Ukraine-Krieg: Wenn Kultur zur Zielscheibe wird
"Zerstörung der Kultur ist Zerstörung der Identität", sagt die ukrainische Kunsthistorikerin Olena Balun im Interview. In dem russischen Angriffskrieg sieht sie Parallelen zum Nationalsozialismus.
In ganz Europa raubten die Nationalsozialisten Kunst- und Kulturgegenstände. Am Vorabend des Gedenkens an die Pogromnacht vom 9. November 1938 widmete sich eine Veranstaltung der Körber-Stiftung in Kooperation mit NDR Kultur diesem Thema. Der Titel: "Raub und Zerstörung. Wenn Kultur zur Zielscheibe wird". Am Gespräch nahm auch die ukrainische Kunsthistorikerin Olena Balun teil.
Frau Balun, "Raub und Zerstörung. Wenn Kultur zur Zielscheibe wird" - für Sie ist das ganz sicher kein Thema, das der Vergangenheit angehört. Sie kommen gerade wieder aus der Ukraine. Wie erleben Sie das aktuell dort? Inwiefern wird dort die Kultur zur Zielscheibe?
Olena Balun: Kultur ist schon seit langem Zielscheibe in diesem Krieg. Es ist auch historisch so, dass Kultur sehr lange Zielscheibe in der russischen Kolonialpolitik war. Fremdaneignung und Zerstörung sind nicht neu gewesen - jetzt ist es wieder da, es werden Museumsbestände geraubt, Baudenkmäler beschädigt, und das mit immer neuer Wucht, leider Gottes.
Was ist Ihre Beobachtung, welche Kulturgüter sind besonders gefährdet?
Balun: Sicher ist jetzt gar nichts. Natürlich ist da, wo die Kampfhandlungen stattfinden, schon sehr viel Schaden entstanden. In Mariopol, Melitopol, Cherson sind die Museumsbestände zum Beispiel geraubt worden. Die Innenstadt von Kiew war auch sehr stark betroffen. Das sind auch Orte, die voll mit Museen sind. Es waren die Bauten der Taras-Schewtschenko-Universität betroffen, in denen kein Fenster heil geblieben ist. Auch die Bauten der Nationalen Akademie der Wissenschaften haben Kollateralschäden erlitten. Auch die Innenstadt, die symbolisch sehr wichtig ist, wurde von dem Drohnenbeschuss sehr stark betroffen. Das passiert immer wieder. Es ist sehr schwer, auf so etwas vorbereitet zu sein, aber wir versuchen jetzt im Netzwerk Kulturgutschutz alles Mögliche zu tun, dass man mit Hilfsgütern vor Ort möglichst schnell und effektiv helfen kann.
Wie sieht denn Ihre Arbeit aus? Was können Sie tun, um die Kulturgüter, um das kulturelle Erbe der Ukraine zu schützen?
Balun: Es geht um sehr viel Koordination zwischen denen, die helfen möchten, und denen, die Hilfe brauchen. Es geht ganz konkret um Logistik, um Ankauf der Güter, die gebraucht werden. Jetzt, nach diesen Zerstörungen, die ich erwähnt habe, sind es OSB-Platten. Es sind aber auch Klimageräte, Entfeuchter, Befeuchter, Hygrometer. Es ist immer noch sehr viel Verpackungsmaterial notwendig, wenn Museen evakuiert oder wenn Bestände einfach verpackt werden und in den Räumlichkeiten aufbewahrt werden müssen, bei denen die Klimabedingungen nicht immer optimal sind. Es geht auch um Stromgeneratoren, um Powerbanks, weil 40 Prozent des Energienetzwerks beschädigt wurde, und das ist auch sehr gefährlich für die Museumsbestände. Das alles betrifft aber nur die Güter, die man bewegen kann - wenn es Baudenkmäler sind oder größere Objekte, die man nicht in einen Schutzraum bringen kann, wird es schwieriger.
Sehen Sie Parallelen zwischen der aktuellen Situation in der Ukraine und der Zeit des Nationalsozialismus?
Balun: Es ist schwer, die Geschichte zu vergleichen. Aber ich glaube, es ist der Vergleich, an dem man einiges nachvollziehen kann. Zerstörung der Kultur ist Zerstörung der Identität. Kultur ist das, was uns zu denkenden Wesen macht, zu Menschen, und die ist definitiv schützenswert. Im Laufe der Geschichte hat es zum Beispiel 130 Erlasse zum Verbot der ukrainischen Sprache gegeben. Wenn man sieht, dass Russland einen erklärten Krieg der Kultur treibt, gibt es schon Parallelen, die man hin und wieder ziehen kann.
Das Gespräch führte Friederike Westerhaus.