Rätselhaft: Benjamin Brittens "Turn of the Screw" in Oldenburg
Schon Henry James' Romanvorlage bietet eine Handlung voller verschlungener Pfade zwischen Geistergeschichte und Psychogramm. Auch Brittens Oper liefert keine klare Auflösung. Das hat Regisseur Georg Heckel besonders fasziniert.
Auf einem abgelegenen Landsitz trifft eine junge Gouvernante für die beiden Kinder ein. Sie wird von der Haushälterin herzlich empfangen. Die Schützlinge Flora und Miles, ein verwaistes Geschwisterpaar, sind erstmal allerliebst.
Erste Regiearbeit Heckels in Oldenburg
Aber von Anfang an zeigt sich, dass die junge Frau unter großem Druck steht, sagt Intendant und Regisseur Georg Heckel: "Weil die Stellung dieser Gouvernante in ihrem Jahrhundert ja keineswegs eine freiwillige Entscheidung war, sondern eine neue Lebenssituation aufzwingt." Heckel stellt mit "The Turn of the Screw" aus dem Jahr 1954 von Benjamin Britten seine erste Regiearbeit als Generalintendant des Oldenburgischen Staatstheaters vor.
Und ihre Situation wird vollends bedrückend, weil ihr Auftraggeber, der Vormund der Kinder, im weit entfernten London, ihr eingeschärft hat, dass sie ihn bei Problemen keinesfalls kontaktieren soll. Er will nicht behelligt werden. Was soll sie also tun, als der junge Miles wegen eines mysteriösen Vorfalls von der Schule fliegt? Mit der Entscheidung ist sie allein.
Kinder unter unheilsamen Einfluss zweier Toter
Nach und nach erkennt die junge Frau: Beide Kinder, Miles und Flora, stehen unter dem unheilvollen Einfluss zweier toter Erwachsener: Miss Jessel, die Vorgängerin des Kindermädchens, und der Verwalter Quint. Beide kamen unter ungeklärten Umständen ums Leben. "Was ist hier geschehen, bevor ich kam?", fragt sich die neue Gouvernante.
Und damit wird auch das Opernpublikum gewissermaßen allein gelassen, sagt Dramaturgin Anna Neudert. Die Romanvorlage von Henry James bleibt rätselhaft, und auch Brittens Oper, so strukturiert und leitmotivisch sie auch daherkommt, bietet keine klare Auflösung. Viele Interpretationen haben sich an dem Rätsel versucht.
Publikum bleibt im Ungewissen
"War da was Homoerotisches zwischen Quint und Miles, oder ist irgendwie die Gouvernante eine Person, die unerfüllte Sexualität erlebt und daraus irgendwie halluziniert?", sind für die Dramaturgin Fragen, die sich aufdrängen. Was ist real, was ist Traum, was ist Wahn? Die junge Gouvernante ist hin und her gerissen. Sie liebt die Kinder, aber gerade der junge Miles macht ihr auch Angst, wenn er mit seinem Knabensopran das Böse besingt: Malo, Malo.
So wie die Protagonistin, so steht auch das Opernpublikum vor der Frage, was hier eigentlich vorgeht. Das, so sagt Regisseur Heckel, habe ihn besonders gereizt: "Weil dieser ungelöste, dieser nicht wirklich lösbare, nicht auf den Punkt zu bringende Fall und diese ständige Ungewissheit, die in dieser Oper mitschwingt, unglaublich herausfordernd war."
Viel Platz für Spekulation und Perspektive
Es ist schon geisterhaft, wenn Miles dem Kindermädchen beichtet: "Sehen Sie - ich bin schlecht." Dann wieder zweifelt die junge Frau am eigenen Verstand. Und immer wieder, von Szene zu Szene, kippt die Wahrnehmung, immer schneller tun sich für Handelnde und Zuschauende neue Blickwinkel auf. Regisseur Heckel gibt der Fantasie viel Raum in einem abstrakten und raffiniert-variablen Bühnenbild.
Er hat die Kammer-Oper auf die Bühne des Großen Hauses im Oldenburgischen Staatstheater gebracht, obwohl nur sechs Figuren agieren. Da ist viel Platz - für Spekulation und Perspektive. Das Rätsel wird letztlich nicht gelöst. So viele Zuschauer das Stück hat, so viele verschiedene Gedanken werden sie jeweils wahrscheinlich mit nach Hause nehmen.
Rätselhaft: Benjamin Brittens "Turn of the Screw" in Oldenburg
Schon Henry James' Romanvorlage verweigert sich der Eindeutigkeit, ebenso wie Brittens Oper, die jetzt am Oldenburgischen Staatstheater Premiere feiert.
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Oldenburgisches Staatstheater
Theaterwall 19
26122 Oldenburg
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