Bildung gegen Wohnen: Bildungsbuddies in Bremerhaven
Eine Schule in Bremerhaven hat zusammen mit der Hochschule Bremerhaven das Projekt "Bildungsbuddies" ins Leben gerufen: Studierende helfen Schülerinnen und Schülern in der Schule - und bekommen dafür ein kostenfreies Zimmer im Studentenwohnheim.
Mahmut hat manchmal noch Schwierigkeiten mit der deutschen Sprache. Er ist 13 und geht in die sechste Klasse der Schule am Ernst-Reuter-Platz in Bremerhaven-Lehe. Zu Hause spricht er viel Arabisch, weil seine Mutter noch nicht so gut Deutsch spricht. Neben ihm im Unterricht sitzt heute Omar Abdelal. Er ist 24 und studiert eigentlich "Gründung, Innovation und Führung" an der Hochschule Bremerhaven.
Bremerhavener Bildungsbuddies unterstützen und helfen
Omar ist ein sogenannter Bildungsbuddy und unterstützt die Schüler: "Meistens sind es ein paar mehr Schülerinnen und Schüler, sodass die Lehrerin oder der Lehrer irgendwo hilft und ich an einer anderen Stelle helfe. Oder ich setze mich einfach dazu und helfe ein bisschen organisatorisch, wenn ein Schüler seine Sache nicht auf die Reihe kriegt. Ganz reguläre Hilfe im Unterricht - manchmal auch, um die Kinder zu beruhigen, wenn die zu laut sind."
Erfahrungen sammeln als Ausgleich zum Studium
Ein paar Klassenzimmer weiter in der fünften Klasse hilft Bildungsbuddy Lea Kuhlmann im Unterricht. Sie ist 25 und studiert an der Hochschule Bremerhaven "Logistic Engineering". Sie ist eine große Hilfe zum Beispiel für die zehnjährige Jasmin: "Lea hat mir bei Englisch geholfen. Ich konnte in Englisch noch nicht so gut die Uhr lesen. Deswegen hat sie mir das beigebracht."
Für Lea ist es das erste Mal, dass sie mit Kindern in dem Alter zu tun hat. Aber es mache ihr Spaß, sagt sie, - "ein echt guter Ausgleich zum Studium. Ich habe eher mit technischen Fächern zu tun. Soziales ist da eigentlich gar nicht bei. Deswegen kann man hier richtig schön abschalten. Das sind die einzigen Stunden der Woche, an denen ich wirklich gar nicht an die Uni denke. Das ist für mich dann auch mal ganz entspannt."
Vorbilder für Kinder aus sozialen Brennpunkten
Die Bildungsbuddies sollen keine Ersatzlehrer sein - das ist der Schule wichtig. Sie sollen die Schülerinnen und Schüler unterstützen - im Unterricht, in der Pause oder auch privat. Die Schule am Ernst-Reuter-Platz liegt in Bremerhaven in einem sozialen Brennpunkt. Viele der Kinder kämen aus Familien, in denen es selten Verbindungen zu Akademikern gibt, sagt Marion Oehmsen vom Netzwerk Schule, Wirtschaft und Wissenschaft. Die Bildungsbuddies sollen Vorbilder sein für Schülerinnen und Schüler aus schwierigen Verhältnissen: "Wir wollen, dass alle Kinder möglichst in der Gesellschaft ankommen. Und diese Vorbilder zu haben, die einfach das repräsentieren, was sie vielleicht selbst an Sehnsüchten haben - das, glaube ich, ist der Kern der Geschichte."
Hilfe im Unterricht gegen Wohnheimzimmer
Das klappt zum Beispiel bei Mahmut und Bildungsbuddy Omar. Im Unterricht ist er Mahmut eine große Hilfe, aber auch privat treffen sich die beiden regelmäßig - gehen zum Beispiel zusammen zum Sport: "Ich kann mich noch an eine Situation erinnern, wo ich ihn in der Stadt getroffen habe und er zu seinen Kollegen gesagt hat: Das ist mein großer Bruder, also sinnbildlich. Ich fühle mich auch wirklich so, dass ich ein bisschen Verantwortung trage."
Ganz umsonst machen die Studierenden das nicht: Im Gegenzug, dass sie 20 Stunden im Monat arbeiten, bekommen sie ein Zimmer in einem Studentenwohnheim bezahlt. Finanziert wird das von der Dieckell-Stiftung.
Bildungsbuddies: Ein Projekt mit Zukunft
Sieben Bildungsbuddies gibt es in Bremerhaven inzwischen. Für Studentin Lea eine Win-Win Situation: "Es ist auf jeden Fall ein Mehrwert für alle. Ich glaube schon, dass so ein Projekt Zukunft hat. Und ich fände es auch gut, wenn es noch mehr Plätze gäbe."
Omar sieht es ähnlich. Er ist überzeugt von dem Projekt. Es helfe den Kindern, den Lehrkräften - und auch ihm selbst. "Das hat nachhaltig meine Sicht auf einige Dinge geändert. Man bekommt hier Schicksalsschläge mit - und das hat mich 100-prozentig verändert. Natürlich bringt mich das auch weiter, weil ich viel sensibler geworden bin und Sachen mehr verstehe. Vorher hatte ich leider eine sehr privilegierte Sicht auf einige Dinge. Ich habe mir das immer wegrationalisiert, ohne die Emotionen dahinter zu kennen und zu verstehen. Mittlerweile ist das anders."
Schlüssel zum Entdecken
Seit mehr als zwei Jahren läuft das Projekt an der Schule am Ernst-Reuter-Platz. Schulleiterin Nicole Wind ist überzeugt, dass die Kinder, die von Bildungsbuddies unterstützt werden, im Unterricht viel ruhiger geworden sind. Für sie steht fest: Die Kinder haben eine Bezugsperson gefunden, die sie zu Hause oft nicht haben. "Häufig ist es so, dass die Kinder aus Lehe diese Straßenzüge im Grunde nicht verlassen und den Rest von Bremerhaven überhaupt nie kennengelernt haben - und auch nicht, welche Möglichkeiten es hier gibt. Es ist also ein Schlüssel zum Entdecken der Stadt, zum Entdecken des Lebens. Das ist genau richtig so." Sie hofft, dass die Idee, dass Studierende im Unterricht helfen und dafür kostenlos wohnen dürfen, auch in anderen Städten Anklang findet.