Cover: Christian Kracht, "Air“ © Kiepenheuer & Witsch

Zwischen Fantasy und modernem Märchen: Christian Krachts Roman "Air"

Stand: 13.03.2025 10:06 Uhr

Schauplatz für den Roman "Air" ist ein bewachtes Rechenzentrum in Norwegen. Als Protagonist Paul es betritt, wird durch eine Sonneneruption der Planet verschluckt und Paul findet sich in einer Fantasy-Welt wieder. Das Buch ist bereits für den Preis der Leipziger Buchmesse nominiert worden.

von Knut Cordsen

"Das Leben war voller Sorgen, aber auch nicht wirklich." So lautet der erste Satz von "Air", und in diesem aus dem Englischen entlehnten "but also not really", dem lässigen Abmoderieren der aufgeblasenen Geste, hat man Christian Kracht im Kern. Man könnte sagen, in diesem Buch wird von Anfang die Luft herausgelassen. "Erste Sätze sind schön, wenn sie klappen. Ich glaube, dieser ist ganz gut", resümiert der Autor. Und damit willkommen im Spiegelkabinett des Christian Kracht, in einem Roman, der so schwer zu fassen ist wie die "Luft", die ihm den Titel gibt.

Vorlage war ein von Google und Apple genutztes Rechenzentrum

Wie kam es dazu? "Das weiß ich auch nicht", sagt Kracht. "Das kann ich Ihnen nicht erklären. Es gab eine Menge Titel, und irgendwann habe ich dann diesen gefunden. Lustigerweise gibt es keinen einzigen Roman auf der Welt, der 'Air' heißt. Obwohl das ja eigentlich so ist, als ob man einen Roman 'Wasser' nennt oder 'Nebel' oder 'Schnee' - aber 'Air' gab es noch nicht, und das fand ich dann sehr gut. Dann sagte meine Tochter: Schau mal, Papa, in dem Titel ist 'AI' drin, das fand ich dann auch gut. Aber da war es schon entschieden."

"Air" ist die sich sehr leicht lesende Geschichte des Innenarchitekten Paul, der auf einer abgeschiedenen Orkney-Insel lebt und den Auftrag erhält, das in Norwegen gelegene Green Mountain Data Center in ein "perfektes Weiß" zu kleiden. Dieses Rechenzentrum ist eine streng bewachte Kaverne, die unfassbare Datenmengen beherbergt. Dort wohne im Grunde die Cloud, schreibt der 58-jährige Kracht, der diesen Speicherort unseres digitalen Lebens vor zehn Jahren selbst besucht hat. "Das ist wirklich ganz erstaunlich. Das ist hinter einem Fjord, plötzlich sind da bewaffnete Menschen. Man kann aber da reingehen und diese riesigen Hallen bewundern, in denen Apple und Google ihre Sachen aufbewahren", beschreibt Christian Kracht den Ort, der zur Vorlage seines Buches wurde.

Sonneneruption lässt den Planeten verschwinden

Auch Paul geht dort hinein, just in dem Moment, in dem eine gewaltige Sonneneruption einen "schockwellenartigen Magnetsturm" mit Lichtgeschwindigkeit auf die Erde zurasen und alles Leben, den gesamten Planeten verschwinden lässt. Das ist dann die Stelle, wo man an Filme wie Lars von Triers "Melancholia" denkt. Kracht reagiert amüsiert: "Das ist lustig, dass Sie das erwähnen, weil: ich gehe nie aus dem Kino, ich schaue mir immer alles zu Ende an. Und bei Lars von Triers Filmen gehe ich immer raus, weil ich die wirklich so misslungen finde, so prätentiös und furchtbar. 'Melancholia' ist gerade noch so erträglich, aber ich bin da auch rausgegangen."

Reise an einen Sehnsuchtsort

Schade eigentlich, aber der Leser von "Air" verlässt diesen Roman nicht vorzeitig. Denn jetzt nimmt alles erst richtig Fahrt auf. Paul wechselt in ein völlig anderes Dasein, in eine Fantasy-Welt, in der mit "weißen Keramikpistolen" geschossen wird und Eiswüsten durchquert werden müssen. In der auch seltsamerweise immer wieder auf jenen Ort zurückgekommen wird, an dem George Orwell seinen Dystopie-Klassiker "1984" geschrieben hat in völliger Isolation: Barnhill auf der schottischen Insel Jura. "Ich war da mal", erzählt der Autor Kracht, "das ist tatsächlich die einsamste Insel der Inneren Hebriden.

Es ist wahnsinnig schwer, da hinzukommen. Man muss eine lange Straße hochfahren, 80 oder 100 Kilometer. Dann ist eine Kette gespannt und dann muss man noch 13 Kilometer zu Fuß gehen - dann erreicht man Barnhill, wo George Orwell im Sterben lag, während er '1984' schrieb. Für den Protagonisten ist es ein Sehnsuchtsort, wo er aber nie hinkommt. Am Schluss kommt er aber doch dahin."

Christian Kracht hat mit "Air" einen verrätselten, ja "airratischen" Roman geschrieben, ein modernes Märchen, eine Sage, für die, die noch an solche glauben mögen.

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Air

von Christian  Kracht
Seitenzahl:
224 Seiten
Genre:
Roman
Verlag:
Kiepenheuer & Witsch
Veröffentlichungsdatum:
13. März 2025
Bestellnummer:
978-3-462-00457-1
Preis:
25 €

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Neue Bücher | 13.03.2025 | 12:40 Uhr

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Romane

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