Ein älterer Mann stützt seinen Kopf auf die Hand und spricht - Klaus von Dohnanyi (SPD), ehemaliger Erster Bürgermeister von Hamburg, gibt in seinem Büro ein Interview. © picture alliance/dpa Foto: Markus Scholz

Klaus von Dohnanyi: "Bonhoeffer lag Frieden sehr am Herzen"

Stand: 09.04.2025 13:58 Uhr

Dietrich Bonhoeffer zählt zu den bekanntesten evangelischen Theologen. Gemeinsam mit seinem Schwager Hans von Dohnanyi wurde er vor 80 Jahren von den Nazis ermordet. Klaus von Dohnanyi erinnert sich an seinen Onkel und seinen Vater.

Vor 80 Jahren, am 9. April 1945, ermordeten die Nazis mehrere Männer des deutschen Widerstands, darunter auch Hans von Dohnanyi und Dietrich Bonhoeffer, Vater und Onkel von Hamburgs ehemaligem Ersten Bürgermeister Klaus von Dohnanyi. Der 96-Jährige erinnert sich an diese beiden Männer und erklärt die Bedeutung des Theologen Bonhoeffers, die bis heute anhält.

Im Widerstand für das Richtige zu sterben, ist eine übergroße Tat. Welche Konsequenzen hatte das im Laufe des Lebens für Sie? Welche Maßstäbe hat das für Sie gesetzt?

Klaus von Dohnanyi: Schwer zu sagen, wenn man es mit so todesmutigen Leuten zu tun hatte, wie meinem Vater. Er hat noch im März 1943 kurz vor seiner Verhaftung eine Bombe in Hitlers Flugzeug hinterlegen lassen. Die Bombe konnte dann aber nicht explodieren, weil es draußen zu kalt war und der Zünder nicht funktionierte. Aber diese Leute haben alles versucht, um das Schicksal abzuwenden, das ja so offenkundig dem deutschen Volk und den Menschen, den verhafteten Menschen und den verfolgten Juden drohen würde.

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Klaus von Dohnanyi (SPD), ehemaliger Erster Bürgermeister von Hamburg, gibt am 09.06.2023 in seinem Büro ein Interview. © picture alliance/dpa Foto: Markus Scholz

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Von 1981 bis 1988 war von Dohnanyi Bürgermeister von Hamburg, wo er den Hafenstraßen-Streit befriedete. Auch im hohen Alter äußert er sich politisch. mehr

Welche persönliche Erinnerungen haben Sie abseits dieser politischen Erinnerungen an ihren Vater?

von Dohnanyi: Ich habe natürlich sehr viele persönliche Erinnerungen an meinen Vater, wie jeder Sohn an seinen Vater hat, wenn er kleiner ist. Aber meine wesentlichen Erinnerungen sind die an die Besuche im Gefängnis, an die Verhaftung meiner Mutter. Also das sind die historisch, politischen Ereignisse, die mir doch am tiefsten geblieben sind von dem Leben meines Vaters.

Haben Sie den 9. April als Familie in besonderer Weise begangen nach 1945?

von Dohnanyi: Nein, das haben wir nie gemacht. Aber an diesem Tag waren wir vielleicht besonders still, hatten besonders wenig Bedürfnis, uns nach draußen zu wenden. So wird es wohl gewesen sein.

Die meisten Menschen kennen Dietrich Bonhoeffer heute durch das Lied, "Von guten Mächten wunderbar geborgen", das er im Gefängnis gedichtet hat, im Dezember 1944. Sie kannten Bonhoeffer auch noch anders, er war ja Ihr Onkel. Welche Erinnerungen haben Sie an ihn?

von Dohnanyi: Die eines lustigen Onkels. Manchmal war er etwas empfindlich, wenn man ihn mit seiner Glatze, die immer deutlicher wurde, neckte. Aber wir sind zusammen Skifahren gegangen, haben zusammen Tischtennis gespielt. Dietrich Bonhoeffer war für mich ein sehr lustiger, aber eben ein erwachsener Onkel. Er war uns sofort nah, sodass wir ihn als eine Art Kameraden erlebten.

Bonhoeffer war ein Intellektueller, was seine Schriften zeigen. Aber er war auch ein ganz sinnlicher und der Musik zugeneigter Mensch. Auch im Widerstand spielte für ihn Musik eine große Rolle. Wie war das in Ihrem Familienleben?

von Dohnanyi: Bei uns in der Familie spielte die Musik eine riesige Rolle. Mein Bruder Christoph hat das ja sehr anerkannt als Dirigent fortgesetzt. Dietrich Bonhoeffer hat viel am Spinett, also an einem kleinen Klavier musiziert, und mein Bruder hat Lieder gesungen, Lieder von Schumann oder Hugo Wolf. Insbesondere mein Bruder Christoph hat viel mit Dietrich Bonhoeffer musiziert.

Salopp gesagt taucht Bonhoeffer heute in jeder zweiten evangelischen Predigt auf. Er ist vielleicht der entscheidende Theologe des 20. Jahrhunderts. Dabei hat er gar kein umfassendes Werk hinterlassen. Wie erklären Sie sich diesen Einfluss Bonhoeffers?

von Dohnanyi: Dietrich Bonhoeffer war ein lebender Christ und nicht in erster Linie ein Theologe. Seine Theologie, soweit ich sie verstanden habe, war eine Theologie des christlichen Lebens in seiner Zeit und heute. Er war kein Theologe, der alle theologischen Einzelheiten der Bibel und ihrer Interpretation immer zur Hand hatte. Er war ein Christ, der christlich leben wollte. Sein Hauptwerk zu Beginn seiner theologischen Tätigkeit war das Buch "Nachfolge". Die Nachfolge bedeutet im Grunde genommen: das Nachfolgen auf den Spuren Christus, um auf diese Weise selber ein christliches Leben führen zu können. Insofern war Dietrich Bonhoeffer ein Theologe des täglichen Lebens.

Nachfolge ist ein interessantes Stichwort. Er war 1937 in London, er war 1939 auch Pastor in den USA. Und dennoch ist er nach Nazi-Deutschland zurückgekehrt. Warum?

von Dohnanyi: Als er 1939 aus den USA zurückkehrte, hat er gesagt: "Hier sind meine Leute, hier bin ich verantwortlich." Das ist bei Theologen manchmal so, dass wenn das Christentum unter besondere Bedrohung gerät, die Menschen dahin zurückkehren, wo die Bedrohung am stärksten ist.

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Es gibt einen neuen Film, "Bonhoeffer", der aber eine ganz andere Geschichte von seiner Beteiligung im Widerstand erzählt. Was wünschen Sie sich, wie die Menschen sich an Ihren Vater und an Dietrich Bonhoeffer erinnern?

von Dohnanyi: Also, wenn es darum geht, Christentum zu leben oder zu erinnern, dann wünsche ich mir, dass mehr Menschen heute in Deutschland verstehen, was Dietrich Bonhoeffer so sehr am Herzen lag, nämlich der Frieden. Frieden war die ökumenische Aufgabe aller Christen, und Frieden ist es heute. Wir leben in einer Zeit, die Gefahr läuft, den Krieg wieder zu einem natürlichen und selbstverständlichen Ereignis zu machen. Das ist eine gefährliche und ganz und gar nicht im Sinne Bonhoeffers christlich gelebte Zeit. Wenn ich mir heute manche Politiker anhöre, mit welcher Selbstverständlichkeit sie davon sprechen, dass wir die Frage des Friedens mit Waffen lösen müssen. Waffen gehören natürlich auch zur Fähigkeit, sich selbst zu verteidigen. Aber Waffen sind am Ende kein Weg zu einem Frieden, zu einer friedlichen Gesinnung.

Das Gespräch führte Daniel Kaiser.

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