"Das Ende der Ehe": Ist das wirklich die Lösung?
Die Autorin Emilia Roig hält die Ehe für ein überkommenes Rollenmodell und fordert in ihrem neuen Buch "Das Ende der Ehe". Annika Feldmann fragt sich in ihrem Kommentar: Ist das Ende der Ehe wirklich die Lösung?
"Die Ehe ist einer der Grundpfeiler des Patriarchats", sagt die französische Politologin Emilia Roig. Auf jeden Fall! Count me in! Als Institution reproduziert die Ehe schließlich Muster, die schon längst der Vergangenheit angehören sollten. Besonders auffällig: Frauen übernehmen noch immer den Großteil der unentgeltlichen Care-Arbeit, während ihre Ehemänner als "Versorger" der Erwerbsarbeit nachgehen.
Das zeigen auch die Ergebnisse der aktuellen Väterstudie der TU Braunschweig und der FH Kiel: Zwar hielten nur rund zwölf Prozent der Befragten es für ihre wichtigste Aufgabe, der Familie finanzielle Sicherheit zu bieten, dennoch sind fast 85 Prozent der Väter wöchentlich 40 Stunden oder mehr erwerbstätig. Im Kopf sind viele Väter also weiter, als es die Arbeitsverteilung innerhalb der Partnerschaften suggerieren mag. Aber liegt das an der Ehe? Ist sie der Grund für die ungerechte Verteilung von Erwerbs- und Sorgearbeit?
Ehe weg, Gerechtigkeit da?
Aktuelle Stimmen kritisieren zurecht die Ehe als Institution - aufgrund ihres historischen Ursprungs in einer von Männern gemachten Gesellschaftsordnung, aber auch in ihren gegenwärtigen Erscheinungsformen. Sie fordern: die Ehe abschaffen, mit all ihren wirtschaftlichen und politischen Anhängseln. Also gut, von mir aus: Trauschein weg! Ehegattensplitting adé! Tschüss, steuerliche Vorteile! Hallo, gerecht verteilte Care-Arbeit! Wie genau soll das gehen?
Autorin Emilia Roig fordert: "Das Ende der Ehe"
Für Emilia Roig und die Journalistin und Soziologin Carolin Wiedemann liegt die Alternative zur ehelichen Gemeinschaft in einer neuen Art des Miteinanders. Queer-feministisch orientierte Wohn- und Beziehungsformen, in denen die Verteilung der Arbeit jenseits tradierter Muster diskutiert werden kann, sollen Vorbild hierfür sein. Care-Arbeit wird in diesen sozialen Gefügen von mehreren Personen geleistet, die weniger vorbelastet aushandeln und entscheiden, wie Aufgaben verteilt werden. Ist Co-Parenting also die Lösung? Nicht wirklich - zumindest für einen Großteil der Eltern und Kinder, die derzeit in ziemlich traditionellen Familien-Modellen leben und aufwachsen.
Optimiere dein soziales Gefüge und der Rest kommt von selbst
Auch die Autorin Sophie Lewis fordert die Überwindung der Kleinfamilie und setzt sich für Formen kollektiver Care-Arbeit ein. Dabei ist das Überwinden des Prinzips Kleinfamilie nicht gleichzusetzen mit gesellschaftlicher Veränderung. Es verteilt das Problem lediglich auf mehrere Schultern, was Entlastung des Einzelnen, vor allem der Frauen, bedeuten mag. Ein wichtiger Punkt, wie auch Teresa Bücker in ihrem Buch "Alle_Zeit. Eine Frage von Macht und Freiheit" feststellt: "Ein gutes Leben für alle kann nur gelingen, wenn wir verstehen, wie drängend Zeitgerechtigkeit ist, und endlich die Debatte darüber beginnen, wie wir Zeit neu und gerecht verteilen. Zeit ist kein Luxus, sondern durch und durch politisch."
Individuum vs. Gesellschaft
Ein anderer Punkt wiegt noch schwerer: Der Ansatz vermittelt den Eindruck, dass die Lösung des Problems am einzelnen Individuum und der Gestaltung seiner Beziehungsform hängt. Die Verantwortung liegt also bei einem selbst. Zwischenmenschliches Miteinander wird damit der gleichen Optimierungsideologie unterworfen, die uns auch in anderen gesellschaftlichen Bereichen suggeriert, unendliche Gestaltungsmöglichkeiten zu haben.
Gesellschaftliche Veränderung ist kein Selbstgänger
Eine gerechtere Verteilung führt aber nicht zwangsläufig dazu, dass Care-Arbeit im Privaten wie im Öffentlichen nachhaltig Aufwertung erfährt. Angela Garbes beschreibt in "Essential Labor. Mothering as Social Change", wie gerade die Corona-Pandemie gezeigt habe, dass viele Berufe zumindest zeitweise ohne größere Schwierigkeiten unterbrochen werden können: Restaurants waren geschlossen, Fabriken standen still. Kinder aber brauchen immer Aufmerksamkeit. Care-Arbeit, oder "Mothering" wie Garbes es nennt, gehört zu den wenigen essentiellen Arbeiten, die Menschen verrichten. Warum ist es so schwer, dies auch strukturell abzubilden und anzuerkennen?
Ohne Solidarität geht nichts
Eine kleines Gedankenexperiment: Eine Familie. Zwei Kinder. Mann und Frau. Beide arbeiten jeweils zu 70 Prozent, weil ihnen die Zeit mit ihren Kindern wichtig ist. Das damit erwirtschaftete Einkommen reicht für alle. Die Kinder werden zuverlässig, kontinuierlich und liebevoll betreut, von Menschen, deren unverzichtbare Arbeit angemessen entlohnt wird und die den Jüngsten dieser Gesellschaft so viel mitgeben können, weil sie sich in ihrer Arbeit wertgeschätzt fühlen und ihr Potenzial voll entfalten können.
Wenn ich dafür auf die Ehe verzichten muss: von mir aus. Ich glaube aber, Solidarität und eine laute Stimme des Protests, die den Staat und die Wirtschaft in die Verantwortung nimmt, könnten da mehr helfen.