"Mehr Ehrlichkeit wäre wünschenswert gewesen"
20 Jahre ist der Beginn der Weltausstellung in Niedersachsens Landeshauptstadt nun her. Die Expo 2000, das riesige Prestige-Projekt, war da schon seit vielen Jahren vorbereitet worden. Einer, der diesen Prozess begleitet hat, ist Ralf Strobach von der Bürgerinitiative Umweltschutz in Hannover, der auch ein Buch über die Expo geschrieben hat. Er stand der Mega-Veranstaltung in seiner Stadt äußerst kritisch gegenüber.
Welches waren Ihre größten Sorgen im Vorfeld der Expo?
Ralf Strobach: Befürchtet haben wir eine durchgehend hohe Verkehrsbelastung, insbesondere des Autoverkehrs. Eine auch deswegen vornehmlich auf das Einmalereignis Expo ausgerichtete Stadtplanung. Eine durch die Bautätigkeit und private Wohnungvermietung verstärkte Wohnungnot und auch steigende Mietpreise. Dass die Ausstellungsinhalte im Themenpark sich vornehmlich an Interessen einzelner Industriekonzerne orientieren. Und dass der Umweltschutz nur als Deckmantel und Marketinginstrument missbraucht wird.
Haben sich diese Befürchtungen bestätigt - oder wurden Sie auch positiv überrascht?
Strobach: Die Besucherzahlen waren ja um ein Vielfaches geringer als geplant. Statt 40 Millionen Tagesbesuchern waren es nur 18 Millionen. Statt 20 Millionen Personen haben nur 5 Millionen die Expo besucht (die gut 18 Millionen Tickets wurden an gut 5 Millionen Menschen verkauft, Anm. d. Red.). Der Anteil der städtischen und regionalen Besucherinnen und Besucher war viel höher, der Anteil der internationalen viel niedriger. Daraus folgt, dass die Umweltbelastungen durch den Verkehr und auch für den Wohnungmarkt entsprechend viel niedriger waren.
Unsere Befürchtungen hinsichtlich der auf die Expo ausgerichteten Stadtplanung haben sich eher bestätigt: der Bau der riesigen Pferdeturmkreuzung, die Linienführung der Stadtbahn am Rand des Wohngebietes Kronsberg, die Verschiebung anderer Stadtbahnverlängerungen nach hinten. Die Ausrichtung des Themenparks hat sich immer mehr an den Interessen einzelner Industriekonzerne orientiert. So wurde zum Beispiel ein Loblied auf die fossile Energie gesungen, Kohle als CO2-neutral und Atomenergie als sicher dargestellt. Der Druck der Expo-Kritik hat aber dazu geführt, dass zum Beispiel die Kronsberg-Siedlung mit einem höherem Energiestandard gebaut wurde als bisher in Hannover.
Hätten Sie es vorgezogen, die Expo gar nicht in der Stadt zu haben, oder hätten Sie sich nur eine andere Herangehensweise gewünscht?
Strobach: Zur Bürgerbefragung wurde viel versprochen, das nicht gehalten werden konnte. Mehr Ehrlichkeit wäre da wirklich wünschenswert gewesen.
Kritisiert haben Sie im Vorfeld der Expo unter anderem den CO2-Ausstoß durch den Anreiseverkehr und Einwegbehältnisse, die viel Müll produzieren. Die Expo gebe sich fälschlicherweise ein umweltfreundliches Image, so ein Kritikpunkt. Das sind Themen, die heute noch genauso aktuell sind wie vor 20 Jahren. Haben Sie den Eindruck, dass Hannover aus der Expo gelernt hat?
Strobach: Das Thema Nachhaltigkeit wurde nach der Expo leider nicht weitergeführt, was dafür spricht, dass der Marketingeffekt überwogen hat. Zwei Beispiele: Baugebiete in Hannover werden weitgehend immer noch nach den Energiestandards der Kronsberg-Siedlung gebaut, eine Weiterentwicklung in Richtung vollständiger Passivhausbauweise gibt es leider nicht. Und zweitens: 20 Jahre nach der Expo sollte im Juli 2020 auf dem Messegelände die Auto-Tuning-Messe "PS-Days" stattfinden, nur wegen Corona wurde sie abgesagt.
Mit welchem Gefühl, mit welchen Gedanken blicken Sie heute auf die Expo 2000 zurück?
Strobach: Unterschätzt haben wir in den Diskussionen vor der Expo, dass sie ein touristisches Event für die regionalen Besucherinnen und Besucher sein könnte beziehungsweise dann - wegen der ausbleibenden Fernreisenden - auch war. Deswegen sehen es auch viele rückwirkend positiv. Persönlich war es interessant, sich zwölf Jahre lang, seit 1988, immer wieder mit dieser Einmalveranstaltung beschäftigt und mitdiskutiert zu haben. Durch die Kritik an der Expo konnten wir einiges zum Besseren beeinflussen - vieles aber auch nicht.
Die Fragen stellte Julia Scheper.