Pruritus: Chronischen Juckreiz richtig behandeln

Stand: 09.04.2024 13:12 Uhr | vom Norddeutscher Rundfunk-Logo

Chronischer Juckreiz, Pruritus genannt, kann mangelnde Hautpflege, entzündliche Hauterkrankungen oder Erkrankungen der Leber, Galle sowie der Niere als Ursachen haben. Welche Behandlung hilft?

Wenn die Haut länger als sechs Wochen juckt, sprechen Ärzte von chronischem Juckreiz oder Pruritus. Der Juckreiz kann dabei am ganzen Körper auftreten oder nur an bestimmten Stellen. Betroffene haben oft einen hohen Leidensdruck: Sie kratzen sich beispielsweise wund oder können nicht mehr richtig schlafen. Auch ihr Sozialleben ist häufig beeinträchtigt. Im schlimmsten Fall kann Juckreiz zu Depression führen.

Ursachen für Juckreiz sind vielfältig

Die möglichen Ursachen für chronischen Juckreiz (Pruritus) sind mannigfaltig. Er kann durch Schädigung oder Erkrankung der Haut selbst verursacht sein. So kann zum Beispiel eine Störung der Hautbarriere - wie es bei zu trockener Haut der Fall ist - einen Juckreiz auslösen. Ebenso können entzündliche Hauterkrankungen - wie die atopische Dermatitis (Neurodermitis), Nesselsucht (Urtikaria), Schuppenflechte (Psoriasis vulgaris) oder auch Infektionen - zu Juckreiz führen.

Teilweise ist Juckreiz aber auch nur ein Symptom, das sich auf der Haut bemerkbar macht und der Auslöser liegt ganz woanders im Körper. So können auch Erkrankungen der inneren Organe, wie Leber, Galle oder Niere sowie Stoffwechselerkrankungen, wie Diabetes zu Juckreiz führen. Auch Tumore, ein Bandscheibenvorfall, neurologische Erkrankungen oder bestimmte Medikamente können ihn auslösen.

In vielen Fällen wird der Grund für chronischen Juckreiz nicht oder erst sehr spät erkannt. In Deutschland leiden Millionen Menschen an chronischem Juckreiz.

Ursachen von Juckreiz erkennen

Vor allem in der kalten Jahreszeit kann Juckreiz harmlose Ursachen haben, wie zum Beispiel trockene Haut. Eine genaue Beschreibung, wo und wann es juckt, kann dem Arzt helfen, die Ursache von Juckreiz herauszufinden:

  • Jucken auf dem Kopf - kann durch Unverträglichkeit auf Shampoo, trockene Kopfhaut oder Pilzbefall ausgelöst werden.
  • Ausschließlich nächtliches Jucken auf der Haut - tritt bei Krätze (Skabies) auf, eine durch die Grab- oder Krätzemilbe verursachte parasitäre Hautkrankheit.
  • Jucken in Leiste, Halsfalte oder Achselhöhlen kann ein Hodgkin-Lymphom als mögliche Ursache haben.
  • Jucken die Fußsohlen, können Leberprobleme die Ursache sein.
  • Juckreiz nach Kontakt mit Wasser: Möglicherweise ist der Grund eine seltene Erkrankung der blutbildenden Zellen im Knochenmark, bei der es zu einer chronischen Vermehrung der roten Blutkörperchen (Erythrozyten) kommt.
  • Juckreiz an oder in der Nase: Dabei kann es sich um ein Ekzem handeln, in sehr seltenen Fällen ist es ein Hinweis auf einen Hirntumor.
  • Juckreiz an verschiedenen Stellen: Nierenprobleme könnten der Auslöser sein, aber auch Multiple Sklerose, eine HIV-Infektion oder Diabetes.
  • Juckreiz besonders am oberen Rücken: Eine Störung der Hautbarriere durch zu trockene Haut kann die Ursache sein, da dieser Hautregion beim Eincremen schwer erreichbar ist.

Juckende Haut durch Störung der Hautbarriere

Unsere Haut hat einen natürlichen eigenen Schutzmantel: die sogenannte Hautbarriere. Dabei handelt es sich um die oberste Schicht der Epidermis. Sie schützt die darunterliegende Haut vor schädlichen Stoffen, wie Bakterien oder Pilzen und verhindert, dass die Haut zu viel Flüssigkeit nach außen verliert. Man kann sie sich wie eine gut verfugte Ziegelmauer vorstellen. Ist die Haut jedoch zu trocken, dann fehlt dieser Hautbarriere sowohl das Fett als auch die Feuchtigkeit, um die Steine dieser Schutzmauer zusammenzuhalten. Die Zellen haften nicht mehr aneinander und lösen sich in kleinen Schuppen ab. Die Schutzbarriere bröckelt.

Die Folge: Es kommt zu Mikroverletzungen der darunterliegenden Haut, Keime können einwandern und es kommt zur Entzündung. Das aktiviert Nervenzellen und man empfindet Schmerzen oder Juckreiz. Häufig kommt es besonders im Winter zur Störung der hauteigenen Schutzbarriere durch die trockene Luft. Insbesondere Schienbeine und der obere Rücken sind oft betroffen, unter anderem, da hier häufig wenig eingecremt wird. Regelmäßiges Eincremen - bis zu einmal täglich mit rückfettender Hautpflege - hilft, die natürliche Schutzbarriere der Haut gesund zu halten.

Cholestatischer Juckreiz durch Leber und Galle

Sind Erkrankungen von Leber oder Galle die Ursache, handelt es sich um den sogenannten cholestatischen Juckreiz. Dieser tritt bereits in frühen Krankheitsstadien auf und kann beispielsweise auf eine Gelbsucht (Ikterus) hinweisen.

Typisch ist eine Zunahme der Beschwerden in den frühen Abend- und Nachtstunden. Häufig tritt der Juckreiz an den Fußsohlen und an den Innenflächen der Hände auf. Er kann zu Schlafstörungen und Depressionen führen. Kratzen der Haut bringt beim cholestatischen Juckreiz oft keine Linderung, kann aber zu sogenannten sekundären Hautveränderungen wie Hautabschürfungen, kleinen Wunden, Blutungen, Krusten und Juckreizknötchen (Prurigo nodularis) führen. Und das wiederum kann erneut Juckreiz auslösen.

Bei 80 Prozent derjenigen, die an primärer biliärer Zirrhose (PBC) oder primärer sklerosierender Cholangitis (PSC) erkrankt sind, ist Juckreiz vorherrschendes Symptom. Bei chronischer Hepatitis-C-Infektion leiden fünf bis 15 Prozent der Betroffenen an chronischem Juckreiz. Relativ selten tritt Juckreiz bei chronischer Hepatitis-B-Infektion und alkoholischen Lebererkrankungen auf.

Ursachen für cholestatischen Juckreiz

Bei gestörter Sekretion der Gallensäure sammeln sich sogenannte gallepflichtige Stoffe im Blut und im Gewebe an. Sie können zur Entstehung von Juckreiz beitragen. Auch weibliche Sexualhormone werden als Juckreiz auslösende Stoffe diskutiert. Frauen mit cholestatischen Lebererkrankungen berichten häufig über besonders starken Juckreiz. Bei Lebererkrankungen könnten körpereigene Opioide eine Rolle als Auslöser spielen.

Cholestatischen Juckreiz behandeln

Erste Wahl bei der Behandlung des cholestatischen Juckreizes ist das sogenannte Austauscherharz Colestyramin. Es sollte jeweils vor und nach dem Frühstück eingenommen werden. Allerdings muss die Einnahme mit einem zeitlichen Abstand von mindestens vier Stunden zu anderen Medikamenten erfolgen, da es deren Aufnahme im Körper stören kann. Zu den möglichen Nebenwirkungen zählen Unwohlsein, Blähungen und Durchfälle.

Das Antibiotikum Rifampicin stellt die zweite Wahl in der Juckreizbehandlung dar. Als Nebenwirkung kann es eine zusätzliche Leberschädigung verursachen. Daher sollten bei einer Rifampicin-Therapie die Leberwerte regelmäßig kontrolliert werden.

Auch Opioid-Antagonisten wie Naltrexon als Tablette oder Naloxon als Infusion können zur Behandlung des chronischen Juckreizes eingesetzt werden. Die Therapie sollte mit niedriger Dosierung beginnen, an zwei Tagen pro Woche sollte die Behandlung pausieren, damit kein Gewöhnungseffekt an das Medikament eintritt.

Neuropathischen Juckreiz behandeln

Vom cholestatischen Juckreiz unterscheidet sich der sogenannte neuropathische Juckreiz. Er entsteht bei starkem Druck auf die empfindlichen Nervenfasern der Haut, wie zum Beispiel bei einem Bandscheibenvorfall. In der Regel betrifft der neuropathische Juckreiz ein bestimmtes, klar begrenztes Hautareal (beispielsweise den Unterarm beim sogenannten brachioradialen Pruritus). Gegen neuropathischen Juckreiz helfen das Kühlen der Haut, zum Beispiel mit mentholhaltigen Cremes, und Medikamente, die zur Behandlung von Epilepsie eingesetzt werden (Anti-Epileptika wie Gabapentin oder Pregabalin). Offenbar dämpfen sie die Weiterleitung bestimmter Impulse an das Gehirn.

Antihistaminika gegen Juckreiz

Juckreiz lässt sich auch mit sogenannten Antihistaminika dämpfen:

  • Fenistil und Tavegil sind Antihistaminika der ersten Generation - sie können sehr müde machen.
  • Cetirizin ist eine wirksame und weniger müde machende Substanz der zweiten Generation.
  • Wer durch die Antihistaminika der ersten und zweiten Generation zu müde wird, kann seinen Arzt nach einem Medikament der dritten Generation fragen, zum Beispiel Fexofenadin.

Lichttherapie bei chronischem Juckreiz

Eine sehr wirksame und nebenwirkungsfreie Behandlungsmöglichkeit ist die Lichttherapie. Dabei handelt es sich um Anwendungen in einer speziellen Kabine mit Licht, das eine Wellenlänge von 311 Nanometern hat. Die Anwendungen müssen zwei bis drei Mal pro Woche erfolgen über einen Zeitraum von circa acht Wochen. Die Lichttherapie wird von den Krankenkassen nur im Rahmen einer dermatologischen Rehabilitationsmaßnahme übernommen.

Ernährung: Bei Dialyseanwendung auf Phosphat verzichten

Bei Dialysepatientinnen und -Patienten, die unter Juckreiz leiden, kann es helfen, das Phosphat im Körper zu reduzieren. Dazu gehört die regelmäßige Einnahme ärztlich verschriebener Phosphatbinder - aber auch, phosphatreiche Nahrungsmittel mit Vorsicht zu genießen. Vor allem Cola sowie Milch- und Fertigprodukte enthalten viel Phosphat. Bringt das keine Linderung, könnten auch hier Anti-Epileptika wie Gabapentin helfen.

Behandlung: Tipps gegen Juckreiz

Ursache für Juckreiz sind nicht nur Erkrankungen: Es gibt eine Reihe von Faktoren, die die Haut reizen können. Beispielsweise nimmt die Hautfeuchtigkeit im Alter ab - die Haut wird trockener und juckt. Wer unter Juckreiz leidet, sollte diese Tipps bei der Behandlung beachten:

  • Die Haut regelmäßig mit rückfettenden Cremes behandeln, vor allem nach dem Duschen. Wichtig ist, dass die Cremes oder Lotionen Harnstoff (Urea), Glycerin oder Milchsäure enthalten. Sie versorgen die Haut mit Feuchtigkeit oder stabilisieren den natürlichen Säureschutzmantel der Haut.
  • Meiden sollte man trockenes Raumklima, häufiges oder sehr warmes Duschen sowie langes und warmes Baden, Saunagänge oder alkoholhaltige Pflegeprodukte. Sie können die Haut austrocknen.
  • Auch Stress, Aufregung, Alkohol und sehr scharfes Essen können zu Juckreiz führen.
  • Tritt der Juckreiz verstärkt nachts im Bett auf, kann Milbenbefall die Ursache sein - gegebenenfalls die Matratze austauschen, Räume saugen und die Matratze mit einem Encasing beziehen.
  • Damit die Haut nicht mechanisch gereizt wird, sollten Betroffene nicht zu eng anliegende Kleidung aus Baumwolle tragen und, am besten atmungsaktive Bekleidung anziehen.
  • Nachts können Baumwollhandschuhe vor dem Aufkratzen der Haut schützen.
  • Bei plötzlich auftretendem starkem Juckreiz helfen kühle, feuchte Umschläge mit Joghurt, Schwarztee oder etwas Essig. Die Haut anschließend gut eincremen. Feucht nimmt die Haut die Creme am besten auf.
  • Entspannungstechniken wie Yoga, progressive Muskelentspannung und autogenes Training können helfen, besser mit dem Juckreiz umzugehen.
  • Schweiß fördert Juckreiz und sollte daher möglichst vermieden oder mit einem Waschlappen entfernt werden.
  • Kälte hilft gegen Juckreiz: Cremes vor Anwendung in den Kühlschrank legen. Akut können auch Kühlakkus zur Linderung beitragen und besonders das Schlafzimmer sollte abends kühl gehalten werden.

Juckreiz-Forschung: Cytostretcher erlaubt Test neuer Wirkstoffe

In Münster erforschen Pruritus-Expertinnen und -Experten die Wirkung neuer Therapien. Dabei verwenden Sie unter anderem den "Cytostretcher", ein Gerät, das Hautzellen auf ähnliche Weise stresst wie Juckreiz. So können die Forschenden einfacher neue Wirkstoffe ausprobieren.

Juckreiz wird von Betroffenen individuell empfunden - und auch die Begleitsymptome sind unterschiedlich stark ausgeprägt. Zur Beurteilung der verschiedenen Dimensionen chronischen Juckreizes haben die Forschenden standardisierte Skalen und Fragebögen entwickelt: Sie empfehlen, Fragebögen zu den durch Juckreiz verursachten Symptomen wie Schlafstörungen, Angstzustände, Depressionen und Beeinträchtigungen der Lebensqualität im klinischen Alltag einzusetzen, um eine umfassende Beurteilung jedes einzelnen Betroffenen zu ermöglichen.

Wie Juckreiz entsteht: Nervenzellen verändern sich bei chronischem Pruritus

Die Nervenzellen von Betroffenen bestimmter Juckreiz auslösender Erkrankungen sind viel stärker verzweigt als bei gesunden Menschen, fanden die Forschenden in Münster heraus. Weil die Nervenzellen pausenlos von Botenstoffen und Entzündungszellen befeuert werden, sprießen immer mehr Verzweigungen. Diese Leitungsbahnen senden pausenlos Signale, daher ist die Haut dauernd in Alarmbereitschaft - was sich in anhaltendem Jucken äußert.

Die Haut kann also an einzelnen Körperstellen oder am gesamten Körper jucken, wenn

  • bestimmte Nervenfasern durch die Botenstoffe Histamin und Serotonin erregt werden.
  • mechanische Reize, Gifte oder Temperaturschwankungen zur Ausschüttung von Histamin führen.

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Dieses Thema im Programm:

NDR Fernsehen | Visite | 09.04.2024 20:15

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