die Qualität. Das zeigt sich immer wieder. Sowohl, wenn die Leute selbst einen Tag später draufgucken, als auch, wenn man das "objektiv" bewerten lässt.
Die gute Nachricht: Sie konnten bei der Lektüre dieser Studie feststellen, dass man Kreativität befördern kann. Welche Möglichkeiten gibt es da?
Haase: Es gibt eine ganze Vielzahl, weil Kreativität komplex ist. Man kann über Emotionen gehen, über die situative Stimmung, aber auch ganz viel über Kompetenz, über Wissen, über Fähigkeiten. Die Grundvoraussetzung ist - das bestätigt sich auch in der Studie immer wieder - dass wir den Bereich kennen müssen, in dem wir kreativ sein wollen. Wir brauchen erst mal Wissen, aber auch Fähigkeiten, um überhaupt etwas Sinnvolles in dem Bereich stiften zu können. Wenn ich künstlerisch tätig sein möchte, etwas aufs Papier bringen möchte, dann brauche ich das Handwerk dafür. Da muss ich verstehen: Was wurde denn schon gemacht? Was gibt es für verschiedene Stile? Wie kann man die vielleicht geschickt kombinieren, damit etwas Neues und damit etwas Kreatives rauskommt?
Aufbauend darauf gibt es verschiedenste Möglichkeiten. Was erstaunlich effektiv ist, sind Auseinandersetzungen mit Dingen, wo man seinen Horizont erweitert, wo man ein bisschen um die Ecke denken soll. Das erreichen wir beispielsweise durch kulturelle Exposition. Wenn wir ins Ausland gehen, wenn wir andere Lebensrealitäten kennenlernen und merken, dass es auch auf anderen Wegen geht. Das erweitert unser Denken, das macht uns kreativer. Das kann aber auch ein Museumsbesuch sein, wo mir ganz andere Lebenswelten vorgestellt werden, oder Filme, wo es anders aussieht als in dem Deutschland, wo wir wohnen. Das erweitert unseren Horizont, das hilft. Um diese kognitive Flexibilität zu erhöhen, funktionieren auch Methoden wie Meditation, aber auch Sport oder Spazierengehen. Einfach in die Bewegung zu kommen, hilft uns ungemein, um in dem Moment dann auch flexibler zu denken.
Nun bin ich jemand, der in den Wald geht, Kopfhörer auf hat und dabei einen Podcast hört. Das ist gar nicht so gut, habe ich gelesen.
Haase: Richtig. Ich kenne diesen Impuls, ich mache es auch so gerne. Inhalte aufzunehmen kann auch die Kreativität fördern, aber was unser Gehirn braucht, ist Langeweile - und das ist schwierig in unserer Gesellschaft. Der berühmte amerikanische Psychologe Daniel Kahneman hat das rationale Denken und unser unbewusstes Bauchgefühl gegenübergestellt, und die Kernessenz ist, dass unser Unbewusstes viel mehr Informationen verarbeiten kann und dass sich Ideen oft erst dort bilden und als Gedanke in unser Bewusstsein kommen. Damit aber unser Unbewusstes Kapazität hat, Ideen zu bilden, brauchen wir als Voraussetzung die Auseinandersetzung mit den Themen, aber auch immer wieder diese mentalen Pausen, damit unser Gedankengut ein bisschen wandern kann, damit Platz ist für solche Ideen, um sich zu finden. Und dafür ist dieses In-Bewegung-Sein und geistig zur Ruhe zu kommen essenziell. Da unterscheiden wir uns: Manche haben solche kreativen Aha-Momente, wenn sie auf dem Laufband sind und sich total verausgaben, weil sie sich auf nichts anderes konzentrieren können als aufs Atmen. Andere bei der Meditation, andere beim Waldspaziergang. Leider ist es sehr unwahrscheinlich, dass wir beim Podcast-Hören diese schlauen Ideen haben werden, weil unser Kopf dann mit Denken beschäftigt ist...
Leben wir in einer besonders kreativen Gegenwart?
Haase: Ich glaube nicht, weil wir uns durch diese ganze technische Informationsflut ganz vielen Möglichkeiten berauben, kreativ zu sein, weil wir nicht in diese mentale Ruhe kommen. Oft suchen wir auch schnell nach Lösungen, indem wir Google benutzen und gar nicht selber mal kurz überlegen und unsere kreativen Gehirnzellen anstrengen. Auf der anderen Seite verschiebt sich aber auch die Art der Kreativität. Was ich als Kreativitätsforscherin in meiner Bubble mitbekomme, ist, dass wir uns als Gesellschaft viel mehr bemühen, große Themen anzugehen, weil wir merken, dass wir als Gesamtgesellschaft große Herausforderungen in verschiedensten Bereichen haben, die neue Lösungen brauchen.
Der Komponist Ludger Vollmer braucht ganz viel Struktur, um arbeiten zu können: morgens um halb acht anfangen und um 16 Uhr den Bleistift fallen lassen. Wie sehen Sie das?
Haase: Absolut. In so vielen Lebensläufen wird immer wieder dieser Zusammenhang bestätigt zwischen Routinen auf der einen Seite und dem kreativen Output. Weil das, was wir als kreative Produkte sehen, ist zum einen die Idee, der Einfall - aber sehr viel mehr von diesem Produkt ist die Umsetzung, dieser Fleiß: das Komponieren, das Ausprobieren, das Spielen, das Testen und so weiter. Und das ist anstrengend. Wir Menschen tendieren schon dazu, diese Form von mentaler Anstrengung unter Routinen besser aushalten zu können beziehungsweise sich gar nicht erst selbst zu hinterfragen: Mache ich das jetzt oder nicht? Routinen helfen also ungemein.
Das Interview führte Mischa Kreiskott.