Stand: 30.03.2020 17:53 Uhr

Harmloser als Grippe? Fake News rund um Sars-CoV-2

Eine Person hält sich ein Taschentuch vor die Nase. © Colourbox Foto: -
Die hervorgerufenen Symptome ähneln sich, aber anders als beim Coronavirus gibt es gegen Grippe eine Schutzimpfung.

Im Zusammenhang mit dem Coronavirus kursieren im Internet etliche Falschmeldungen - vor allem in den sozialen Medien. Dabei sorgen immer wieder auch Meldungen und Videos vermeintlich seriöser Wissenschaftler für Aufmerksamkeit, die die zur Eindämmung des Virus beschlossenen Maßnahmen für falsch und übertrieben halten und sogar behaupten, das neuartige Coronavirus Sars-CoV-2 sei gar nicht gefährlich. In für Laien überzeugend klingenden Argumentationsketten leugnen sie konsequent den aktuellen Stand der Wissenschaft und säen so Wut und Zweifel in der Bevölkerung.

Vorsicht vor Scheinexperten

Experten kritisieren solche gezielt produzierten Desinformationsvideos als unverantwortlich. Tatsächlich lässt sich eine methodisch gut begründete Hypothese in der Wissenschaft nicht unterdrücken. Deshalb sollten auch Laien sehr skeptisch werden, wenn Scheinexperten die offene Debatte in der Fachwelt scheuen und sich lieber nur an ein Laienpublikum wenden.

Ist Corona vergleichbar mit der Grippe?

Ein zentraler Punkt in der Argumentation der Corona-Zweifler ist, dass es keinen Unterschied zur herkömmlichen Grippe gebe, die durch das Influenza-Virus ausgelöst wird. Tatsächlich ähneln sich die Symptome wie Fieber, Halsschmerzen und trockener Husten - und bei beiden Infektionen kommt es in schlimmen Fällen zu einer lebensbedrohlichen Lungenentzündung. Dennoch hinkt der Vergleich, denn der entscheidende Unterschied ist, dass es sich bei dem neuartigen Coronavirus eben um ein neuartiges Virus handelt. Influenzaviren verändern sich zwar ständig und führen deshalb jedes Jahr zu mehr oder weniger ausgeprägten Epidemien. Diese verlaufen aber meist milde, weil die Menschen teilweise immun sind. Das bedeutet, ihr Immunsystem kennt Teile der Viren schon und kann so schnell etwas gegen sie ausrichten. Das ist bei Sars-CoV-2 anders, dieser Erreger trifft das Immunsystem völlig unvorbereitet.

Sars-CoV-2-Viren sind ansteckender als Influenzaviren

Sars-CoV-2-Viren sind zudem ansteckender als die Grippe. Wer mit dem neuen Coronavirus infiziert ist, steckt vermutlich zwei bis drei weitere Personen an, bei der Grippe sind es im Durchschnitt nur 1,3. Deshalb kommt es bei der aktuellen Pandemie zu einer exponentiellen Zunahme der Infektionen, die unser Gesundheitssystem zu überlasten droht. Zum Vergleich: US-Epidemiologen haben errechnet, dass eine Person mit Grippe ohne Schutzmaßnahmen innerhalb von zwei Monaten 386 Personen infizieren kann, von denen vier im Krankenhaus behandelt werden müssen. Eine Person mit Sars-CoV-2 dagegen kann innerhalb der selben Zeit 99.000 Infektionen verursachen. Bis zu 20.000 der Patienten müssen im Krankenhaus behandelt werden und etwa 1.000 versterben.

Längere Inkubationszeit als bei Grippeviren

Sars-CoV-2-Viren haben eine deutlich längere Inkubationszeit als Grippeviren. Eine Grippe führt innerhalb von ein bis zwei Tagen nach der Infektion zu Krankheitssymptomen. Covid-19, die durch Sars-CoV-2 ausgelöste Erkrankung, bricht erst fünf bis 14 Tage nach der Infektion aus - und in der Zwischenzeit kann ein Infizierter bereits andere Menschen anstecken, ohne es zu ahnen.

Ein wichtiger Unterschied ist auch, dass es gegen Grippe eine Schutzimpfung gibt. Die muss zwar jährlich erneuert werden, mildert aber die Krankheitsverläufe stark ab. Diese Chance gibt es Sars-CoV-2 derzeit nicht.

Unterschiede bei der Sterblichkeit

Unterschiede gibt es auch bei der Sterblichkeit. Während die Corona-Zweifler behaupten, es gebe keine gestiegenen Todeszahlen und die Maßnahmen der Behörden seien unnötig, stauen sich in Italien, Spanien und anderen Ländern die Särge vor den Krematorien. Covid-19 führt nach bisherigen epidemiologischen Erkenntnissen zu mehr Todesfällen als die Grippe. Die Sterberate von Influenza liegt bei 0,1 bis 0,2 Prozent, das heißt ein bis zwei von 1000 Infizierten versterben. Die Sterberate für Covid-19 dagegen wird in Deutschland aktuell auf 0,5 Prozent geschätzt. Auch wenn sich die tatsächliche Sterberate für Sars-CoV-2  aufgrund der unklaren Dunkelziffer noch nicht abschließend ermitteln lässt, gibt es Hinweise darauf, dass sie höher liegt als bei der Influenza.

Das Hauptproblem ist aber nicht die absolute Sterberate, sondern dass bei einer Pandemie sehr viele Menschen in kurzer Zeit erkranken. Und das kann schnell zu einer Überlastung der Gesundheitssysteme führen. Auch wenn die drastischen Maßnahmen der Politik zur Eindämmung der Pandemie gravierende wirtschaftliche Auswirkungen haben werden, gibt es dazu nach einhelliger Expertenmeinung keine Alternative.

Zum Thema Coronavirus kursieren etliche Falschmeldungen

Neben Verschwörungstheorien zum Ursprung der Corona-Pandemie werden derzeit auch immer wieder gesundheitsbezogene Falschmeldungen und haltlose Heilsversprechen verbreitet. Sie führen nicht nur verunsicherte Menschen hinters Licht, sondern gefährden im Extremfall sogar Leben. Einige Beispiele:

  • Homöopathie: Bereits seit einiger Zeit kursiert eine Falschmeldung, das indische Gesundheitsministerium habe ein homöopathisches Präparat zur Prävention der Corona-Infektion empfohlen. Zudem gebe es homöopathische Mittel für die Prophylaxe und Behandlung von Covid-19. Der Verband klassischer Homöopathen Deutschlands e.V. hat zu diesen Gerüchten Stellung bezogen und rät seinen Mitgliedern dringend, sich an die Vorgaben der offiziellen Stellen des Robert Koch-Instituts und des Bundesministerium für Gesundheit zu halten und keine Ratschläge zur Verwendung einzelner Arzneien zur Prophylaxe oder Behandlung der Erkrankung zu verbreiten. Auch einige Verbraucherzentralen warnen vor unseriösen Anbietern homöopathischer Arzneien zur Vorbeugung oder Behandlung einer Corona-Infektion.
  • Trinklösungen mit Chlordioxid (Miracle Mineral Solution, MMS): Weltweit warnen Experten derzeit vor der Einnahme von Chlordioxid- oder MMS-Trinklösungen, die angeblich gegen zahlreiche schwere Erkrankungen helfen sollen, darunter auch gegen Covid-19. Während die Behauptungen über eine heilsame Wirkung unhaltbar sind, haben diese Präparate bereits in etlichen Fällen zu schweren Vergiftungen geführt. Eine im Zusammenhang mit diesen Rezepturen immer wieder zitierte Studie bezog sich nicht nur auf einen anderen Coronavirus-Stamm, sondern auch darauf, ob das Virus in Wasser überleben und wie es effektiv durch Desinfektionsmittel im Wasser abgetötet werden könnte. Chlordioxid wird industriell unter anderem zum Bleichen von Textilien verwendet. Eine Einnahme ist für Menschen sehr gefährlich und hilft nicht gegen Krankheiten. Ein Einsatz dieser giftigen Chemikalie in einer Trinklösung war daher auch nie Gegenstand der Studie. Dennoch werden nicht nur fertige MMS-Lösungen angeboten, sondern auch Rezepte zur eigenständigen Zubereitung der gefährlichen Mixtur verbreitet.
  • Luftanhalten als Schnelltest auf das Coronavirus: Als Kettenbrief wurde ein angeblicher Rat von Experten aus Taiwan massenhaft verbreitet. Danach habe jemand, der tief einatmet und dann problemlos für zehn Sekunden die Luft anhalten kann, keine Fibrose in der Lunge und könne sich somit nicht mit Sars-CoV-2 angesteckt haben. Tatsächlich ist das Luftanhalten als Test für eine Ansteckung mit dem neuen Coronavirus völlig ungeeignet: Zu Beginn der Ansteckung vermehrt sich dieses Virus vor allem im Rachen, nicht in der Lunge. Zudem können andere Erkrankungen wie Asthma das Luftanhalten erschweren. Ob ein Mensch zehn Sekunden lang die Luft anhalten kann oder nicht, kann also viele verschiedene Gründe haben. Zudem ist eine Fibrose kein Symptom von Covid-19.
  • Vitamin C als Wunderwaffe gegen das Coronavirus: Ein weiteres Gerücht in den sozialen Medien führt den Rückgang der Infektionen in China darauf zurück, dass die chinesische Regierung Vitamin C in der Bevölkerung verteilte. Tatsächlich gibt es nach bisherigen Erkenntnissen keinerlei Hinweise, dass die Einnahme hochdosierter Vitamin-C-Produkte vor oder während einer Covid-19-Erkrankung helfen könnte. Auch wenn Vitamin C bei Erkältungskrankheiten die durchschnittliche Krankheitsdauer von einer Woche in einigen Fällen um einen halben bis einen Tag verringern kann, gilt ein nennenswerter Effekt auf eine Infektion mit Sars-CoV-2 als höchst unwahrscheinlich.
  • Nahrungsergänzungsmittel: Vielfach angebotene alternative Heil- und Nahrungsergänzungsmittel gelten bei Experten derzeit als besonders gefährlich. Hersteller behaupten, die Mittel würden das Immunsystem massiv stärken, suggerieren eine nicht vorhandene Wirkung und wiegen Verbraucher so in falscher Sicherheit. Bevor man zu den meist stark überteuerten Produkten greift, sollte man sich deshalb genau bei unabhängigen Quellen informieren. Bei hochdosierten Nahrungsergänzungsmitteln sollte zudem ärztlicher Rat eingeholt werden, um Unverträglichkeiten oder gefährliche Überdosierungen zu vermeiden. Tatsächlich ist kein Nahrungsergänzungsmittel in der Lage, vor dem neuartigen Coronavirus zu schützen oder eine Infektion zu verhindern. Als Beweise zitierte Studien beziehen sich in der Regel auf andere (Corona-)Viren und sind damit für das aktuelle Virus nicht aussagekräftig.

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Helfen Malaria-Medikamente?

Als möglicher medizinischer "Durchbruch" bei der Behandlung von Covid-19 werden immer wieder bekannte Wirkstoffe wie Hydroxychloroquin und das eng verwandte Chloroquin genannt. Sie werden vor allem gegen Malaria eingesetzt. Tatsächlich ist bislang kein klinischer Nutzen von Chloroquin und Hydroxychloroquin bei Infektionen mit Sars-CoV-2 belegt. Beide sollten derzeit zur Therapie von Covid-19 nur im Rahmen klinischer Studien verwendet werden. Zwar bremst Chloroquin in Zellkulturen die Vermehrung vieler verschiedener Viren, darunter auch Sars-CoV-2. Doch dies bedeutet nicht, dass es auch infizierten Menschen helfen kann. Deshalb gehören Chloroquin und Hydroxychloroquin zu den Wirkstoffen, die aktuell gegen Covid-19 getestet werden. Von einem eigenständigen Einsatz dieser nebenwirkungsreichen Medikamente außerhalb der Studien wird aber dringend abgeraten, zumal selbst verabreichte Chloroquin-Dosen gegen Covid-19 in den USA und in Afrika bereits zu Todesfällen geführt haben. Insbesondere warnen Experten vor der Kombination von Chloroquin mit dem Antibiotikum Azithromycin, die zum Herzstillstand führen kann. Sollte sich diese Therapie tatsächlich als wirksam gegen Covid-19 erweisen, dürfte sie deshalb nur unter EKG-Monitor-Kontrolle und  intensivmedizinischer Überwachung verabreicht werden.

Verwirrung um das Schmerzmedikament Ibuprofen

Eine angebliche Warnung der Universität Wien, dass das Schmerzmedikament Ibuprofen die Symptome von Covid-19 verstärke und die Vermehrung des Virus beschleunige, verbreitete sich zunächst in den sozialen Medien. Die zitierte Universität dementierte diese Falschmeldung umgehend. Doch dann sorgte die Weltgesundheitsorganisation WHO kurze Zeit für Verwirrung, weil sie bei Verdacht auf eine Infektion mit dem neuartigen Virus vor einer Einnahme von Ibuprofen ohne ärztlichen Rat warnte, diese Warnung aber kurz darauf wieder zurücknahm. Tatsächlich gibt es keine belastbaren wissenschaftlichen Belege für einen spezifischen negativen Effekt von Ibuprofen auf das Infektionsrisiko und den Krankheitsverlauf von Covid-19. Allerdings gibt es gute Gründe, bei schweren Atemwegsinfektionen und damit auch bei der in ihrem Verlauf noch wenig bekannten Covid-19-Erkrankung auf sogenannte nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR) besser zu verzichten und - falls eine Fiebersenkung überhaupt erforderlich ist - Paracetamol vorzuziehen.

So erkennen Sie Fake News und unseriöse Therapie-Ratschläge

Wer sichergehen will, nicht auf unseriöse Angebote und fragwürdige Inhalte hereinzufallen, sollte auf die folgenden Warnzeichen achten:

  • Es werden Behandlungen angepriesen, die eine Corona-Infektion verhindern oder Covid-19 heilen sollen.
  • Die Ausbreitung oder Gefährlichkeit des Coronavirus wird stark verharmlost.
  • Es werden Empfehlungen gegeben, die denen der Gesundheitsbehörden widersprechen.
  • Im Umfeld der Texte erscheint Werbung zu einem passenden Produkt.
  • Direkt oder über verlinkte Seiten werden passende Produkte verkauft.

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Experte zum Thema

Univ.-Prof. Dr. med. André Karch, MSc, Stv. Institutsdirektor, Leiter Klinische Epidemiologie
Institut für Epidemiologie und Sozialmedizin
Westfälische Wilhelms-Universität Münster
Albert-Schweitzer-Campus 1
48149 Münster
www.medizin.uni-muenster.de/epi

Dieses Thema im Programm:

Visite | 31.03.2020 | 20:15 Uhr

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