Haushaltsurteil: Was kommt auf die Länder im Norden zu?
Stand: 14.12.2023 13:09 Uhr
Das Bundesverfassungsgericht hat eine Umwidmung von 60 Milliarden Euro im Haushalt 2021 für verfassungswidrig erklärt. Nun fehlt das Geld im Klima- und Transformationsfonds. Was könnte das für Niedersachsen, Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Vorpommern und Hamburg bedeuten?
Das Bundesverfassungsgericht hat mit seinem Urteil zum Klima- und Transformationsfonds (KTF) die Haushaltsplanung der Bundesregierung über den Haufen geworfen. Die Karlsruher Richter entschieden, dass 60 Milliarden Euro an ungenutzten Kreditermächtigungen für den Kampf gegen die Corona-Pandemie nicht in den KTF verschoben werden durften. Die Finanzierung zahlreicher klima- und industriepolitischer Projekte der Ampel-Koalition steht nun auf der Kippe.
Doch die Wirtschafts- und Energieminister der Länder und Bundesminister Robert Habeck (Grüne) wollen trotzdem an den aus dem KTF zu finanzierenden Vorhaben festhalten. "Alle Projekte, die wir konzipiert haben, müssen möglich gemacht werden", sagte Habeck nach einem Treffen mit den Kollegen der Länder am 27. November in Berlin. "Wichtig ist die klare Aussage heute, dass alle Projekte, die bereits Bewilligungen erhalten haben, auch finanziert werden können", sagte der schleswig-holsteinische Energiewendeminister Tobias Goldschmidt (Grüne).
AUDIO: Habeck zu Haushaltskrise: Genehmigte Förderungen werden ausbezahlt (6 Min)
Der Sondertopf neben dem Haushalt beinhaltet Programme für mehr Klimaschutz, für die Ansiedlung von Zukunftstechnologien und die Entwicklung hin zu einer klimaneutralen Wirtschaft. Finanziert werden zum Beispiel Fördermittel für die klimafreundliche Sanierung von Wohnhäusern und den Austausch alter Öl- und Gasheizungen. Bürgerinnen und Bürger sowie Unternehmen werden aus dem Fonds bei den Strompreisen entlastet. Weitere Mittel fließen in Elektromobilität, Wasserstoffwirtschaft, den Ausbau von Schienenwegen. Auch staatliche Fördergelder für die Ansiedlung großer Halbleiter-Fabriken wie die des US-Chipherstellers Intel in Magdeburg kommen aus dem Klima- und Transformationsfonds.
Die Bundesregierung hat nach dem Urteil zunächst eine Ausgabensperre für den Klimafonds verhängt. Schließlich ordnete Finanzminister Christian Lindner (FDP) für den Bundeshaushalt 2023 eine Sperre für alle neuen Ausgaben-Entscheidungen an, die in die Folgejahre reichen. Die staatlichen Strom- und Gaspreisbremsen sollen - anders als zunächst geplant - nun doch nicht über das Jahresende 2023 hinaus verlängert werden.
Am 27. November beschloss das Bundeskabinett einen Nachtragshaushalt für 2023. Damit sollen Kredite über rund 45 Milliarden Euro rechtlich abgesichert werden, die für die Energiepreisbremsen sowie zur Unterstützung von Flutopfern bereits genutzt wurden. Voraussetzung ist, dass der Bundestag eine außergewöhnliche Notlage erklärt und die Schuldenbremse für dieses Jahr aussetzt.
AUDIO: Lindner kündigt Nachtragshaushalt an - Schuldenbremse wird ausgesetzt (2 Min)
Nach wochenlangem Ringen haben die Spitzen der Ampel-Regierung am 13. Dezember eine Einigung im Streit um den Bundeshaushalt 2024 erzielt. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) kündigte Kürzungen und Einsparungen an, um das Haushaltsurteil des Bundesverfassungsgerichts umzusetzen. "Die machen wir nicht gerne, sie sind aber nötig, damit wir mit dem Geld, was uns zur Verfügung steht, hinkommen", sagte Scholz. Es würden klimaschädliche Subventionen abgeschafft, Ausgaben einzelner Ressorts reduziert und Bundeszuschüsse verringert.
Der Grünen-Chef meint, es sei in schwierigster Situation eine ausgewogene Lösung gefunden worden. Diese helfe zudem, den Modernisierungsstau aufzulösen.
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Die "Schuldenbremse" gibt es seit 2009 in Deutschland. Sie soll dazu dienen, dass Schulden von heute zukünftige Generationen nicht "erdrücken". Die Schuldenbremse erlaubt es dem Staat, jährlich zusätzliche Schulden in Höhe von maximal 0,35 Prozent des Bruttoinlandsprodukts aufzunehmen. Die Schuldenbremse war bereits in den Jahren 2020 bis 2022 ausgesetzt. Grund waren die Corona-Pandemie und der Ukraine-Krieg, die als außergewöhnliche Notsituationen gelten. Die Regierung muss allerdings einen Plan zum Abbezahlen dieser Ausgaben vorlegen. Für die Bundesländer gilt ein absolutes Verschuldungsverbot.
Gibt es keine Möglichkeit für die Bundesregierung, die Schuldenbremse aufzuweichen, so wird der Bund möglicherweise auch bei seinen mittelfristigen Finanzzusagen für die Länder sparen. Das sehen die Nordländer mit Sorge. "Wir müssen davon ausgehen, dass der Bund noch restriktiver mit Bund-Länder-Finanzthemen umgehen wird. Das ist eine Erschwernis für viele wichtige Projekte, die wir im föderalen Kontext miteinander haben", sagte Hamburgs Finanzsenator Andreas Dressel (SPD). Man müsse sehen, dass wichtige Investitionen im Bereich Transformation und Klimaschutz trotzdem gewährleistet würden.
Das Karlsruher Urteil bedeute zwar für den Landeshaushalt "unmittelbar nichts", sagte Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) in seiner Regierungserklärung zur aktuellen finanziellen Lage des Landes. Auch für das Jahr 2024 habe seine Regierung im Haushaltsentwurf ein "realistisches und verlässliches Zahlenwerk" vorgelegt. Die rot-grüne Landesregierung beschloss den Landeshaushalt für 2024 am 14. Dezember. Nach dem Urteil des Verfassungsgerichtes fehle jedoch noch immer ein Bundeshaushalt für das kommende Jahr, wodurch auch Beteiligungen des Bundes an Projekten in Niedersachsen infrage stünden. Das betreffe beispielsweise die Ansiedlung einer Photovoltaik-Produktion und einen weiteren Anleger für verflüssigtes Erdgas (LNG). Nach der Vorlage des Entwurfs für den Bundeshaushalt 2024 betonte Weil aber, der Aufbau der Wasserstoffwirtschaft in Niedersachsen solle - so scheine es - wie geplant umgesetzt werden.
Trotz der Unsicherheiten für die niedersächsische Finanzpolitik: Zumindest das milliardenschwere Stahl-Projekt Salcos in Salzgitter ist vorerst nicht gefährdet, weil Salcos bereits eine konkrete Zusage für eine Anschub-Förderung in Höhe von einer Milliarde Euro erhalten hat, wie ein Sprecher der Salzgitter AG sagte. Mit dem Projekt Salcos will das Unternehmen seinen Stahl zukünftig "grün", also klimafreundlich, herstellen - mithilfe von Wasserstoff.
Nach Angaben von Finanzminister Heiko Geue (SPD) ist der Landeshaushalt in Mecklenburg-Vorpommern nicht "direkt" betroffen von dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Der Minister sagte aber auch: "Wir haben im Landeshaushalt jedes Jahr Bundesmittel von über 700 Millionen Euro. Wenn der Bundesfinanzminister von Sparen spricht, fragt man sich natürlich auch, ob davon Landesmittel betroffen sind. Leider wissen wir es nicht." Laut Geue könnte der Bund womöglich bei seinen Zusagen für den Aufbau der Wasserstoff-Wirtschaft als Speicher für Erneuerbare Energie kürzen. Knapp 400 Millionen Euro sind zugesagt für den klimafreundlichen Umbau der Industrie. Das Land schießt 168 Millionen dazu. Geue setzt auf Gespräche mit dem Bund. Der Landtag in Schwerin hat den Landeshaushalt für 2024 und 2025 am 13. Dezember beschlossen. Den Vorschlag der CDU-Opposition, die Abstimmung bis zur Klärung der vom Bund zu erwartenden Zuwendungen auf Anfang 2024 zu verschieben, wies die rot-rote Koalition zurück.
Als Reaktion auf das Karlsruher Urteil hat der Landtag in Kiel eine Haushaltsnotlage für 2023 und 2024 in Schleswig-Holstein festgestellt. Dies war der Plan der schwarz-grünen Koalition. Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) sagte dazu, dass es richtig sei für 2023 die Notsituation festzustellen. Auch für 2024 solle das der Fall sein, "um die multiplen Krisen, mit denen wir zu kämpfen haben, wirksam begegnen zu können." Für Schleswig-Holstein sei vor allem das "Prinzip der Jährigkeit und Jährlichkeit" eine Herausforderung, die aus dem Urteil hervorgeht. Es bedeutet, dass Kredite, die für eine Notsituation aufgenommen wurden, auch nur im Jahr der Notsituation ausgegeben werden dürfen. Nach dem Urteil des BVerfG hatte die Landesregierung in Kiel alle Zahlungen aus Notkrediten gestoppt. Das betrifft konkret Gelder für Flüchtlingsunterkünfte oder für Klimaschutz-Programme. Mitte Dezember beschloss das Kabinett den Haushaltsentwurf, der 644 Millionen Euro aus einem Notkredit vorsieht.
Nach Informationen von NDR Schleswig-Holstein werden die staatlichen Fördermittel für die bei Heide geplante Batteriefabrik der Firma Northvolt trotz der Haushaltskrise freigegeben. Das Bundeswirtschaftsministerium hat demnach den Förderbescheid an das Unternehmen übermittelt, nachdem zuvor das Finanzministerium den Antrag trotz aktueller Haushaltssperre genehmigt hatte. Der Chef der Staatskanzlei Schleswig-Holstein, Dirk Schrödter, begrüßt die Entscheidung aus Berlin als "wichtiges Signal" für die Northvolt-Ansiedlung. Der Bund will das Projekt mit 564 Millionen Euro fördern, auf das Land Schleswig-Holstein entfallen rund 136 Millionen Euro. Die EU-Kommission und die betroffenen Gemeinden müssen noch zustimmen. Der schleswig-holsteinische Wirtschaftsminister Claus Ruhe Madsen erwartete vom Bundeswirtschaftsminister Klarheit: "Wir brauchen ein klares Signal an den Investor, dass wir zu den Zusagen auch stehen, die wir bereits getroffen haben", sagte der Politiker am Montag in Berlin.
Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts fehlen dem Bund 60 Milliarden Euro für Klimaschutz-Programme. Haben Projekte wie die Förderung einer Batteriefabrik in Heide so noch Bestand?
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In Hamburg stehen nach Angaben von Finanzsenator Andreas Dressel Investitionen in den Klimaschutz "im Feuer". Wie der SPD-Politiker NDR 90,3 sagte, geht es um fest zugesagte Gelder des Bundes aus dem Klima- und Transformationsfonds in dreistelliger Millionenhöhe. Noch steht nicht fest, welche Projekte konkret betroffen sein werden.
Der Senat listet 36 Projekte auf, die von einer vorläufigen Haushaltssperre betroffen sein könnten. In der Antwort auf Kleine Anfragen von den Linken und der AfD wird unter anderem der geplante Großelektrolyseur für "grünen" Wasserstoff in Moorburg genannt. Allein hier sollte der Bund laut Senat von den geplanten Investitionen in Höhe von 152 Millionen Euro 70 Prozent tragen. Auf der Kippe stehen demnach auch eine Förderung für emissionsfreies Fliegen in Höhe von 43,4 Millionen Euro oder Mittel zum Ausbau der Landstrominfrastruktur im Hafen in Höhe von 74 Millionen Euro.
Die Linke nennt sie "Liste des Horrors": Der Senat zählt 36 Projekte auf, die von der vorläufigen Haushaltssperre des Bundes betroffen sein könnten.
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Man werde dem Bundestag vorschlagen, nach den Jahren 2020 bis 2022 auch für 2023 eine außergewöhnliche Notlage zu beschließen, erklärte der Bundesfinanzminister.
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Das Bundesverfassungsgericht hat der Regierung untersagt, Haushaltsmittel für den Kampf gegen die Corona-Pandemie für den Klimaschutz zu nutzen. Mehr dazu auf tagesschau.de.
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