"Oslo Stories: Liebe": Sprachgewaltiges Drama über Nähe und Intimität
Der Auftakt zu Dag Johan Haugeruds "Oslo"-Trilogie begleitet seine Figuren auf einer Reise zu sich selbst. Existenzielle Themen entfalten sich in fast schon aufreizend entspannt inszenierten Dialogen.
Der diesjährige Berlinale-Gewinner-Film "Oslo Stories: Träume" ist der zweite Teil einer Trilogie, die jetzt in kurzen Abständen ins Kino kommt. Den Auftakt macht "Oslo Stories: Liebe". Der norwegische Regisseur Dag Johan Haugerud ist auch Romanautor, und vielleicht spielt Sprache deshalb eine große Rolle auch in seinen Filmen. Alle drei Episoden der Oslo-Trilogie kreisen um verschiedene Aspekte von Liebe und Begehren. In dem ersten geht es um die Frage, ob beides auch außerhalb der klassischen Beziehung zu finden und lebbar ist.
Kann unverbindliche Nähe glücklich machen?
"Manchmal, wenn ich nicht schlafen kann und ruhelos bin, fahr' ich Fähre, und dabei halte ich nach Männern Ausschau." Filmszene
Krankenpfleger Tor erzählt seiner Kollegin, der Urologin Marianne, auf der Fähre zwischen Oslo und der Fjord-Insel, auf der er wohnt, von seinen Zufallsbekanntschaften. Er entdeckt sie meist über Datingapps wie Tinder oder Grindr.
Marianne findet die Vorstellung reizvoll, Nähe und Intimität ganz unverbindlich auszuleben. Sie war nie verheiratet, ist kinderlos, und lässt sich gerade zögerlich auf eine Affäre mit einem zweifach geschiedenen Geologen ein. Er lädt sie zum Essen ein, man redet, kommt sich näher, ein erster Kuss, das Übliche. Es könnte eine Beziehung draus werden. Aber dann sehen wir sie auch nachts mit einer Fährenbekanntschaft im Hafenbecken. Ihrer Freundin erzählt sie:
"Es hat mich glücklich gemacht, ich hab' mich frei gefühlt, die zwanglose Nähe zu einem Fremden kann sich wirklich gut anfühlen. Sich einfach auf der Fähre zu treffen, das war viel unverbindlicher als ein Date, nicht, wie wenn man sich auf Tinder verabredet oder in einer Bar auf der Lauer sitzt." Filmszene
Worte und Dialoge statt starker Bilder
Vielleicht will jeder Mensch beides: das Feste und das Unverbindliche. Um die Ambiguitäten und verschiedenen Facetten von Liebesbeziehungen kreisen die "Oslo-Stories" von Dag Johan Haugerud. Und darum, andere Sichtweisen zuzulassen. Das alles vermittelt sich vor allem über Dialoge. Handlungsarm und wortreich sind seine Filme, der Text dominiert die Bilder. Haugerud findet: "Auch Dialoge beinhalten Handlung." Für ihn gehe es in Filmen nicht in erster Linie um Bilder. Worte und Dialoge seien sehr wichtig, sie würden widerspiegeln, wer wir sind.
Da spricht auch der Romanautor und Bibliothekar Haugerud, der in seinen drei Filmen Szenarien untersucht, die sich außerhalb der Konventionen bewegen. Vor allem für Frauen, sagt er, die sich dafür rechtfertigen müssen, wenn sie sich Sexabenteuern hingeben, wie Marianne. Aber auch ihr schwuler Kollege Tor wird eine neue Erfahrung machen, nämlich dass in einer Männerbekanntschaft der Sex nicht die Hauptrolle spielen muss. Haugerud setzt sein Thema auch in etwas konstruiert wirkende Bezüge zur Geschichte der Stadt Oslo, zu ihren geologischen Formationen - nichts ist beständig, heißt es da. Und zu Krebsdiagnosen, mit denen Mariannes Patienten in der Regel nicht klarkommen. Was sie zu der Erkenntnis bringt:
"Eins hab' ich gelernt: dass der Körper ein Schlachtfeld ist, und wir profitieren davon, wenn wir uns zu Herzen nehmen, die Dinge anzunehmen, und sie nicht zu bekämpfen. Das gilt nicht nur für Krankheiten, das gilt auch für die Sexualität." Filmszene
Interessante Gedanken über die menschliche Verfasstheit
"Oslo Stories: Liebe" ist von durchweg sympathischen Figuren bevölkert, die in großer Natürlichkeit durchaus interessante Gedanken über die menschliche Verfasstheit austauschen. In sanfter, entspannter Atmosphäre und in teils stimmungsvollem Ambiente - immer wieder sieht man zum Beispiel die nächtliche Silhouette der Stadt. Aber Haugerud könnte dem, was seine Figuren beschäftigt, mehr Nachdruck verleihen, wenn er es etwas mehr szenisch ausgestalten würde. Wenn nicht nur die Rede davon wäre, was Tor empfindet, wenn er über die Dating-App Männern auf der Fähre begegnet:
"Mir geht es dabei vor allem um den Nervenkitzel, wenn sich die Blicke treffen, und man weiß, dass beide 'on' sind." Filmszene
Oslo Stories: Liebe
- Genre:
- Drama
- Produktionsjahr:
- 2024
- Produktionsland:
- Norwegen
- Zusatzinfo:
- Mit Andrea Bræin Hovig, Tayo Cittadella Jacobsen, Marte Engebrigtsen und anderen
- Regie:
- Dag Johan Haugerud
- Länge:
- 119 Minuten
- FSK:
- ab 12 Jahren
- Kinostart:
- 17. April 2025
Schlagwörter zu diesem Artikel
Spielfilm
