Ein Jahr Angriffskrieg auf die Ukraine: Wie könnte Frieden gelingen?
Vor einem Jahr begann der Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine. Ein Waffenstillstand oder Frieden scheint nicht in Sicht. "Wir müssen uns auf einen längeren Krieg einstellen", sagt die Friedensforscherin Ursula Schröder im Interview.
Frau Schröder, China hat ein Zwölf-Punkte-Papier vorgestellt, das zu Friedensgesprächen auffordert, Forderungen nach Waffenruhe beinhaltet, aber auch ein Ende der Sanktionen gegen Russland. Was halten Sie von diesem Papier?
Ursula Schröder: Es ist zunächst mal interessant, dass es überhaupt ein Papier von der chinesischen Seite gibt, weil China einer der Staaten ist, die potenziell genug Einfluss auf Russland ausüben könnten, um Russland an den Verhandlungstisch zu bewegen. Dieser Plan, der nun vorliegt, heißt korrekt: Position Chinas zur politischen Lösung der Ukraine-Krise. Das ist aus meiner Sicht gar kein Friedensplan, sondern eine Positionsbestimmung. Er zeigt nämlich keinen Plan, er hat keine Ideen oder keine konkreten Vorschläge, was jetzt passieren soll, wie die Punkte erreicht werden sollen. Und es geht auch nicht sehr um Frieden. Für mich ist es eine Positionierung, aber noch kein Friedensplan.
Gibt es denn, abgesehen davon, momentan irgendwelche Anzeichen, dass ein Jahr nach Kriegsausbruch Frieden gelingen kann oder zumindest ein Waffenstillstand?
Schröder: Ich sehe das momentan noch nicht. Ich sehe eine Situation, in der beide Seiten, insbesondere die russische, in den letzten Wochen versucht hat, zu eskalieren, aber noch nicht besonders weit gekommen ist mit dieser sogenannten Frühjahrsoffensive, die gegebenenfalls schon im Gang ist. Auf der anderen Seite sehe ich auf der ukrainischen Seite auch keinerlei Kapitulation in einer sehr schwierigen Situation. Wir müssen uns auf einen längeren Krieg einstellen und auf eine Situation, in der wir sehr lange mit Gewalt und mit kriegerischen Aktivitäten rechnen müssen, selbst wenn die massive Eskalation, die wir heute sehen, über lange Sicht zurückgefahren werden könnte.
Und wie könnte dann ein Ende dieses schrecklichen Krieges aussehen?
Schröder: Nicht alle Kriege enden. Wir kennen das insbesondere aus den Bürgerkriegen der letzten Jahrzehnte, aber auch aus zwischenstaatlichen Kriegen, dass Kriege einfach weitergehen oder sich in einen Gewaltkonflikt transformieren. Das heißt dann, dass weniger Tote pro Jahr zu beklagen sind. Aber denken Sie an Syrien - da ist auch noch Krieg. Es wird nicht mehr so viel darüber berichtet, aber das geht die ganze Zeit weiter. Eine solche Situation können wir uns in Europa nicht leisten. Das ist eine Situation, in die wir tunlichst nicht geraten sollten. Es wäre ökonomisch extrem schwierig, es wäre politisch extrem schwierig. Also muss eine politische Lösung dieses Konflikts her. Es muss sich auf lange Sicht eine Kontaktgruppe zusammenfinden, die eine konstatierte und eine multilaterale Verhandlungsinitiative voranbringt. Aber das ist momentan noch zu früh.
Sehen Sie ein Land, das da eine gute Rolle spielen könnte - außer China?
Schröder: Ich gehe davon aus, dass es - wie beispielsweise im Iran-Atomabkommen - mehrere Staaten sein werden, vermutlich in Verbindung mit einer internationalen Organisation wie den Vereinten Nationen, gegebenenfalls mit der Schweiz, die sehr viel Erfahrung mit Vermittlung hat, und gegebenenfalls auch mit Co-Mediatoren, beispielsweise Staaten, die sich die ukrainische und die russische Seite dann dazu suchen. Das könnte China sein, das könnte auf der ukrainischen Seite die USA sein. Ich gehe davon aus, dass die beste Variante eine multilaterale Gruppe von Kontaktstaaten sein wird.
Beraten Sie aktuell auch Politikakteure? Wie bringen Sie Ihr Forschungswissen ein?
Schröder: Ich leite das Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik. Wir beraten sehr viel im politischen Bereich, im Bereich der Nuklearpolitik, Atomwaffen, im Bereich der internationalen Interventionen, der gescheiterten Afghanistan-Intervention, aber auch in anderen Feldern. Wir sind da sehr aktiv und beraten unterschiedliche Bundesbehörden, aber auch den Bundestag.
Was können wir im Westen tun, um den Frieden voranzubringen?
Schröder: Wir müssen uns darauf einstellen, dass wir einen langen Atem brauchen. Aus der Friedensforschung wissen wir sehr konkret, dass Frieden harte Arbeit ist und lange dauert und dass wir nicht damit rechnen können, dass dieser ganze Spuk morgen vorbei ist. Wir müssen Solidarität zeigen, auch dadurch, dass es die deutsche Gesellschaft aushält, dass es finanzielle Einbußen durch diesen Krieg geben kann. Diese Solidarität können wir nicht im nächsten halben Jahr einfach vergessen, weil wir noch länger mit diesen politischen Problemen zu kämpfen haben werden.
Das Interview führte Eva Schramm.