Klaus von Dohnanyi: Hanseatisch, meinungsstark und engagiert
Von 1981 bis 1988 war von Dohnanyi Bürgermeister von Hamburg. Dort schaffte er es, den jahrelangen Streit über die besetzten Häuser an der Hafenstraße zu beenden. Auch im hohen Alter äußert er sich politisch.
Eigenen Worten zufolge sieht sich Klaus von Dohnanyi immer in der Pflicht, "etwas zu tun", und die Verantwortung dafür zu übernehmen. Als "begabt, brillant, sensibel und außergewöhnlich engagiert" soll Bundespräsident a. D. Richard von Weizsäcker den weltgewandten Hanseaten beschrieben haben. Dass er sich trotz aller Wertschätzung nie an die Spitze seiner Partei, der SPD, gesetzt hat, erklärt von Dohnanyi sich selbst so: "Ich habe keine Fähigkeit, Macht zu organisieren, zu konzentrieren und um der Macht willen zu kämpfen."
Geprägt vom Widerstand gegen den Nationalsozialismus
Klaus Karl Anton von Dohnanyi wird am 23. Juni 1928 in Hamburg geboren. Sein Vater ist der Jurist Hans von Dohnanyi, sein Großvater der ungarische Komponist Ernst von Donanyi. Seine Mutter Christine von Dohnanyi ist eine geborene Bonhoeffer und die Schwester des Theologen Dietrich Bonhoeffer. Klaus von Dohnanyi hat eine ältere Schwester, Bärbel, und einen jüngeren Bruder, den Dirigenten Christoph von Dohnanyi. Dessen Sohn Justus von Dohnanyi ist als Schauspieler aktiv.
In von Donanyis Familie wird die eigene Überzeugung stets hoch gehalten. Sein Onkel Dietrich Bonhoeffer und sein Vater werden als Widerstandskämpfer wenige Tage vor Kriegsende von den Nationalsozialisten hingerichtet. "Mut ist nicht vererbbar und Leiden eigentlich auch nicht", sagt von Dohnanyi 2008 in einem Interview. Jeder müsse selbst prüfen, wie er sich damals verhalten hätte. "Das war für mich in meinem Leben immer sehr wichtig und bleibt für mich sehr wichtig."
Von Dohnanyi verbringt seine ersten Lebensjahre in Berlin. Ab 1938 lebt seine Familie in Leipzig, wo er auch zur Schule geht. Ende 1944 wird er als 16-Jähriger in ein Kampfbataillon des Reichsarbeitsdienstes einberufen. Im Mai 1945 gerät er für einige Tage in Kriegsgefangenschaft. Als Sohn eines Widerstandskämpfers wird er jedoch schnell entlassen.
Studium in den USA: "Deutschland von außen" gesehen
Nach seinem Abitur am Benediktinerkloster Sankt Ottilien in Bayern 1946 beginnt von Dohnanyi ein Studium der Rechtswissenschaften in München. Das erste juristische Staatsexamen schließt er 1949 mit einer Dissertation ("magna cum laude") über das Grundstücksrecht ab. Anschließend ist er am Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht in Tübingen tätig. Es folgen bis 1953 zwei Studienaufenthalte in den USA an der Columbia und der Stanford University. Er habe Deutschland "von außen sehen" wollen, sagt er später. In New York arbeitet von Dohnanyi von 1952 bis 1953 in einer Anwaltskanzlei und bei den Ford-Werken in Detroit. 1953 erwirbt er an der Yale University den Bachelor of Laws.
Zurück in Deutschland arbeitet er ab 1954 zunächst bei Ford in Köln. 1957 legt der gebürtige Hamburger das zweite juristische Staatsexamen ab. Von 1960 bis 1968 ist er geschäftsführender Gesellschafter des Marktforschungsinstituts Infratest in München.
Adenauer siegt - von Dohnanyi wird SPD-Mitglied
Von Dohnanyi weiß früh, dass er Politik machen will, aber "ich wollte mehr wissen, als die meisten Leute, die Politik machen, wissen", sagte er. 1957 ist es so weit: Konrad Adenauer holt bei der Bundestagswahl die absolute Mehrheit für die CDU/CSU. Klaus von Dohnanyi wird als Reaktion darauf Mitglied der SPD. Sie spiegele am ehesten das wider, was er für richtig halte. Sei "im Kern eine Partei der Aufklärung", sagt er.
Willy Brandt, damals Berliner Bürgermeister, wird von Dohnanyis Mentor und ein enger Vertrauter. Im Alter von 33 Jahren organisiert der gebürtige Hamburger Brandts ersten Bundestagswahlkampf 1961 entscheidend mit. Es folgen Stationen als Bundesbildungsminister und Staatsminister im Auswärtigen Amt.
1981 Erster Bürgermeister in Hamburg
1981 tritt von Dohnanyi die Nachfolge des zurückgetretenen Ersten Bürgermeister von Hamburg, Hans-Ulrich Klose, an. Alle SPD-Mitglieder der Bürgerschaft wählen ihn, obgleich es unter den Hamburger Sozialdemokraten zu der Zeit Auseinandersetzungen gibt - unter anderem über die Beteiligung der Elektrizitätswerke am Bau des Kernkraftwerks Brokdorf.
Den für einen Hamburger Bürgermeister obligatorischen blauen Anzug trägt von Dohnanyi so hanseatisch wie kein anderer. Doch es folgen unruhige Jahre in der Hansestadt: Bei der Bürgerschaftswahl vom 6. Juni 1982 verliert von Dohnanyi gegen den CDU-Politiker Walther Leisler Kiep, der 43,2 Prozent der Stimmen holt, aber mangels Unterstützung keinen Senat bilden kann. Von Dohnanyis SPD musss herbe Verluste hinnehmen und fällt von 51,5 auf 42,7 Prozent. Auch sie kann keine Regierung bilden. Die Folge: Neuwahlen. Am 9. Dezember 1982 erreicht die SPD mit 51,3 Prozent die absolute Mehrheit.
Fall Alviola sorgt für Empörung
1984 zieht sich von Dohnanyi den Unmut vieler Hamburger zu, als der Senat die von den Philippinen stammende Susan Alviola mit ihren Kindern abschieben lässt. Rechtlich entspreche die Entscheidung dazu den gesetzlichen Bestimmungen, so die Begründung damals - unter anderem von Innensenator Rolf Lange. Allerdings wird das Vorgehen von vielen Bürgern als unmenschlich betrachtet. Die damals 38-Jährige hatte Zuflucht in einer Hamburger Kirche gefunden. Sie und ihre Kinder werden am 15. November 1984 von Polizeikräften gewaltsam aus der Kirche geholt und nach Manila abgeschoben. Der Bürgermeister muss sich vorwerfen lassen, das Kirchenasyl gebrochen zu haben.
Im Fokus wegen "Hamburger Kessel" und Hafenstraßen-Befriedung
Ein weiterer Knackpunkt: Die Stadt ist in den 1980er-Jahren verschuldet und die Arbeitslosigkeit groß. Im Wahljahr 1986 beschädigt eine Affäre, die als "Hamburger Kessel" in die Geschichte eingeht, das Ansehen des Senats. Die Hamburger Polizei hat am 8. Juni 1986 Antiatomkraft-Gegner auf dem Heiligengeistfeld stundenlang eingekesselt. Die rechtswidrige Aktion sorgt bundesweit für Aufsehen und Kritik. Die folgende Bürgerschaftswahl ist für die SPD wieder mit Verlusten verbunden, eine Koalition mit der CDU kommt nicht zustande. Erneut müssen Neuwahlen her, um das politische Gefüge in Hamburg wiederherzustellen. 1987 koalieren die Sozialdemokraten mit der FDP.
In der Krise um die Hamburger Hafenstraße macht sich von Dohnanyi bundesweit einen Namen. Der jahrelange Streit um die besetzten Häuser eskaliert in Straßenschlachten, die Räumung steht kurz bevor. In dieser aufgeheizten Situation riskiert der Bürgermeister 1987 sein Amt: Er verspricht den Hausbesetzern einen Pachtvertrag, wenn sie die Barrikaden abräumen. Sollte der Senat dem nicht zustimmen, würde er zurücktreten. Das Vorgehen billigen längst nicht alle Parteigenossen. Viele wollen - wie auch die CDU-Politiker damals - lieber kurzen Prozess mit den Hausbesetzern machen. Aber: Von Dohnanyis Plan geht auf. Die Barrikaden verschwinden. Von Dohnanyi erhält für diesen "beispielhaften Beitrag zur Befriedung und Konfliktbewältigung" die Theodor-Heuss-Medaille.
"Ungern aus dem Amt geschieden"
1988 kündigt er überraschend seinen Rücktritt als Bürgermeister an. "Ich werde ungern aus dem Amt scheiden", teilt der Regierungschef dem Senat mit, "aber es ist der richtige Zeitpunkt." Die Politik habe einen "kaum erträglichen Ausbeutungseffekt." Er habe die "Freude an der Arbeit" verloren. "Der Charme ist hin", erklärt der Sozialdemokrat mit Blick auf das Amt, das ihm viel geboten habe, und die Partei, von der er sich nichts mehr bieten lassen will.
Denn: Innerparteiliche Querelen sollen auch ein Auslöser für den Rücktritt gewesen sein, doch von Dohnanyi bestätigt das nie direkt. Er habe eine harte Zeit in Hamburg gehabt und schon immer gewusst, nicht in der Politik alt zu werden, sagt er später.
Wechsel in die Wirtschaft - Aufbau Ost
Nach seiner Bürgermeister-Zeit geht von Dohnanyi in die Wirtschaft und kümmert sich um den Aufbau in Ostdeutschland. Von 1990 bis 1994 ist er unter anderem als Beauftragter der Treuhandanstalt für die Privatisierung ostdeutscher Kombinate tätig. Außerdem ist er Beiratsvorsitzender des Berliner Wirtschaftsverlages Wegweiser GmbH, Mitglied des Aufsichtsrates der Audi AG und der PrimaCom AG sowie Aufsichtsratsvorsitzender der Design Bau AG und der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz. 2015 wird er Mitglied im Beraterstab des mittelständischen Consultinghauses Consileon.
Meinungsstark und gestaltend
Zu anderen Themen hält der Vater einer Tochter und zweier Söhne mit seiner Meinung fortan nicht hinter dem Berg. Ob Hamburgs Schulreform oder die Zukunft Europas: Von Dohnanyi schreibt Leitartikel, berät die Politik und mischt sich in Debatten ein. 2003 schlichtet er nach vier Monaten Konflikt den Tarifstreit bei der Lufthansa. 2010 fungiert er dort erneut in der Schlichter-Rolle.
Immer wieder übernimmt er ehrenamtliche Aufgaben - leitet 2004 den Gesprächskreis Ost, wird Vorsitzender des 2009 neu eingerichteten Mindestlohn-Ausschusses und Mitglied der Ethikkommission zur Energiewende. Von 2003 an arbeitet er als stellvertretender Vorsitzender des Konvent für Deutschland an Reformideen für die Bundesrepublik.
Stets Teil der politischen Debatte
Von Dohnanyi mischt sich auch immer wieder in aktuelle politische Debatten ein. So lobt er 2008 die Koalition von CDU und Grünen in Hamburg als "gute Kombination", plädiert dafür, dass sich die SPD auch auf Bundesebene um die FDP bemühe und warnt seine Partei vor einem Linksschwenk hin zur Partei Die Linke. Diese sei weder koalitions- noch regierungsfähig. Außerdem mahnt er die SPD, sich dem globalen Wettbewerb und veränderten Wirtschaftsbedingungen zu stellen.
2011 verhindert er, dass der Berliner Finanzsenator Thilo Sarrazin aus der SPD ausgeschlossen wird. "Die SPD braucht mehr Querdenker wie Sarrazin", findet von Dohnanyi. Der Ausschluss Sarrazins erfolgt dann 2020. Im Jahr 2012 zeigt von Dohnanyi offene Sympathie für die neue Piratenpartei.
Irritierende Aussagen über Russlands Krieg gegen die Ukraine
Nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine 2022 äußert von Dohnanyi seine Auffassung zur Mitschuld des Westens. Er lehnt eine Sanktionspolitik ab und tritt für eine Verhandlungslösung ein.
Etwas überraschend springt von Dohnanyi in der Kriegsdebatte den Klimaaktivisten zur Seite: "Die 'Letzte Generation' hat in der Sache Recht: Klimaschutz und die Folgen des Klimawandels sind die größten Aufgaben, vor denen die Menschheit steht. Aber Beschmutzen, Ankleben, Rechtsbrüche sind darauf keine zulässige Antwort", sagt er 2023 dem "Hamburger Abendblatt". Und: Deutschlands größte Bedrohung komme nicht von Putin, "sondern von den sozialen, humanitären und demokratischen Folgen des Klimawandels".
Die "Hamburger Morgenpost" kritisiert von Dohnanyi dafür: "An Zynismus kaum zu überbieten ist angesichts der Raketenangriffe auf ukrainische Städte von Dohnanyis These, der Schutz vorm Klimawandel sei wichtiger als Panzer in die Ukraine zu liefern. Es sind deutsche Waffen, die dort täglich Zivilisten schützen. Und ja, es sind deutsche Panzer, die dabei helfen, ein menschenverachtendes Regime zurückzuschlagen." Es sei tragisch, "dass ein Mann wie von Dohnanyi, der als Jugendlicher vor der Roten Armee flüchtete und dessen Vater von den Nazis ermordet wurde, so redet wie im aktuellen Bundestag nur die extremen politischen Ränder".
Drei Mal verheiratet
Von 1951 bis 1958 ist Klaus von Dohnanyi mit der Kinderbuch-Illustratorin Renée Illing verheiratet, die an einem Hirntumor stirbt. Aus der Ehe geht Sohn Johannes (*1952) hervor. Seine zweite Ehe führt er mit Christa Seidel, einer Psychotherapeutin. Aus dieser Beziehung stammt die gemeinsame Tochter Babette (*1966), außerdem adoptiert das Paar einen Jungen (Jakob, *1961). 1996 folgt die dritte Ehe - mit der Schriftstellerin Ulla Hahn. Die gebürtige Sauerländerin gilt als eine der wichtigsten Lyrikerinnen der Gegenwart.