Herzangst erkennen und behandeln

Stand: 07.05.2020 17:41 Uhr

Angst ums Herz führt in einen Teufelskreis: Betroffene meiden Belastung - und können ihr Herz genau dadurch schädigen. Hilfreich ist eine ärztlich überwachte Bewegungstherapie.

Jeder Stich in der Brust, jedes Stolpern des Herzschlags führt zu Beklommenheit und Angstschweiß, plötzlicher Druck in der Brust kann eine Panikattacke auslösen: Schätzungsweise 100.000 Menschen in Deutschland leiden an einer Herzneurose, auch Herzangst, Herzphobie oder Cardiophobie genannt. Sie sind besorgt, dass ihr Herz lebensbedrohlich krank ist und sie plötzlich im Stich lässt: eine wahre Todesangst, aus der heraus sich die Betroffenen oft zunehmend von Aktivitäten des Alltags zurückziehen - bis hin zur sozialen Isolation. Betroffen sind vor allem Menschen über 40 Jahre, häufiger Männer als Frauen.

Herzneurose hat psychische Ursachen

Die Herzneurose gehört zu den Angststörungen, also den psychischen Erkrankungen. Körperlich kann alles in bester Ordnung sein. Manchmal ist die Herzangst Folge eines auslösenden Ereignisses - ob ein harmloser Schwindelanfall oder ein Herzinfarkt, ob selbst erlebt oder im engen Familien-/Bekanntenkreis. Begünstigend wirken ungelöste Konflikte - gegenwärtige ebenso wie unüberwundene aus der Kindheit. Missempfindungen am Herzen wie auch Berichte aus den Medien oder aus dem Bekanntenkreis über Herz-Kreislauf-Probleme können dann verschiedene Symptome von Herzkrankheiten auslösen.

Körperliche Symptome und Angst führen in einen Teufelskreis

Auf die Angst reagiert der Organismus - automatisch und unbewusst - mit einer typischen Stressreaktion: Botenstoffe werden aktiviert, die den Körper in Alarmbereitschaft versetzen und körperliche Symptome wie Schwindel, Herzklopfen, Herzrasen, Atemnot, Zittern oder Schwitzen ("Angstschweiß") erzeugen. Die Angst vor einem Herzstillstand oder Herzinfarkt kann den Blutdruck steigen oder fallen lassen. Mediziner sprechen in diesen Zusammenhang von einer funktionellen Störung des Herz-Kreislauf- und Atemsystems. Körperliche Symptome und die Angstreaktion darauf schaukeln sich bei Herzphobikern gegenseitig hoch - ein Teufelskreis.

Panik und "Angst vor der Angst"

Da Herzphobiker in einer Art permanentem Alarmzustand leben, reichen bei ihnen oft schon Kleinigkeiten (ein lautes Geräusch, nervliche Belastung, ein kleiner Infekt), um den Kreislauf der Angst zu schüren: körperliche Symptome wie erhöhter Puls, daraus resultierend Herzangst, daraus resultierend noch stärkende Herz-Kreislauf-Symptome - bis hin zu Panikattacken.

Symptome der Herzangst können sehr ernst sein

Die Gedanken kreisen bei Betroffenen regelmäßig, wenn nicht sogar ständig um die eigene Herztätigkeit. Sie horchen immer wieder in sich hinein, messen ihren Puls oder Blutdruck. Vermeintlich wahrgenommene Unregelmäßigkeiten wie etwa ein kurzes flaues Gefühl führen zur Angstreaktion. Mögliche Symptome sind

  • Herzrasen/stark erhöhter Puls
  • Herzstechen
  • Herzrhythmusstörungen (Stolpern, Aussetzer)
  • Übelkeit
  • Schwindel
  • Schwitzen, Schweißausbrüche
  • Todesangst
  • erhöhter Blutdruck
  • Zittern
  • Atemnot, Hyperventilation
  • Brustenge - Schmerzen in der Brust, die in den linken Arm oder Rücken, bis in den Unterkiefer oder in den Magen ausstrahlen können.

Bezeichnend ist, dass die Symptome in Gegenwart eines Hausarztes oder Internisten oft nachlassen.

Vermeidungsverhalten und soziale Isolation als Folge

Aus ihrer Angst heraus entwickeln Betroffene ein ausgeprägtes Vermeidungsverhalten, "um das Herz zu schonen". Sie vermeiden körperliche Anstrengung und überprüfen alle Aktivitäten dahingehend, ob sie für das Herz gefährlich sein könnten. Das schränkt sie im Alltag meist immer stärker ein. Sie begeben sich möglichst nicht mehr Situationen, in denen kein Arzt in der Nähe ist oder in denen sie schon einmal Herzbeschwerden hatten. So erscheinen beispielsweise Sport, Ausflüge oder Reisen nahezu unmöglich - es sei denn, eine unmittelbare ärztliche Versorgung wäre vor Ort erreichbar.

Diagnose durch Ausschluss organischer Ursachen

Menschen mit Herzangst sind meist häufiger beim Arzt, wobei in der Regel jedoch keine organischen Ursachen für eine Herzerkrankung gefunden werden. Feststellbar sind eventuell leichte Veränderungen bei Blutdruck und/oder Puls.

Die Diagnose einer Herzangst liegt nahe, wenn Symptome einer Herzerkrankung vorhanden sind, ohne dass sich körperliche Ursachen feststellen lassen. Der Kardiologe oder Internist wird nach eingehendem Anamnesegespräch und Untersuchungen (Ruhe-EKG, Belastungs-EKG, gegebenenfalls weitere wie Ultraschall, Herzkatheter) eine Ausschlussdiagnose stellen.

Therapie der Herzneurose

Im Akutfall kann meist schon die bloße Anwesenheit eines Arztes zur Beruhigung beitragen.

Langfristig ist oft eine psychologische oder psychiatrische Betreuung nötig, um die Beschwerden in den Griff zu bekommen. Sich dies einzugestehen ist für viele Betroffene nicht leicht. Sie fühlen sich unverstanden und als Hypochonder abgestempelt, was zusätzlich belasten kann. Zeit und einfühlsame Gespräche sind ein wichtiger Faktor in der Behandlung.

Frau faltet ihre Hände vor dem Körper. © colourbox Foto: -
AUDIO: Progressive Muskelentspannung nach Jacobson (17 Min)

Entspannungstechniken erlernen

Ein erster Schritt zur Besserung ist oft das Erlernen von Entspannungstechniken wie zum Beispiel Progressive Muskelentspannung oder Autogenes Training. Damit können Betroffene ihren generellen Stresspegel senken und Herzneurose-Symptome wie Herzrasen selbst mildern.

Bewegungs- und Psychotherapie bei Herzangst

In einer Psychotherapie lernen Herzphobiker, dass auftretende Symptome zwar nicht eingebildet, aber meist harmlos und nicht organisch bedingt sind. Oft hilfreich ist eine kognitive Verhaltenstherapie mit bewegungstherapeutischen Inhalten. Ziel ist, das Vertrauen ins eigene Herz zurückzugewinnen. Betroffene erfahren dabei durch ärztlich überwachte Übungen, dass ihr Herz körperliche Anstrengung sehr wohl verkraftet.

Sport stärkt Vertrauen in den eigenen Körper

Denn Schonung und Bewegungslosigkeit sind die wahre Gefahr fürs Herz: Dauerhafte körperliche Passivität erhöht das Herz-Kreislauf-Risiko erheblich. Insofern ist die Rückkehr in einen normalen Alltag mit leichten Sporteinheiten wie Radfahren, Walking oder Schwimmen lebenswichtig.

Sport stärkt die Vitalität und das Vertrauen in den eigenen Körper. Studien zufolge wirkt Bewegung wie ein natürlicher Betablocker, reduziert Stress und Ängste, sorgt für mehr seelische Stabilität. Ein angeleiteter, sicherer Einstieg für Betroffene in einen aktiveren Alltag kann beispielsweise auch im geschützten Rahmen einer Herzsportgruppe erfolgen.

Medikamente bei Herzangst

Experten sehen Medikamente in der Herzneurose-Therapie kritisch. Bei stark ausgeprägter Symptomatik können Betablocker vorübergehend Entlastung bringen. Aufgrund der Nebenwirkungen sind sie aber nicht auf Dauer geeignet, ebenso wenig Beruhigungsmittel (Tranquilizer) und Antidepressiva.

Nachhaltig hilfreich ist für Betroffene letztlich nur, mit fachkundiger Unterstützung den Weg der Angst hinaus zu gehen und das Vertrauen in sich selbst und das Herz zurückzugewinnen.

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