Bonhoeffer-Nachfahre Korenke: "Bonhoeffer wird gezielt missbraucht"
In den USA kommt jetzt ein umstrittener Film über Dietrich Bonhoeffer in die Kinos. Problematisch: Rechtsnationale Evangelikale instrumentalisieren den deutschen Theologen. Ein Gespräch mit Bonhoeffer-Nachfahre Tobias Korenke.
Wegen seiner Beteiligung am Widerstand gegen Hitler wurde Bonhoeffer kurz vor Ende des Zweiten Weltkriegs von den Nazis hingerichtet. Nun kommt in Amerika ein neuer Film über ihn in die Kinos. Was den Film "Bonhoeffer: Pastor. Spy. Assassin" schon vor dem Kinostart so kontrovers macht, ist die Instrumentalisierung Bonhoeffers durch rechte Evangelikale. Für sie ist Bonhoeffer ein Prophet für den Widerstand gegen den übermächtigen liberalen Staatsapparat.
Der Film wird beworben mit einem Plakat, da sieht man Dietrich Bonhoeffer mit einer Schusswaffe. Und dann steht da "Pastor. Spy. Assassin", also Attentäter. Was ist Ihnen durch den Kopf gegangen, als Sie das das erste Mal gesehen haben?
Tobias Korenke: Völliger Bullshit. Da wird Bonhoeffer ganz gezielt missbraucht. Er war beteiligt am Widerstand gegen Hitler, auch an den Vorbereitungen des Attentats vom 20. Juli. Eine Waffe hatte er nie in der Hand. Das, was Bonhoeffer ausmacht, ist auch vielmehr seine Theologie, seine christliche Nächstenliebe als gewaltsamer Kampf gegen eine Diktatur. Er war beteiligt am Widerstand. Er war auch ein wichtiger Widerstandskämpfer. Das ist sozusagen eigentlich fast eine Verfälschung, die zur Gewalt aufrufen soll.
Und nun gibt es die Erzählung, dass der Verleih Angel Studios, ein Verleih für evangelikale Filme, der sich als Gegenpol zum - in großen Anführungszeichen - "woken" Hollywood sieht, dass der das da später draufgedrückt hätte als Promotion. Können Sie das nachvollziehen?
Korenke: Ja, das ist natürlich die ganze Linie, mit der wir da gerade konfrontiert sind. Bonhoeffer spielte ja interessanterweise auch im amerikanischen Wahlkampf eine gar nicht so geringe Rolle - vor allen Dingen bei den christlichen Nationalisten, bei den rechten Evangelikalen, wo Bonhoeffer als ein Kronzeuge dafür genutzt wurde, dass man dafür eintreten muss, übrigens auch gewaltsam dafür eintreten muss, was man für richtig hält. Und hinzukam dann eben, dass eine Gleichsetzung von Hitler und Biden in diesen Kreisen nicht unüblich ist, und dann natürlich irgendwann diese Analogie gezogen wurde, wir müssen uns wie Bonhoeffer gegen das woke System an der Spitze der Vereinigten Staaten wenden, vielleicht auch mit Gewalt. Und das bringt dieses Bild in ganz grauenhafter Weise zum Ausdruck.
Der Film wird beworben mit dem Satz "The true untold story". Ich finde, das klingt schon ein bisschen verdächtig oder übertreibe ich da?
Korenke: Also "true" ist die Story sozusagen nur partiell. Es sind wahnsinnig viele historische Fehler drin. Es beginnt schon mit einer - übrigens wahnsinnig langweiligen - Einstellung, in der Dietrich Bonhoeffer mit seinem älteren Bruder Walter Fangen spielt. Sie will nicht enden diese Szene. Und man sieht ein riesiges, großbürgerliches, eigentlich englisches Landhaus. So haben die Bonhoeffers nie gelebt, wäre vielleicht ganz schön gewesen, aber so war es nicht. Und es geht weiter über ganz viele, auch sehr ärgerliche historische Fehler. Zum Beispiel wird die Rolle von Niemöller, der plötzlich ein Bischof ist, völlig falsch dargestellt. Niemöller wird eine Rede, eine Predigt gegen die Judenverfolgung, in den Mund gelegt, die er so nie gehalten hat, sondern Gollwitzer war das. Das berühmte Niemöller-Zitat, das kennen Sie wahrscheinlich: "Als die Nazis die Kommunisten holten, habe ich geschwiegen. Ich war ja kein Kommunist. Als sie die Gewerkschafter holten, habe ich geschwiegen, ich war ja kein Gewerkschafter. Und als sie die Juden holten, habe ich geschwiegen. Ich war ja kein Jude. Und als sie mich holten, gab es keinen mehr, der protestieren konnte." Das berühmte Niemöller-Zitat wird plötzlich auf das Jahr 1937 datiert und wird da in eine Predigt eingebaut, als Niemöller übrigens historisch gesehen wirklich noch ganz nah an den Nationalsozialisten war.
Dieses Zitat ist aus der Nachkriegszeit, als er versuchte, sich selber Rechenschaft darüber abzulegen, was eigentlich passiert ist, und ist eigentlich als eine Art Schuldgeständnis zu verstehen. Das ist alles völlig irre, was an historischen Fehlen dort stattfindet. Ganz grauenhaft übrigens dann die Hinrichtungsszene. Im Film wird er nicht in Flossenbürg im Konzentrationslager hingerichtet, sondern auf einem freien Feld. Drei Galgen nebeneinander sind zu sehen, analog sozusagen zu Jesus Christus. Dietrich Bonhoeffer guckt mit einem dämlich frömmelnden Blick gen Himmel und sagt, er ist bereit und wird dann auf freiem Feld erhängt. Das ist alles so was von geschmacklos und einfach auch historisch falsch.
Nun sagt dieser besagte Regisseur, ihm sei die Deutung des Films aus den Händen genommen worden. Sein Film habe nichts mit den Evangelikalen aus dem rechten Spektrum zu tun. Glauben Sie ihm das?
Korenke: Ich kenne ihn nicht, und ich kann das jetzt nicht bestreiten. Was ich nicht ganz verstehe, ist, warum er nicht den einen oder die andere Expertin hinzugezogen hat, um sich selber ein Bild zu machen, wie es eigentlich wirklich war. Das ist mir unverständlich. Das ist mir übrigens auch bei den Schauspielern unverständlich, die sich ja auch inzwischen gegen den Film gewendet haben und vor allen Dingen auch gegen die Vermarktung des Films gewendet haben. Ich hatte selber ein Gespräch mit Dassler, der die Hauptrolle, den Bonhoeffer, spielt. Auch er fühlt sich instrumentalisiert, was ich sehr gut verstehen kann. Ich verstehe nur nicht ganz, wie das eigentlich passieren kann. Wenn man das Drehbuch liest, müsste es eigentlich klar geworden sein.
August Diehl, Moritz Bleibtreu und - sie haben ihn erwähnt - Jonas Dassler, das ist die allererste Garde deutscher Schauspieler. Es heißt, es rumort, dass es auch schon Auseinandersetzungen am Set gegeben habe. Wissen Sie was darüber?
Korenke: Nein, darüber weiß ich nichts. Ich weiß nur, dass es einen Offenen Brief der Schauspieler gibt, indem sie sich distanzieren von der Art und Weise, wie dieser Film jetzt von der nationalen Rechten vereinnahmt wird. Und das finde ich absolut hervorragend, dass sie das machen. Aber über das Rumoren am Set weiß ich gar nichts. Ich will übrigens auch in dem Zusammenhang mal sagen: Ich bin gar kein Filmexperte, überhaupt nicht, und möchte mir da auch gar kein Urteil anmaßen. Aber als ich den Film sah, und ich hatte das große Glück, ihn, bevor er veröffentlicht wurde, zu sehen, war ich eigentlich relativ beruhigt, weil ich dachte, es ist ein Film, der eigentlich niemandem interessieren kann, weil er verdammt schlecht gemacht ist. Es ist ein richtig langweiliger Film, der mit Mitteln des vergangenen Jahrhunderts arbeitet, und ich mir eigentlich nicht vorstellen kann, und ich hoffe es auch nicht, dass er ein Erfolg wird. Nun ist er durch die Vermarktung so hochgejazzt worden. Und deswegen haben wir auch als Familie gesagt, wir müssen uns dazu äußern und haben dann gemeinsam einen Protestbrief verfasst, den fast alle erwachsenen Nachkommen der Geschwister von Dietrich Bonhoeffer unterschrieben haben.
Haben Sie überlegt, rechtlich gegen den Film vorzugehen? Gibt es da Möglichkeiten?
Korenke: Wir überlegen das, aber es ist rechtlich verdammt schwierig, da vorzugehen. Es ist ja Fiction. Aber wir lassen uns da beraten und überlegen das auch. Ich fürchte nur, dass die Aussichten nicht wahnsinnig gut sind.
Wissen Sie etwas über die Debatte, die in den USA geführt wird?
Korenke: Ich weiß natürlich, dass sehr viele Bonhoeffer-Expertinnen und -Experten sich auch in einem Offenen Brief übrigens gegen den Film und diese Vereinnahmung Bonhoeffers durch die nationalen Rechten ausgesprochen haben. Und das ist auch erfreulicherweise sehr weit über kirchliche Kreise hinaus aufgenommen worden. Auf der anderen Seite gibt es natürlich große Vertreter dieser These, dass Bonhoeffer als Widerstandskämpfer gegen ja letztendlich die demokratische Regierung von Biden auch angetreten wäre. Eric Metaxa, ein großer Trump-Verehrer und ihm offenbar auch nahestehend, ist da eine wichtige Figur. Er hat eine Biografie geschrieben – nicht die Biografie. Es gibt ja inzwischen Gottseidank sehr viele Biografien und die wirklich maßgeblich Biografie hat Eberhard Bethge geschrieben. Das war die erste große, an der orientieren sich alle. Eric Metaxa hat vor zehn Jahren eine sehr erfolgreiche Biografie in den USA vorgelegt, die auch ins Deutsche übersetzt worden ist, wo er schon so als ein evangelikaler Heidegger dargestellt wird. Dieser rechtsnationalistische Einschlag war dort noch nicht so zu sehen. Inzwischen ist er völlig auf Trump-Linie und versucht da eben auch Bonhoeffer für seine Zwecke zu missbrauchen. Und das geht natürlich überhaupt nicht.
Wie sind die Aussichten, dass der Film in deutsche Kinos kommt? Bisher gibt es ja keinen Verleih.
Korenke: Es gibt keinen Verleih, und ich kann mir, ehrlich gesagt, auch nicht vorstellen, dass es einen Verleih geben wird, der dieses auch künstlerisch wahnsinnig anspruchslose Machwerk bringen wird. Wie gesagt, man langweilt sich enorm. Er ist einfach viel zu lang, und er ist einfach auch historisch falsch, wie ich schon sagte. Wir dürfen allerdings die Macht des Streamings nicht ganz unterschätzen. Es kann natürlich sein, dass er auf den Streaming-Kanälen gebracht wird und da in bestimmten Szenen, die es natürlich bei uns auch gibt, auch rechtsnationalistische Szenen, dass er dort wahrgenommen und gesehen wird. Aber dass es einen Verleih geben wird, der dieses Opus zeigen wird, kann ich mir eigentlich nicht vorstellen.
Das Gespräch führte Mischa Kreiskott.