Biografie über Rainer Maria Rilke: Ein ewig Reisender
Sandra Richter beschäftigt sich schon ihr ganzes Berufsleben mit Rilkes Werk. Als Leiterin des Literaturarchivs Marbach hatte sie Einblick in den neu erworbenen Nachlass des Dichters und veröffentlicht nun die Biografie "Rainer Maria Rilke oder Das offene Leben".
Die promovierte und habilitierte Literaturwissenschaftlerin Sandra Richter leitet seit 2019 das deutsche Literaturarchiv in Marbach. Mit dem Dichter Rainer Maria Rilke hat sie sich bereits während ihrer Studienzeit befasst. Vor rund zwei Jahren hatte das Literaturarchiv die so seltene wie bahnbrechende Gelegenheit, den Nachlass des Dichters Rilke zu kaufen. Die bereits jetzt aus diesem Fundus gewonnenen Erkenntnisse zeigen Rilke in einem neuen Licht. Sandra Richter hat jetzt eine umfassende Biografie über den Dichter veröffentlicht - in dieses Buch konnten bereits die frischen Eindrücke einfließen.
Bild des weltabgewandten Dichters hat nicht weiter Bestand
![Cover: Sandra Richter, "Rainer Maria Rilke oder Das offene Leben“ Cover: Sandra Richter, "Rainer Maria Rilke oder Das offene Leben“ © Insel](/kultur/buch/tipps/coverrichter110_v-contentgross.jpg)
"Wir lernen einen Rilke kennen aus diesem Bestand, der Sorgen und Nöte hat, der humorvoll ist, der zu seinem Kind spricht - in Briefen - , der für jede Person eine andere Stimme beinahe entwickelt und das alles mit in sein Werk aufnimmt", sagt die Literaturwissenschaftlerin Richter. Das Bild des weltabgewandten Dichters, der einsam mit sich ringt, kann also nicht weiter Bestand haben.
Auf vielen Ebenen umkreist Sandra Richter das Leben René Rilkes. Ja, Réne war sein erster Vorname, Rainer nannte er sich erst später. Er hatte zeitlebens die Begabung zur Freundschaft, war viel weniger einsam, verschlossen oder dauerhaft hadernd und unglücklich, als es bislang schien. Seine Probleme, mit sich und der Welt, die er vielleicht auch stärker empfand als andere, sah er auch nicht nur als eine Last, sondern als eine Quelle seiner Kunst.
"Vor allem als er in Paris war, war er angstgeplagt, hatte die Sorge, dass er es nicht schafft als Autor, als Dichter, er hatte die Sorge, dass er der Großstadt nicht gewachsen ist und er schrieb diesen Prosatext "Malte Laurids Brigge", in dem er seine Figur Malte zum Alter Ego macht. Malte sollte all die Ängste verarbeiten, die er eigentlich loswerden wollte, aber zugleich natürlich auch nur so, dass er weiter schreiben konnte und das ist dieses zentrale Motiv, dass immer wieder bei ihm auftaucht." Textprobe aus "Rainer Maria Rilke oder Das offene Leben"
Hochzeit mit Clara Westhoff und viele Reisen
Rilke - so bekommt man den Eindruck - war überall dabei, aus der Entfernung beim Prager Kreis um Franz Kafka, in der Künstlerkolonie in Worpswede, er heiratete schließlich Clara Westhoff, eine aufstrebende Bildhauerin, die ihm den Kontakt zu ihrem Lehrmeister Auguste Rodin vermittelte. Er war in Paris, fand es, wie wir aus Malte Laurids Brigge lesen, scheußlich, er versprach sich viel von der Münchner Räterepublik und schaffte es, bis auf eine kurze Zeit in seinem Leben, ohne festen Wohnsitz zu bleiben.
Ein ewig Reisender, ein ewig um die eigene Gesundheit und das immer neue "Sehen lernen" kreisender Künstler. Anstrengend? Ja! Für etliche seiner Geliebten, Freundinnen, Gönnerinnen aber immer ein Mensch, den es zu unterstützen galt.
Mit ihrem mitunter indirekt die Situation kommentierenden Ton schafft es Sandra Richter, einem diesen oft kränklichen, scheinbar nur mit sich selbst beschäftigten und dennoch faszinierenden Dichter nahe zu bringen. Wenn sie beinahe lakonisch Rilkes Flucht aus Paris zu Freunden aufs südschwedische Landgut Borgeby schildert.
"Dort hatte er den Sommer verbracht, war Paris und der Not entflohen, wurde mit Milch, Obst, Fleisch und Kuchen, Grütze aufgepäppelt - während seine Frau in Norddeutschland hungerte, kaum wusste, wie sie sich und ihr Kind versorgen sollte, niedergeschlagen, ja: verzweifelt war. Rilke wollte, dass sie ihn besuchte; aber sie schrieb: 'Reisegedanken fallen mir schwer'; offenbar hatte sie einen Zusammenbruch erlitten." Textprobe aus "Rainer Maria Rilke oder Das offene Leben"
"Ich will ihn nicht verurteilen, das ist sicherlich nicht meine Absicht, oder heutige Wertmaßstäbe anlegen, aber, es ist doch, wenn man von heute draufschaut, etwas verwunderlich mitunter, was da so passiert ist," meint Richter.
Diese Verwunderung ist aber eine zugewandte, nicht urteilende. Es macht große Freude, diesen Rilke kennenzulernen, sich über ihn zu wundern, sich mit ihm zu freuen und am Ende sein offenes Leben in angefochtenen Zeiten ein wenig besser zu verstehen.
Rainer Maria Rilke oder Das offene Leben
- Seitenzahl:
- 478 Seiten
- Genre:
- Roman
- Verlag:
- Insel
- Bestellnummer:
- 978-3-458-64482-8
- Preis:
- 28 €
Schlagwörter zu diesem Artikel
Romane
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