Leipziger Buchpreis: "Wie die Jury entscheidet, ist nicht abzusehen"
Die Jurorinnen und Juroren des Preises der Leipziger Buchmesse 2025 haben am Mittwoch bekanntgegeben, welche 15 Bücher sie für diese wichtige Auszeichnungen nominieren: je fünf in den Kategorien Belletristik, Übersetzung und Sachbuch.
Die Buchmesse ist der wichtigste Frühjahrstreff der Buch- und Medienbranche, sie findet in wenigen Wochen - vom 27. bis 30. März in Leipzig statt. Gleich am ersten Tag ist die Preisverleihung für den Preis der Leipziger Buchmesse. Für jeden Gewinnertitel in den drei Kategorien gibt es 15.000 Euro Preisgeld. Jürgen Deppe in der NDR Kultur Literaturredaktion erzählt, wer die Nominierten sind, worum es in ihren Büchern geht - und welche seine Favoriten sind.
Jürgen Deppe, besonders interessieren wir uns für die Belletristik - welche Bücher sind in dieser Kategorie nominiert?
Jürgen Deppe: Die Jury hat sich in den vergangenen Jahren immer so ein bisschen "trüffelschweinisch" verhalten: Sie haben in der Tiefe gegründelt und haben dann irgendetwas zutage gefördert, was man gar nicht im Blick hatte. Wer hätte denn im vergangenen Jahr mit Barbi Marković gerechnet? In diesem Jahr ist das ein bisschen anders.
Da ist zum Beispiel "Wackelkontakt" von Wolf Haas, schon seit Anfang Januar ein Bestseller. Das ist auch mein heimlicher Favorit. Ich halte es für ein ganz großes Buch, weil es eine scheinbar alltägliche Geschichte erzählt, das Ganze dann aber typisch Haas-mäßig verwickelt wird. Die Zeitebenen verschwimmen, und es ist die ganze Zeit urkomisch. Es ist ein richtig tolles Buch.
Ob er aber tatsächlich den Preis endlich bekommt - er war ja im vergangenen Jahr mit "Eigentum" auch schon nominiert, ist dann aber leer ausgegangen -, wird sich zeigen. Denn es ist in den vergangenen Jahren immer so gewesen, dass deutlich mehr Männer mit dem Preis der Leipziger Buchmesse ausgezeichnet worden sind als Frauen. Insofern wäre vielleicht jetzt eine Frau dran.

Und da können wir gleich unsere norddeutsche Kandidatin aus dem Hut ziehen, denn Kristine Bilkau ist nominiert. Das freut mich persönlich sehr. Ich finde dieses Buch "Halbinsel", mit dem sie nominiert ist, ganz stark. Es ist eine Mutter-Tochter-Geschichte. Meistens ist es heutzutage ja umgekehrt, dass sich Töchter an Müttern in der Literatur abarbeiten. Hier ist es eine latent überforderte Mutter, die mit der vermeintlichen Krise ihrer Tochter konfrontiert ist und damit umzugehen hat. Ein ganz, ganz starkes Buch.
Eher in der Kategorie "Entdeckungen" ist Esther Dischereit nominiert, mit "Ein Haufen Dollarscheine", im kleinen Maro-Verlag erschienen. Auch da hat man die etwas Kleineren und Abseitigeren berücksichtigt. Es ist eine Geschichte, die im Nationalsozialismus beginnt, die aber im Grunde die ganzen Grauen des 20. Jahrhunderts zeigt.
Auch noch ein bisschen in der Kategorie "Entdeckungen" ist "Kommando Ajax" von Cemile Sahin. Das ist auch eine Familiengeschichte - wie könnte es heute in einer deutschsprachigen Gegenwartsliteratur anders sein? Diese Geschichte wird aber befeuert durch einen Kunstraub in den USA und kriegt dadurch sehr viel Zündstoff und sehr viel Lebendigkeit.
Last but not least ist da noch ein eher Etablierter: Christian Kracht ist früher mal als Pop-Poet bekannt geworden, dann war es längere Zeit still um ihn. Jetzt ist er mit seinem Roman "Air", auf den viele lange gewartet haben, wieder da.
Insgesamt ist der Preis mit 60.000 Euro dotiert, die dann auf alle Nominierten verteilt werden. Für die drei Gewinnertitel gibt es je 15.000 Euro. Kristallisieren sich da schon absolute Favoriten heraus?
Deppe: Nein, das kann man wirklich nicht sagen. Wie gesagt, auch im vergangenen Jahr war beispielsweise Wolf Haas nominiert, der da auch schon ein großer, gestandener, sehr prominenter Schriftsteller war, und dann ist mit Barbi Marković eine eher unbekannte Autorin ausgezeichnet worden. Auch jetzt kann man nicht wirklich sagen, wer es wird. Mein persönlicher Favorit ist Wolf Haas - überhaupt keine Frage, der hätte jeden Preis unbedingt verdient. Aber wie die Jury am Ende entscheidet, ist absolut nicht abzusehen.
Welche Titel fallen in den Kategorien Übersetzung und Sachbuch besonders ins Auge?
Deppe: Bei der Essayistik war ich einigermaßen überrascht, weil ich die Liste verhältnismäßig unzeitgemäß finde, um es vorsichtig zu sagen. Da ist Sandra Richter, die über Rainer Maria Rilke schreibt; da ist Maike Albath, die über "Neapel und seine Gesichter" schreibt. Jens Bisky schreibt über die Machtübernahme in Deutschland, aber eben die von 1929 bis 1934, also ein historische Abhandlung. Das Buch des Autorentrios Harald Meller, Kai Michel und Carel van Schaik, "Evolution der Gewalt", klingt erstmal zeitgemäß, ist aber auf die gesamte Menschheitsgeschichte bezogen. Da habe ich ein bisschen den Eindruck, dass man sich bei den im Moment aktuellen, drängenden Gegenwartsfragen ins Historische zurückzieht.
Bei den Übersetzungen ist es sowieso immer relativ schwierig zu beurteilen. Wer beherrscht schon so viele Sprachen, um sagen zu können: "Das ist wunderbar ins Deutsche übertragen". Auffällig für mich ist, dass es eine Neuübersetzung gibt, die nominiert worden ist, und zwar die von Lilian Peter: Sie hat "Angst vorm Fliegen" von Erica Jong übersetzt. Das ist ein Klassiker der feministischen Literatur, eine Satire auf Psychoanalyse, Patriarchat und die Nachkriegsgesellschaft. Das ist jetzt mal wirklich hier gewürdigt worden. Ich weiß nicht, ob es wirklich die Übersetzung ist - ohne der die Qualität absprechen zu wollen -, aber vielleicht wird auch einfach gewünscht, dass dieser Text noch mal wieder bekannt gemacht wird.
Das Gespräch führte Franziska von Busse.
