Artenschutz: "Wir haben viele Jahrzehnte den falschen Fokus gehabt"
Bei der Uno-Biodiversitätskonferenz in Montreal hofft man, dass sich die Staatengemeinschaft auf einen sinnvollen Weg zum Artenschutz einigen kann. Bisher ist das nie gelungen.
"Die Chancen standen noch nie so gut, dass wir diese große Krise tatsächlich gemeistert bekommen", sagt Matthias Glaubrecht, Professor für Biodiversität in Hamburg und Leipzig, im Interview.
Herr Glaubrecht, warum soll es dieses Mal funktionieren?
Matthias Glaubrecht: Wir haben viele Jahrzehnte den falschen Fokus gehabt. Wir haben gedacht, dass Artenschutz erfordert, dass wir einzelne Arten schützen, dass wir uns also um das Breitmaulnashorn um den Elefanten um den Pangolin kümmern. Ich glaube, es ist jetzt verstanden worden, dass wir die einzelnen Arten nur dann schützen, wenn wir deren Lebensräume schützen. Denn der Hauptverursacher der Biodiversitätskrise ist, dass wir Arten verlieren, weil die ihren Lebensraum verlieren. Wir müssen also die Lebensräume schützen, wir müssen die Natur flächenmäßig schützen. Genau dieses Flächenziel, nämlich bis 2030 30 Prozent der Erdoberfläche wirkungsvoll unter Naturschutz zu stellen - das ist das, was die Staatengemeinschaft jetzt verbindlich verabreden soll.
Das erforschen Sie als Wissenschaftler. Sie waren aber auch Kurator und viele Jahre Direktor des heutigen Museums der Natur Hamburg. Wie gehen Sie an eine Ausstellung über Artenvielfalt und Biodiversität oder über die Natur im Allgemeinen heran? Was ist möglich, mit einer Ausstellung in diesem Bereich zu leisten?
Glaubrecht: Ich war fast 20 Jahre am Berliner Naturkundemuseum, und da haben wir noch eine Ausstellung über die Entdeckung, über die Vielfalt der Biodiversität gemacht. Ein paar Jahre später, als ich das Zoologische Museum in Hamburg übernommen habe und wir die Ausstellung neu gemacht haben, da war klar, dass wir den Wandel der Biodiversität und den Menschen als Evolutionsfaktor betonen müssen. Deswegen wollen wir das neue Naturkundemuseum, was es jetzt in Hamburg geben soll, mit einem anderen Fokus ausstatten. Deswegen soll es auch "Evolutioneum" heißen. Wir wollen den Menschen als Evolutionsfaktor in den Vordergrund stellen, sagen, was wir der Evolution als Menschheit verdanken, aber auch, welche Gefahr wir inzwischen für die Biosphäre geworden sind. Ich glaube, dass das für die Besucher eine sehr spannende Auseinandersetzung mit der Natur werden kann
Und wahrscheinlich auch ein ganz schwieriger Grat: Was traut man den Besucherinnen und Besuchern zu, wie viel Katastrophenszenarien und wie viel Schönheit? Im Naturhistorischen Museum Braunschweig zum Beispiel wird gerade eine Fotoausstellung mit faszinierenden Aufnahmen von Tieren gezeigt, sehr kunstvoll ausgeleuchtet. Wenn wir da das Artensterben mitdenken, was können solche Bilder in uns bewirken? Zeigen sie nicht, dass doch alles okay ist?
Glaubrecht: Wir haben zu lange betont, es sei alles gut da draußen. Das haben uns die Fernsehdokumentationen auch immer vorgegaukelt. Aber mit diesen Bildern evozieren wir auch positive Empfindungen. Wir wissen ja, dass wir uns an der Schönheit der Natur erfreuen. Wir verbringen gerne viel Zeit draußen, in den Wäldern, im Grünen, weil wir wissen, dass wir ohne diese Ökosysteme gar nicht existieren können. Diese Biodiversität ist unsere Lebensversicherung. Es muss gelingen, mit diesen positiven Gefühlen, mit der wir die Natur begreifen, zu verstehen, dass das nicht nur etwas ist, das schön ist zu haben, als "add-on" am Feierabend, sondern dass das für uns ganz unverzichtbar ist. Es ist eine Gratwanderung, ähnlich wie beim Arzt: Wenn Sie dahin gehen, wollen Sie schon eine ehrliche Diagnose über eine Erkrankung haben. Gleichzeitig treten Sie dann aus der Arztpraxis nach draußen und da scheint die Sonne, da ist blauer Himmel, Sie erfreuen sich am Leben, und das bringt Sie dazu, zu sagen: Ich will das und deshalb muss ich etwas gegen diese Krankheit tun. Wir brauchen beide Facetten und wir müssen nicht nur über Emotionen arbeiten, sondern auch über Rationalität. Das ist die große Herausforderung im 21. Jahrhundert - neben dem Klimawandel -, diese Artenkrise tatsächlich zu meistern.
Also kann uns eine schöne Tierfotografie ins Handeln bringen?
Glaubrecht: Ich glaube, dass eine Landschaftsaufnahme, eine Tierfotografie sehr viel transportieren kann. Wir müssen in den Ausstellungen von der Flachware weg, wir müssen versuchen, die Menschen wieder an die Natur heranzuführen. Wir wollen das tun, indem wir ihnen nicht nur Bilder zeigen, sondern indem wir ihnen auch Objekte zeigen, indem wir diese Tiere in inszenieren, indem wir naturwissenschaftliche Zusammenhänge inszenieren. Ich glaube, all das wird dazu beitragen, dass die Menschen sich für diese Zusammenhänge interessieren, begeistern und dann auch engagieren. Und ich glaube, dass die Naturkundemuseen da eine ganz große und wichtige Rolle spielen.
Gibt es einen Hoffnungsschimmer und wie sieht er aus?
Glaubrecht: Wir wussten noch nie so viel über diese Zusammenhänge. Wir haben die technischen und kommunikativen Möglichkeiten, uns untereinander sehr schnell darüber zu verständigen. Wir haben alle Teile zusammen, die wir brauchen, zu beweisen, dass wir unseren Namen, den wir uns lateinisch gegeben haben, Homosapiens, der weise Mensch, dass wir dem gerecht werden. Die Chancen standen noch nie so gut, dass wir diese große Krise tatsächlich gemeistert bekommen.
Das Interview führte Mischa Kreiskott.