Wibke Bruhns: Eine unerschrockene Fernsehjournalistin
Sie war eine Pionierin: Als erste Frau präsentiert Wibke Bruhns 1971 im ZDF eine Nachrichtensendung. Sie arbeitet auch für den NDR und für den "Stern" als Korrespondentin. Sie starb 2019 in Hamburg.
"Hier ist das Zweite Deutsche Fernsehen mit Nachrichten und Themen des Tages": So beginnen am 12. Mai 1971 die Spätnachrichten der "heute"-Sendung. So weit nichts Ungewöhnliches. Ungewöhnlich ist, dass nicht wie seit Jahren ein Herr im Anzug die Nachrichten präsentiert, sondern eine junge Frau mit riesiger Brille und großem Kragen. Wibke Bruhns, damals 32 Jahre alt, erinnert sich: "Ohne Vorankündigung, ohne alles saß ich plötzlich im Studio und sagte 'Guten Abend, meine Damen und Herren'." Bruhns wird zu einem Gesicht des Mainzer Senders - nicht zuletzt, weil sie die erste Frau ist, die als Nachrichtensprecherin im bundesdeutschen Fernsehen arbeitet und im ZDF auch die Hauptnachrichten präsentiert.
Die erste Nachrichtensprecherin eines deutschen Fernsehsenders ist aber eine andere: In der DDR hat Anne-Rose Neumann bereits am 8. März 1963 die Nachrichten der "Aktuellen Kamera" präsentiert. In der ARD-Tagesschau ist Dagmar Berghoff am 16. Juni 1976 die erste Frau, die dort die Nachrichten liest.
Schicksal ihres Vaters prägt Bruhns politisch
Wibke Bruhns wird am 8. September 1938 in Halberstadt (Sachsen-Anhalt) geboren - unter ihrem Mädchennamen Klamroth. Sie ist übrigens die Großtante von "Hart aber fair"-Moderator Louis Klamroth, der wiederum der Sohn von Schauspieler Peter Lohmeyer ist.
Nach Kriegsende besucht Bruhns aufgrund der diplomatischen Tätigkeit ihrer Mutter mehrere Internate, etwa in Timmendorfer Strand und Plön sowie in Stockholm, Kopenhagen und London. Das Abitur absolviert sie 1957 an der Malwida-von-Meysenburg-Schule in Berlin. Schon früh ist sie politisch interessiert und engagiert. Prägend für sie ist, dass ihr Vater in der Folge des missglückten Attentats auf Adolf Hitler am 20. Juli 1944 wegen Hochverrats hingerichtet wurde.
Volontariat bei "Bild" abgebrochen - Wechsel zum NDR und zum ZDF
Nach einem Studium der Geschichte und Politikwissenschaften beginnt Wibke Bruhns ein Volontariat bei der "Bild"-Zeitung, das sie aber 1961 und vor dem Hintergrund des Mauerbaus in Berlin aus "politischen Gründen" abbricht. Sie wechselt als freie Mitarbeiterin zum NDR Fernsehen in Hamburg und wird 1962 Redakteurin sowie Moderatorin beim Hamburger ZDF-Studio. Ab 1968 arbeitet sie als freie Journalistin - fürs ZDF, den NDR und die Zeitung "Die Zeit".
1971 folgt dann ihr historischer Auftritt als ZDF-Nachrichtensprecherin, er gilt damals als Sensation und erregt zunächst großes Aufsehen. Zum Teil stößt Bruhns auf starke Ablehnung. Sie möge doch lieber nach Hause gehen und sich um ihre Familie kümmern, heißt es in Protestschreiben von Zuschauern ans ZDF. Auch ihre große Brille ist Stein des Anstoßes: "Dabei war die hochmodern und sauteuer", berichtet Bruhns rückblickend. Die Journalistin bleibt damals gelassen, weil sie auch viel Zuspruch bekommt. So werden ihre Auftritte im Fernsehen für das Publikum immer mehr zur Selbstverständlichkeit. Bruhns ist in 380 "heute"-Sendungen dabei. Allerdings ist sie mit ihrer Arbeit nicht wirklich zufrieden, weil sie - anders als heute - die von Kollegen erstellten Texte lediglich vorlesen muss.
Diskussionen um politische Neutralität der Nachrichtensprecherin
Zu Diskussionen kommt es öfter wegen Bruhns' politischen Engagements. So arbeitet sie unter anderem bei der "Sozialdemokratischen Wählerinitiative" für den SPD-Kanzlerkandidaten Willy Brandt anlässlich der Bundestagswahl 1972 mit. Das stößt der CDU bitter auf. Unter anderem Niedersachsens CDU-Chef Wilfried Hasselmann fordert, dass Wibke Bruhns in den Wochen vor der Wahl nicht auf dem Bildschirm erscheint. Es entwickelt sich eine Kontroverse um die politische Neutralität der Journalistin. Es kommen sogar Gerüchte auf, denen zufolge Bruhns eine Affäre mit Brandt gehabt haben soll. Das hat Bruhns jedoch stets dementiert.
1973 kehrt die Journalistin dem ZDF den Rücken und geht zum WDR. Dort moderiert sie unter anderem das "Tagesmagazin". Aufgrund kritischer Fernsehbeiträge - unter anderem für Panorama (NDR) - gerät sie erneut in die Schusslinie. Die konservative Wochenzeitung "Rheinischer Merkur" bemängelt eine "Rotlichtbestrahlung" durch Bruhns und stößt sich daran, dass sie zudem für das linke Politmagazin "konkret" aktiv ist.
Einsatz als Autorin und Korrespondentin für den "Stern"
1974 beginnt Bruhns, als Autorin für den "Stern" zu schreiben. 1979 geht sie als Nahost-Korrespondentin nach Jerusalem. Sie beschreibt ihre Erlebnisse und Eindrücke in dem 1982 veröffentlichten Buch "Mein Jerusalem". Die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" sieht in dem Werk einen "impressionistisch-privaten Bilderbogen zum Kennenlernen der Heiligen Stadt". Außerdem lasse das Buch "beiden Seiten im Nahost-Konflikt Gerechtigkeit angedeihen".
Von 1984 bis 1988 berichtet Bruhns für den "Stern" aus Washington. Im damals ebenfalls zum Gruner+Jahr-Konzern gehörenden Magazin "Geo" veröffentlicht sie eine viel beachtete Reportage über die Gedenkstätte Vietnam Veterans Memorial in der US-Hauptstadt. 1989 erhält sie den Egon-Erwin-Kisch-Preis für ihre "Beschreibung des Krieges als endlose Reihe persönlicher Opfer".
Politischer Talk im Fernsehen
Zurück in Deutschland arbeitet Bruhns als freie Journalistin und ist vier Jahre lang mit Gisela Marx Gastgeberin bei "Drei vor Mitternacht" im WDR. 1993 wird sie sogenannte Anchorwoman bei den Nachrichten des Senders VOX. Doch schon ein Jahr später muss sich der Sender aus finanziellen Gründen von seinem gesamten journalistischen Personal trennen. Bruhns wird 1995 Leiterin der Kulturredaktion des Ostdeutschen Rundfunks Brandenburg. Ab 1998 ist sie Beraterin für politische Talkshows wie "Talk im Turm" oder "Friedman". Im Jahr 2000 wirkt Bruhns als Sprecherin der Weltausstellung EXPO in Hannover.
Bücher über Familiengeschichte und Berufsleben
In der Folge ist die Journalistin wieder als Autorin tätig. Sie schreibt ein Buch über das Leben ihres Vaters, das zum Bestseller wird. In "Meines Vaters Land" von 2004 geht es um das Schicksal der großbürgerlichen Kaufmannsfamilie Klamroth in der Zeit der Weimarer Republik und des Nationalsozialismus. Die ARD produziert auf Basis des Buchs einen gleichnamigen Dokumentarfilm. 2006 bekommt Bruhns für das Werk den Friedrich-Schiedel-Literaturpreis der Stadt Bad Wurzach.
2012 veröffentlicht Bruhns mit "Nachrichtenzeit. Meine unfertigen Erinnerungen" ihre Memoiren. Darin begibt sie sich auf eine Zeitreise durch die wichtigsten politischen Ereignisse. Auch berufliche sowie private Erinnerungen sind darin enthalten.
Wibke Bruhns ist auf dem Ohlsdorfer Friedhof begraben
Von 1965 ist Wibke Bruhns in zweiter Ehe mit dem Schauspieler, Autor und Regisseur Werner Bruhns verheiratet, der 1977 stirbt. Aus der Ehe gehen zwei Töchter hervor - Annika (1966) und Meike (1968). Wibke Bruhns lebt und arbeitet lange Zeit in Berlin. Sie stirbt am 20. Juni 2019 im Alter von 80 Jahren in Hamburg. Sie ist auf dem Ohlsdorfer Friedhof begraben. ZDF-Chefredakteur Peter Frey würdigt die Journalistin als "Frau mit Haltung und dem Mut einer Pionierin".