Marco Goecke bittet um Verzeihung: "Schändliche Handlung im Affekt"
Bereits am Montag hatte Marco Goecke eingeräumt, er habe "im Affekt" gehandelt. Am Dienstag hat der Ex-Ballettchef in einer Stellungnahme die FAZ-Kritikerin Wiebke Hüster um Verzeihung für seine Hundekot-Attacke gebeten. Diese findet Goeckes Statement "höchst inakzeptabel".
"Ich bitte um Verzeihung dafür, dass mir letztlich der Kragen geplatzt ist", sagte Marco Goecke am Dienstag. "Ich bitte aber auch um ein gewisses Verständnis zumindest für die Gründe, aus denen dies geschehen ist." Die Stellungnahme ließ Goecke über seine Management-Agentur mit Sitz in Berlin verbreiten.
Goecke: "Schändliche Handlung im Affekt und eine Überreaktion"
In dem Statement betont der suspendierte Ballettchef, er wolle sich bei allen Beteiligten, an erster Stelle bei Wiebke Hüster, für seine "absolut nicht gutzuheißende Aktion aufrichtig entschuldigen. Im Nachhinein wird mir klar bewusst, dass dies eine schändliche Handlung im Affekt und eine Überreaktion war."
Goecke schränkte seine Entschuldigung durch eine Medienkritik ein. Aus seiner Sicht sei es angebracht, dass die Medien "eine gewisse Form der destruktiven, verletzenden und den gesamten Kulturbetrieb schädigenden Berichterstattung" überdenken.
Wiebke Hüster: "Keine Entschuldigung für die physisch brutale Gewalt"
Wiebke Hüster sagte am Dienstag auf Anfrage von NDR Niedersachsen am Telefon, dass diese Stellungnahme "höchst inakzeptabel" sei und "keine Entschuldigung für die physisch brutale Gewalt", die Goecke ihr angetan habe.
Dachverband Tanz hofft auf weitere Zukunft für Goecke
Unterdessen hofft der Dachverband Tanz Deutschland, dass die Stücke des Künstlers trotz der Attacke weiter gespielt werden. "Ich hoffe, dass die künstlerische Arbeit weiter möglich sein wird", sagte der Geschäftsführer des Verbands, Michael Freundt, am Mittwoch dem Evangelischen Pressedienst. Es gebe Signale von wichtigen Bühnen in Stuttgart, München und Bern, Goeckes Stücke weiter auf dem Spielplan zu halten.
In einer offiziellen Stellungnahme hatte der Verband zuvor betont, der Angriff auf die Journalistin sei "durch nichts zu rechtfertigen". Erst im Oktober hatte er den Choreografen wegen dessen künstlerischen Leistungen mit dem Deutschen Tanzpreis ausgezeichnet.
Erklärungsversuche von Marco Goecke
Mit einer ähnlichen Begründung wie in seinem Entschuldigungs-Statement hatte Goecke noch am Montag seine Übergriff auf die Tanzkritikerin zu erklären versucht. Er fühlte sich verletzt und persönlich von der wiederholten Kritik Hüsters an seinen Stücken angegriffen. Mit nachvollziehbarer Kritik könne er umgehen. Er hatte aber von "Vernichtungskritik" bei der von ihm angegriffenen Tanzkritikerin gesprochen. "Diese Geschichte mit Frau Hüster zieht sich jetzt über 20 Jahre und ich habe mir irgendwann die Frage gestellt, ob ich das möchte. Ich habe mir auch die Frage gestellt, wie würden andere Menschen damit umgehen, die hart arbeiten, wenn sie über so einen langen Zeitraum mit Schmutz beworfen werden würden. Ich glaube, kein hart arbeitender Mensch würde sich das auf Dauer gefallen lassen und da stehe ich auch wirklich hinter."
Goecke: "Wahl der Mittel war absolut nicht super"
Darum hatte Marco Goecke die Tanzkritikerin der FAZ in der Pause eines Ballettabends im Foyer abgepasst und zur Rede gestellt. Es kam zum Streit. Goecke zog eine Tüte mit Hundekot aus seiner Tasche und beschmierte Wiebke Hüster damit im Gesicht. Im Affekt, wie er sagte: "Mein alter Dackel hatte ein Häufchen gemacht und ich hatte das dann in eine Tüte gepackt und wollte das draußen entsorgen." Journalistin Wiebke Hüster habe bei dem Vorfall geschrien. Nachdem ihr die Pressesprecherin des Theaters geholfen habe, sich im Waschraum der Intendanz zu säubern, sei sie zur Polizei gefahren und habe Anzeige erstattet. Eine Polizeisprecherin sagte dem Evangelischen Pressedienst (epd), die Polizei ermittele wegen Beleidigung und Körperverletzung. Jetzt würden zunächst Zeugen vernommen.
Staatsoper hatte umfassende Entschuldigung gefordert
Marco Goecke habe durch seine impulsive Reaktion gegenüber der Journalistin gegen alle Verhaltensgrundsätze der Staatsoper Hannover verstoßen, teilte die Theaterleitung am Montagnachmittag mit. Er habe damit das Publikum, die Mitarbeitenden des Hauses und die allgemeine Öffentlichkeit "auf das Extremste" verunsichert und der Staatsoper und dem Staatsballett Hannover "massiv geschadet". Suspendierung und Hausverbot sollen vor weiterem Schaden schützen. Das Hausverbot für Goecke sei der einzig richtige Schritt, sagt Falko Mohrs, niedersächsischer Minister für Wissenschaft und Kultur. "Ich glaube, jeder muss sich mit Kritik auseinandersetzen können und sich auch mit Kritik auseinandersetzen. Gewalt anzuwenden und übergriffig zu werden, das ist nicht zu entschuldigen und inakzeptabel."
Reaktionen aus Kunst und Kultur
So sehen das auch andere Vertreterinnen aus Kunst und Kultur. Esther Slevogt, Chefredakteurin vom Online-Portal nachtkritik, geht sogar noch einen Schritt weiter: Kritik sei nicht nur wünschenswert, sondern auch wertvoll für die Künstler und die Szene: "Wer eine Auseinandersetzung mit einer künstlerischen Arbeit als Kränkung auffasst, auch wenn die negativ ausfällt, dann würde ich den Fehler nicht bei der Kritik, sondern eher beim Künstler suchen, der nicht mit Kritik umgehen kann. So eine genaue und intensive Auseinandersetzung bekommt man doch überhaupt nirgend anders, als in einer Kritik." Dazu passt das schriftliche Statement von Carsten Brosda, Hamburger Kultursenator und Präsident des Deutschen Bühnenvereins: "Ich nehme in den letzten Jahren sogar eher den Wunsch wahr, dass die ästhetische Auseinandersetzung ruhig deutlicher werden könnte. Und ich höre die Sorge, dass es immer weniger Kritiker in den Redaktionen gibt, weil die Flächen für Kulturberichterstattung kleiner werden."
Intendantin Berman: Kritikerin "in ihrer persönlichen Integrität verletzt"
"Wir sind überaus bestürzt und bitten um Entschuldigung. Wir haben uns um die Betroffene gekümmert und uns persönlich bei ihr und auch öffentlich entschuldigt. Die Staatsoper Hannover ist ein offener Ort des respektvollen Miteinanders und Austausches", teilte die Intendantin der Staatsoper, Laura Berman, in einem Statement mit. Wiebke Hüster sei "in ihrer persönlichen Integrität verletzt worden". "Wir sind der Meinung, dass nun Ruhe und Sorgfalt geboten sind."
Regisseur Leander Haußmann hatte Goecke aufgefordert, um Vergebung zu bitten
Regisseur Leander Haußmann reagierte am Montag frustriert über den Vorfall. Im Interview mit NDR Kultur sagte er: "Hier ist ein Kollege über seine eigene Wichtigkeit gestolpert. Das ist ein Vergehen und wenn man da nicht um Vergebung bittet, hat man in unseren Reihen nichts mehr zu suchen. Dann ist man kein Künstler, bei uns geht es ums Menschsein, wir sind eine moralische Anstalt, wir machen sowas einfach nicht und auch nicht im Namen der Kunst. Da wird er keinen Rückhalt haben."
FAZ: Goecke drohte mit Hausverbot und wurde handgreiflich
Nach Angaben der FAZ fühlte sich Goecke offenbar provoziert durch Hüsters Rezension seines Den Haager Ballettabends "In the Dutch Mountains". Goecke habe ihr zunächst ein "Hausverbot" angedroht und ihr vorgeworfen, für Abonnementskündigungen in Hannover verantwortlich zu sein, schildert die FAZ den Vorfall. "Aber wir werten den demütigenden Akt über den Tatbestand der Körperverletzung hinaus auch als einen Einschüchterungsversuch gegenüber unserer freien, kritischen Kunstbetrachtung", schreibt die Zeitung weiter. Die "Grenzüberschreitung" von Goecke offenbare "das gestörte Verhältnis eines Kunstschaffenden zur Kritik".
Journalisten-Verband: "Attacke auf die Pressefreiheit"
Auch der Deutsche Journalisten-Verband Niedersachsen verurteilte den Angriff aufs Schärfste. "Ein Künstler muss Kritik ertragen, auch wenn sie überzogen erscheinen mag. Wer auf Kritik mit Gewalt reagiert, der ist nicht tragbar", schrieb der Landesvorsitzende Frank Rieger auf Twitter. Er forderte eine deutlichere Reaktion der Verantwortlichen: "Die Erklärung der Staatsoper zu dem Vorfall ist unzureichend, denn der Angriff auf die Journalistin der FAZ ist auch eine Attacke auf die Pressefreiheit."