Expo 2000 in Hannover: Süchtig nach dem Expo-Feeling
Morgens, mittags, abends, nachts: Kai-Uwe Saul hat jede Tageszeit auf der Expo 2000, die vor 20 Jahren eröffnet wurde, erlebt und genossen. Mindestens 20-mal war er im Sommer auf dem Gelände der Weltausstellung in Hannover. "Mich hat diese Atmosphäre begeistert, diese Lockerheit, diese Verbundenheit, dieses Gemeinschaftsgefühl", schwärmt der 60-jährige Saul noch heute, 20 Jahre später. Die Leute in der Stadt seien schon damals regelrecht "aufgetaut", hätten wildfremde Menschen gegrüßt und seien hilfsbereit gewesen, nicht erst 2006 während des Fußball-Sommers, erzählt der Hannoveraner.
Fahrt zur Expo spart die Weltreise
Dieses einmalige Expo-Gefühl wollte er "konservieren" und schloss sich mit Gleichgesinnten zusammen, gründete das Museum "Exposeeum". Dort trugen die Expo-Freunde Schätze der Weltausstellung zusammen: vom Maskottchen "Twipsy" über Gastgeschenke bis hin zu Filmen und Fotos. Seit 2000 reisen Kai-Uwe Saul und andere Vereinsmitglieder nun zu jeder kleinen und großen Expo auf der ganzen Welt. "Natürlich ist unser Expo-Hobby sehr kostspielig, aber wir alle sind süchtig nach diesem Expo-Feeling." Es spare ja im Grunde auch eine Weltreise, denn auf der Expo treffe man die ganze Welt auf kleinstem Raum, meint der Ingenieur. Gemeinsam analysieren die Reisenden dann die Präsentation der Nationen, den Auftritt Deutschlands und genießen das bunte Treiben in den Expo-Städten.
Corona vermiest Fans das Jubiläum
Aber ausgerechnet im Jubiläumsjahr können die Expo-Fans ihre Schätze nicht ausstellen und suchen eine neue Bleibe, weil der Vermieter ihnen gekündigt hat. Ihre Exponate sind derzeit im Deutschen Pavillon provisorisch eingelagert. Hinzu kommt die Pandemie. Kein Rundgang im Museum, kein Festakt zum 20. Jahrestag, kein Revival-Konzert. Im Jahr des Coronavirus gibt es kaum eine Möglichkeit zum gemeinsamen Schwelgen und Erinnern.
Mensch-Natur-Technik
Am 1. Juni 2000 eröffneten Bundespräsident Johannes Rau, Generalkommissarin Birgit Breuel sowie Niedersachsens Ministerpräsident Sigmar Gabriel (SPD) die erste Weltausstellung in Deutschland. Eine Weltausstellung mit besonderem Anspruch unter dem Motto Mensch-Natur-Technik. In Hannover wollte man Visionen und Modelle für das Zusammenleben und -arbeiten in der Zukunft präsentieren. Anfangs zögerten die Menschen, sich auf dieses Thema einzulassen. Erst als sich herumsprach, wie bunt und lebhaft es auf dieser Expo zuging - und als die Tickets günstiger und spezielle Abendkarten eingeführt wurden -, kamen auch die Besucher.
"Zusammengehörigkeitsgefühl der Menschen aller Nationen"
Sie flanierten auf dem Expo-Boulevard, ließen sich verzaubern von der Gastfreundschaft der Afrikaner, liefen auf extra eingeflogenem Wüstensand ins Wüstenfort der Vereinigten Arabischen Emirate und genossen den frischen Fisch auf dem Basar, erklommen den niederländischen Pavillon und tanzten mit den Argentiniern oder den Australiern bis in die Nacht hinein. "Die Abschlussveranstaltung gehört zu den schönsten Erlebnissen, die ich habe", sagt Kai-Uwe Saul. "Die Scorpions mit 'Moments of Glory', dann die Lichtinstallation und vor allem dieses Zusammengehörigkeitsgefühl der Menschen aller Nationen. Einmalig!" Die Weltausstellung vom 1. Juni bis 31. Oktober 2000 lockte letztlich zwar nicht die kalkulierten 40, aber immerhin 18,1 Millionen Besucher.
Die Nachnutzung: Kritik und Häme
Wer sich erinnern möchte, kann heute auf das Expo-Gelände fahren. Der Besucher braucht allerdings viel Fantasie. Heute ist der Expo-Park eine Mischung aus Gewerbegebiet, Hochschulcampus und Brachflächen. Nach der Weltausstellung musste die Stadt wegen der zögerlichen Nachnutzung und Vermarktung viel Kritik und Häme einstecken, denn vor der eigentlichen Expo hatte sie mit der lückenlosen weiteren Nutzung und der Nachhaltigkeit des ganzen Projekts geworben. Stattdessen verrotteten etliche Pavillons und die Stadt blieb auf erheblichen Kosten sitzen.
IT-Branche schwächelt - Plan der Stadt scheitert
"Es ist anfangs viel schiefgelaufen und die Vorstellung, dass man die Pavillon-Architektur erhalten könne und einfach IT-Unternehmen dort einziehen würde, die zerplatzte spätestens 2002, als die Branche schwächelte", erklärt Stefan Schlutter vom Anlieger-Verein Expo-Park. Er hat die Entwicklung des Expo-Parks auch als Referent an der Fachhochschule Hannover von Anfang an begleitet. Einige außergewöhnliche Pavillons findet der Besucher noch auf dem Gelände: den Expo-Wal, der als Kirche genutzt wird, den gelben Pavillon aus Litauen oder die Fin-Box mit ihrer Waldlandschaft. Einer der ersten Nachnutzer war DJ und Produzent Mousse T., der den belgischen Pavillon schon 2000 kaufte und zum "Peppermint Park" mit Musikstudio, einer Eventhalle und einem Restaurant umbaute.
Nach 20 Jahren zieht nun neues Leben ein
Gerade rechtzeitig zum 20. Jahrestag der Weltausstellung können nun die Stadt und die Vermarkter aufatmen. Alle Grundstücke und Pavillons auf dem Gelände der Weltausstellung sind verkauft. Und es tut sich einiges. Gerade ist der litauische Pavillon doch noch an eine Baufirma verkauft worden, der dänische wurde aufwendig saniert und wird als Energie-Plus-Designbau genutzt. Ein Investor aus Österreich plant mit den "Chicago Lane Office Suites" ein exklusives Business-Center für rund 30 Millionen Euro, ein Verlagsgebäude ist im Bau. Sorgenkind ist ausgerechnet der niederländische Pavillon, das heimliche Wahrzeichen der Expo. Der Eigentümer musste auf Drängen des Bauamts nochmals seine Pläne ändern. Mittlerweile warten die Bremer Investoren seit zweieinhalb Jahren auf die Baugenehmigung für ein Campus-Wohnprojekt.
Neues Wohngebiet: Kronsrode
So richtig in Fahrt gekommen ist die Vermarktung mit der geplanten Erschließung des angrenzenden Gebiets Kronsrode. Dort plant die Stadt 3.500 Wohnungen mit entsprechender Infrastruktur. "Die Vermarkter konnten den Investoren jetzt Wohnungen in unmittelbarer Nähe von zukünftigen Arbeitsplätzen anbieten", berichtet Stefan Schlutter. Das sei einzigartig in ganz Deutschland.
Ein Großprojekt braucht eben seine Zeit
Nach 20 Jahren schlagen viele Beteiligte einen versöhnlichen Ton an. "In der Retrospektive sieht es städteplanerisch gar nicht so schlecht aus", meint Schlutter. Dadurch, dass die Stadt an ihrem strengen Bebauungsplan festgehalten habe, entwickele sich jetzt ein hochwertiger Standort mit angrenzendem "grünem" Wohnquartier und eine Hochschullandschaft und eben kein "seelenloses" Gewerbegebiet. Betrachte man alles als ein Großprojekt, meint Schlutter, dann sei solch eine Vermarktungszeit durchaus im städteplanerischen Zeitrahmen.