Führen Soziale Medien zu einer Verrohung der Sprache?
Sind das viele Englisch, das Gendern oder die Emojis im Text ein Zeichen für Sprachverfall? Der Linguist Simon Meier-Vieracker findet: "Sprache ist, was du draus machst!" - so heißt auch sein neues Buch.
Herr Meier-Vieracker, der Begriff "Ampel-Aus" ist zum Wort des Jahres 2024 gekürt worden, dicht gefolgt von "Klimaschönfärberei", "Rechtsdrift" und "Life-Work-Balance". Das sagt schon einiges über unsere Zeit aus. Wie spiegelt sich unsere Gesellschaft in der Sprache beziehungsweise im Sprachgebrauch wider?
Simon Meier-Vieracker: Speziell diese Wörter, die sie gerade gewählt haben, spiegeln nicht das wider, worum es in unserer Gesellschaft, in unserer Zeit geht, weil da meines Erachtens die Jury keine so gute Arbeit geleistet hat, weil diese Wörter - von "Ampel-Aus" mal abgesehen - so gut wie gar nicht in Gebrauch sind. Für "Klimaschönfärberei" habe ich aus dem Jahr 2024 auch nach intensiven Recherchen ganze drei Belege auftreiben können. Ich bin mir also nicht sicher, ob damit wirklich der aktuelle Sprachgebrauch gut wiedergegeben ist. Gleichwohl sind die Themen, die da zum Ausdruck kommen, bestimmt Themen, die eine aktuelle Relevanz haben. Die Wörter im Besonderen haben keine Relevanz.
Was wäre Ihrer Meinung nach ein gutes Wort gewesen?
Meier-Vieracker: Ich habe da gar keine besondere Meinung. Ich finde "Ampel-Aus" schon okay, nicht sonderlich kreativ, weil wir vor ein paar Jahren schon mal "Jamaika-Aus" hatten. Ich bin schon Wetten eingegangen, dass wir demnächst mal das "Brombeer-Aus" als Wort des Jahres haben werden. Ich beteilige mich nicht an dieser Diskussion, was das Wort des Jahres sein sollte. Ich würde mir nur wünschen, dass man das Ganze ein bisschen wissenschaftlich seriöser angeht.
Wir haben in den letzten Jahren enormen technologischen Fortschritt erlebt, gerade im Hinblick aufs Internet und Social Media. Das hat Auswirkungen auf unsere Sprache. Sie fragen sich in Ihrem Buch, ob Akronyme, Hashtags oder das Weglassen von Kommata und Punkten zu einer Verrohung der Sprache führt. Zu was für einem Ergebnissen sind Sie da gekommen?
Meier-Vieracker: Dass man es differenzierter betrachten muss. Wenn wir mal fragen, welchen Einfluss Akronyme, so etwas wie "YOLO", auf die Sprache insgesamt haben, dann muss man doch sagen, dass er marginal ist. Der weitgehende Verzicht auf Interpunktion betrifft einen sehr bestimmten Bereich, nämlich die digitale Sprachverwendung, insbesondere in dem, was wir interaktionsorientiertes Schreiben nennen, in WhatsApp-Chats zum Beispiel oder in YouTube- oder TikTok-Kommentaren, also da, wo es vor allem schnell gehen muss und die Dinge für den Moment geschrieben werden, und nicht, um noch Jahre oder gar Jahrzehnte später gelesen zu werden. In diesen Kontexten ist Interpunktion vernachlässigbar - da sind andere Dinge wichtig wie eben die Schnelligkeit.
Was wir hier sehen, ist, dass sich die Schriftsprache einen ganz neuen Bereich erobert, der früher allein der Mündlichkeit vorbehalten war. Wenn wir früher in Echtzeit interagieren wollten, dann blieb uns nur die Mündlichkeit. Inzwischen haben wir dank digitaler Medien auch die Möglichkeit, das Ganze mit der Schrift zu machen, und die Schrift passt sich entsprechend an. Der Punkt ist aber, dass das nicht auf unsere sonstige schriftsprachliche Kompetenz übergreift - zumindest gibt es keine Belege dafür. Die Befürchtung ist ja, dass die jungen Leute gar nicht mehr wissen, wie man Bewerbungsschreiben aufsetzt, weil sie so viel WhatsApp schreiben. Für diesen Schluss gibt es keine Belege. Von einer Verrohung der Sprache aufgrund von Social Media kann man nicht sprechen.
Beobachten Sie insgesamt, dass beispielsweise der Wortschatz geringer wird oder das nicht mehr so fein formuliert wird?
Meier-Vieracker: Nein, das kann ich so nicht bestätigen. Es kommt immer darauf an, wo Sie hingucken. Insgesamt wird der Wortschatz immer größer - das bringt die sprachliche Entwicklung sowieso mit sich. Es kommen jeden Tag mehr Wörter dazu, als verschwinden. Insgesamt differenziert sich der Wortschatz seit vielen Jahrhunderten immer weiter aus. Was nicht heißt, dass es einzelne Personen gibt, die einen sehr geringen Wortschatz haben. Aber ich erinnere daran, dass es das Gerücht gab, dass Konrad Adenauers öffentlicher Wortschatz nur 500 Wörter umfasste. Das stimmt so nicht, es waren wesentlich mehr. Aber er war nicht gerade bekannt dafür, dass er sonderlich ausgefeilt war, was seinen Wortschatz anbelangt, sondern er hat bewusst eine gewisse Einfachheit gepflegt.
Sie sind auf TikTok unter dem Alias @fussballinguist unterwegs und haben über 90.000 Follower. Gleichzeitig sind sie auch Linguistik-Professor an der TU in Dresden. Auf TikTok wenden Sie sich an einen bestimmten Kreis von Menschen, mit denen Sie über Dialekte, über Rhetorik in der Politik, über Phänomene der deutschen Sprache sprechen. Wen wollen Sie da erreichen, und warum machen Sie das?
Meier-Vieracker: Ich mache es zunächst mal, weil es mir Spaß macht - sonst würde ich es nicht machen. Dafür ist es zu aufwendig und manchmal auch zu aufreibend. Gerade wenn ich Videos zu politisch brisanten Themen mache, bekomme ich auch sehr viel Gegenwind, was nicht immer schön ist. Deswegen muss es mir als Grundmotiv erstmal Spaß machen. Ich erreiche da eine bestimmte Gruppe von Menschen, die sich wahrscheinlich erst mal nicht für Linguistik interessieren würden. Junge Leute, die es sich auf TikTok durch die Videos scrollen und bei einem Video von mir hängen bleiben, haben noch nie was von Linguistik gehört und würden, wenn man sie fragen würde, sich nie im Leben für Linguistik interessieren. Die kann ich aber erreichen und kann sie für mein Fach und überhaupt für Sprache begeistern. Die Rückmeldung von vielen ist, dass sie sagen: Ich habe es in der Schule immer gehasst. Aber wenn ich gewusst hätte, dass Linguistik so interessant ist, dann hätte ich mich damit schon viel früher beschäftigt. Das ist der Grund, warum ich das mache.
An Silvester sagen wir wieder so Sachen wie: "Cheerio, Miss Sophie!" oder "Guten Rutsch!". Das sind sehr positiv aufgeladene Begriffe für uns. Ist an Feiertagen ein anderer Sprachgebrauch üblich? Unterscheidet sich das von unserem Alltag?
Meier-Vieracker: Ich gehe davon aus, ja. Ich habe dazu keine empirischen Erhebungen parat, aber natürlich sprechen wir immer anlassbezogen. Wenn nun die üblichen Arbeitsroutinen wegfallen und dafür die Feiertagsroutinen dazukommen, dann wird es auch unser Sprechen bestimmen. Gerade die von Ihnen angesprochenen Floskel - in der Linguistik sagen wir auch Routineformeln - geraten sehr stark in den Vordergrund. Wobei die interessanterweise häufig begleitet werden von "... wie man so schön sagt." Man haut die Floskeln raus und reflektiert gleichzeitig darüber, dass es Floskeln sind. Das bestimmt in den Tagen, wo wir wenig Pflichten haben, trotzdem unseren Alltag.
Das Gespräch führte Friederike Westerhaus.