"Die schönere Lüge": Ein Roman wie ein Film von Orson Welles
Die US-amerikanische Autorin Dana Spiotta veröffentlichte bisher fünf Romane, für die sie mehrfach ausgezeichnet wurde. Zuletzt erschien "Unberechenbar" und jüngst "Die schönere Lüge" - das nun auch in deutscher Übersetzung vorliegt.
Meadow muss sich etwas einfallen lassen. Sie braucht eine gute Lüge, die sie ihren Eltern auftischen kann. Es ist das Jahr 1984: Meadow liebt alles, was mit Film zu tun hat. Ihren Abschluss an einer kunstorientierten High School im Gepäck, zieht sie zu einem viel älteren Mann, mit dem sie die Leidenschaft für Film teilt. Ihren Eltern tischt sie eine Lüge auf. Sie wolle mit ihrer besten Freundin Carrie für länger verreisen und ein Filmprojekt realisieren. Stattdessen lebt sie bei ihrem neuen Freund, der internationalen Ruhm genießt, mittlerweile aber alt geworden ist und an vielen körperlichen Gebrechen leidet. Aber das kümmert Meadow nicht.
Ich war kein Groupie, ich hatte es nicht auf berühmte Männer abgesehen, aber er wirkte auf mich wie ein unschuldiger Griesgram, ein Mann, dem ich vertrauen konnte. Also küsste ich ihn und wartete darauf, dass es mein Leben veränderte. Leseprobe
Die Schriftstellerin Dana Spiotta macht keinen Hehl daraus, dass Meadows Freund niemand geringeres ist als Orson Welles. "Die schönere Lüge" ist ein Roman, der mit der Figur Meadow die Filmkunst feiert. Alles, was sie tut, denkt und fühlt, hat mit Film zu tun. Der Austausch mit Orson Welles spielt dabei eine wichtige Rolle.
Wenn aus Lüge Wahrheit wird
Doch nach neun Monaten, kurz vor Orson Welles Tod, endet die Beziehung 1985 abrupt. Meadow steigt in ihren Wagen und fährt Richtung Osten, in den Bundesstaat New York, wo Dana Spiottas Romane öfter spielen. Meadow will mit Carrie nun tatsächlich Filmprojekte realisieren und alte Filmklassiker neu nachdrehen. Somit wird aus der anfänglichen Lüge eine Wahrheit.
Ich sagte, dies ist eine Liebesgeschichte, und tatsächlich beginnt sie so: mit meiner Liebe zum Kino, so rein wie nur irgendwas. Kino machen, gucken, denken. Ich werde eine Kinomaschine, eine einäugige Schöpferin. Leseprobe
Ein Episodenroman, der mit Stilmitteln des Films arbeitet
Und dann setzt Dana Spiottas Roman einen harten Schnitt. Wie im Film. Eine gewisse Jelly steht plötzlich im Mittelpunkt. Es geht zurück in die 1970er Jahre, in denen Jelly aufgrund einer Hirnhautentzündung kurzzeitig erblindet und Oz kennenlernt, der nie wieder sehen wird, aber eine besondere Gabe hat. Nicht umsonst ist sein Name eine Anspielung auf den Filmklassiker "The Wizard of Oz". Er ist ein Meister des so genannten Phone Phreaking, bei dem man sich anhand von Pfeiftönen in Telefonleitungen einhakt.
Oz pfiff einige Nummern, und kurz darauf waren alle mit einem Mann in der amerikanischen Botschaft in Ägypten verbunden. Leseprobe
In Dana Spiottas Roman trifft das Visuelle auf das Hörbare. Das Bild steht dem Wort gegenüber. Diesen Kontrast verkörpern Meadow und Jelly. Als Leserin und Leser fragt man sich lange, was die beiden Frauenfiguren miteinander zu tun haben. Meadow lernt Jelly irgendwann kennen und macht einen Dokumentarfilm über Jellys schwieriges Leben. Meadows Filmarbeit ist gnadenlos, was ihre Freundin Carrie abschreckt. Die Freundschaft zerbricht. Meadow hadert mit sich.
Jelly in diesem beschissenen Film. Das war das Schlimmste. Ich wusste, dass es demütigend wird für Jelly. Ich habe es inszeniert und wofür? Ich lüge andauernd. Die Menschen, die ich filme, mich selbst. Leseprobe
Am Ende siegt das Wort
Ob das eine von Meadow inszenierte Läuterung oder ernst gemeint ist, bleibt offen. Mit "Die schönere Lüge" hat Dana Spiotta einen interessanten Episodenroman geschrieben, der unterschiedliche Figuren ausleuchtet. In manchen Leben wird der Schatten immer größer. In anderen bleibt es trotz widriger Umstände hell. Vielleicht siegt am Ende das Wort über das Bild. Denn in gesprochenen Sätzen, die man sanft ins Telefon haucht, können womöglich größere Filme entstehen als auf der Leinwand.
Die schönere Lüge
- Seitenzahl:
- 304 Seiten
- Genre:
- Roman
- Zusatzinfo:
- Übersetzt von Miriam Mandelkow
- Verlag:
- Kjona
- Veröffentlichungsdatum:
- 18. Februar 2025
- Bestellnummer:
- 978-3-910372-40-5
- Preis:
- 25 €
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