Strömungen der Frauenbewegung: Geschichte und Gegenwart
Was waren Meilensteine des Feminismus und was gibt es noch zu tun? Ein Gespräch mit der Soziologin und Juristin Ute Gerhard über die Geschichte und Gegenwart des Feminismus.
"Natürlich bin ich ganz ohne Zweifel die am meisten angefeindete Frau im Nachkriegsdeutschland, aber es hat ja von Anfang an immer gleichzeitig Zustimmung und Zuneigung gegeben. Und zwar von Frauen wie Männern", erzählt Alice Schwarzer. Die Journalistin prägt seit Jahrzehnten das öffentliche Bild der "neuen Frauenbewegung".
Ihre fast schon Monopolstellung hat Alice Schwarzer für Ute Gerhard aber nur in der Außenwirkung. Innerhalb der Bewegung sehe das ganz anders aus, "weil wir eigentlich in der neuen Frauenbewegung Führerinnen oder ähnliche Spitzenpositionen abgelehnt haben. Dass nun in der Öffentlichkeit immer Alice Schwarzer als erstes genannt wird, liegt daran, dass sie eine Medienfrau ist. Dass sie also selber für die Verbreitung ihrer Ideen hat sorgen können, dass sie EMMA seit vielen Jahren herausgibt und auch jetzt sozusagen in der Erinnerung immer wieder an ihren eigenen Taten die Frauenbewegung misst."
Wegbereiterinnen des Feminismus
Mit ihrer starken Ich-Bezogenheit widerspreche Alice Schwarzer der Grundidee dieser zweiten Welle des "autonomen" Feminismus. Die so genannt wird, weil sie auf die "historische Frauenbewegung" folgte. Nach der Zäsur des Zweiten Weltkriegs entwickelte sie sich aus der Studentenbewegung, mit dem Gedanken des Netzwerks, der Solidarität. Und, wie Ute Gerhard sagt, aus der Erkenntnis heraus, dass "Frauen immer nur gemeinsam stark waren. Es hat dann eben einzelne Personen gegeben, die auch Themen gesetzt haben, die Schwung in die Sache gebracht haben, aber es war niemals eine Einzelne, die bewegen konnte, was wir bewegt haben."
Damit unterscheide sie sich von der ersten Welle des Feminismus. Die um 1848 ihren Ursprung hatte. Hier gab es sie noch, die tatsächlichen Anführerinnen, deren Namen, die heute im Vergleich zu Alice Schwarzer eher weniger bekannt sind. Wie Louise Otto, Helene Lange und Clara Zetkin. Wichtige Vertreterinnen der Frauenbewegung, die sich im Bürgertum, aber auch in der Welt der Arbeiterinnen ausbreitete. "Sodass wir also da um 1900 bis zum 1. Weltkrieg, bis 1914 eine Blüte dieser historischen Frauenbewegung haben mit vielen verschiedenen Richtungen", erklärt Gerhard, "die aber alle diesem einen Ziel dienten, die Frau wieder zu ihrem eigenen Recht zu verhelfen, zu einer individuellen Persönlichkeit zu machen."
Zweite Welle der Frauenbewegung in Westdeutschland
Wegmarker in dieser ersten Phase des Feminismus waren die Möglichkeit für Frauen, zu studieren (1908, ab 1896 als Gasthörerinnen) oder zu wählen (1918). Nach dem Krieg wurde in die westdeutsche Verfassung die Gleichberechtigung im Grundgesetz festgeschrieben. Im Persönlichkeits- und Arbeitsrecht blieb jedoch vieles im Argen.
Der sogenannte "Tomatenwurf" 1968 markierte den Start der zweiten Welle der Frauenbewegung im Westen. Die damals hochschwangere Studentin Sigrid Rüger erinnert sich: "Ich hab ein Säckchen Tomaten mitgenommen. Das hätte ich dann gegessen, wenn ich es für diesen Anlass nicht gebraucht hätte." Weil sie innerhalb der Studentenbewegung zu wenig Aufmerksamkeit für Frauenfragen sah, bewarf sie kurzerhand die dominanten männlichen Sprecher mit ihrem mitgebrachten Abendbrot.
1971 folgte die von Alice Schwarzer initiiert und berühmt gewordene Titelgeschichte im "Stern": "Wir haben abgetrieben". 374 Frauen bekannten sich zum Schwangerschaftsabbruch, darunter Stars wie Senta Berger und Romy Schneider. Im Mittelpunkt: Der Kampf für die Abschaffung des Paragraphen 218.
Heutiger Feminismus hat viele Organe und Kanäle
Heute ist wahlweise von der dritten oder vierten Welle der Frauenbewegung die Rede. Der Feminismus hat inzwischen unzählige Organe und Kanäle wie Missy Magazine oder Edition F, junge und populäre Sprachrohre wie Margarete Stokowski, Sophie Passmann oder Carolin Kebekus. In TV- und Radioshows, Podcasts und Social Mediakanälen werden feministische Themen diskutiert.
Wie unsere Gesellschaft immer pluralistischer wird, wird es auch die Bewegung. Feminismus wird heute anders und weiter gedacht, queer und intersektional. Diese Perspektiven findet auch Ute Gerhard wichtig, vielfältige Ungleichheits- und Unterdrückungsverhältnisse mit einzubeziehen, Solidarität etwa mit Schwarzen Frauen oder Menschen, die sich jenseits oder zwischen männlich und weiblich verorten. "Alte Feministinnen", zu denen sie sich selbst zählt, hätten nur die Sorge, "dass darüber dann doch wichtige Strukturen, die nun einmal unser Leben nach wie vor bestimmen, und das ist nach wie vor der Unterschied zwischen den Geschlechtern, dass diese Strukturen vernachlässigt werden, weil es immer nur um die Identität der Einzelnen geht."
Immer noch nicht alles gut oder gleich
Schließlich ist immer noch nicht alles gut oder gleich, auf dem Arbeitsmarkt, in den Betrieben, in den Familien. Auch die angekündigte feministische Außenpolitik von Annalena Baerbock scheint nötiger als je, gerade wenn wir den Blick über den deutschen Tellerrand hinaus werfen, zum Beispiel in den Iran, so Gerhard: "International ist noch so viel an ganz spezifischem Frauenunrecht und Gewalt gegen Frauen vorhanden. Da zu unterstützen, wo immer wir können oder dieses Thema auf die politische Tagesordnung zu bringen, ist so wichtig. Feminismus ist eine Perspektive auf die Sache. Und feministisch zu denken, heißt, dass man die Anderen mit einbezieht und eben für Gleichberechtigung auch in dieser Hinsicht sorgt."