"Ein Sommer in Niendorf": Theater zwischen Nonsens und Apokalypse
Die Bühnenversion von Heinz Strunks Bestseller "Ein Sommer in Niendorf" ist am Sonnabend im Deutschen Schauspielhaus in Hamburg uraufgeführt worden. Darin: ein fabelhafter Charly Hübner als Ostseeurlauber, der auf ganzer Linie scheitert.
Willkommen in Niendorf an der Ostsee. Willkommen am toten Punkt: im Nirgendwo. Georg Roth quält sich am Anfang durch die Zuschauerreihen, angewidert vom Pauschaltourismus im Örtchen an der Ostsee: "Entschuldigung, ich muss hier mal durch, tut mir leid, das ist ja grauenhaft". Wo er denn hier gelandet sei? "Diese Rentner mit diesen E-Bikes und diesen Schutzhelmen - was gibt's denn da noch zu schützen?" Der Jurist kommt hierher, um drei Monate lang ein Buch zu schreiben, ein Buch über die Nazivergangenheit seines Vaters.
Studio Braun schaben an der Peinlichkeitsgrenze

Niendorf: Wer hier strandet, der hat es so gewollt. Charly Hübner als Georg Roth wirkt in seinem Leinenanzug und Schlapphut wie ein Wiedergänger von Gustav von Aschenbach aus der Visconti-Verfilmung von "Der Tod in Venedig". Der mittelalte Herr betritt einen Ort, an dem nichts mehr geht.
Wer kann besser vom Scheitern auf ganzer Linie erzählen als Heinz Strunk? Sarkastisch, bitterböse, oft flach, oft liebevoll. Er, Jacques Palminger und Rocko Schamoni sind Studio Braun - die Schöpfer dieses grellen, gemeinen, fantastischen, mitunter gähnend langweiligen, auch die Peinlichkeitsgrenze schabenden Theaterabends. Am besten, man gibt sich ihm einfach hin.
Alkohol, missglückte Sex-Dates und nervige Handy-Nachrichten
Charly Hübner spielt wundervoll blasiert und leichtfüßig, vor allem aber gerät seine Figur in einen Strudel aus Alkohol, missglückten Sex-Dates und den nervigen WhatsApp-Nachrichten der Tochter. Besonders witzig sind die Szenen mit dem Vermieter seines Apartments.
"Ich bin in Gedanken ganz woanders."
"Ah, ja klar, Schriftsteller, da kennt die Fantasie keine Grenze. Da will ich nicht länger stören, vielleicht sieht man sich ja später noch auf 'ne Kiste Bier."
"Ja, vielleicht."
Dialog aus "Ein Sommer in Niendorf"
Mit Überbiss und E-Zigarette, optisch zwischen gealtertem Surfer und Schlagerstar, spielt Yorck Dippe die Rolle des Vermieters großartig. Dazwischen treten Tänzer und Tänzerinnen in schwarzen Anzügen auf und gaukeln die Welt ringsum vor: Möwen, Passanten, Liebhaberinnen. In einem Restaurant wird ein Wohnwagen-großer Seehecht serviert. Die ganze Welt als Höllenfahrt.
Charly Hübner spielt, wie die Welt in ihm zerfällt
Dieser Theaterabend ist alles gleichzeitig: Nummern-Revue, Traumspiel und packendes Musical mit Liveband - und kommt an einem Punkt zu sich: "Ich habe Angst, sie sickert durch Tausende Risse in mich hinein", bekennt Roth. "Angst vor der Dunkelheit, Angst vorm Altwerden, vorm Dickwerden, Angst vorm Sterben." Charly Hübner steht vor dem Schwarz der Bühne, mit fleckigem Hemd. Er spielt fabelhaft, wie die Welt in ihm zerfällt.
"Es ist unglaublich, wie man aus etwas so Absurdem so ein gutes Stück machen kann", sagt eine Zuschauerin danach. "Die Umsetzung war genial." Auch ein anderer Zuschauer findet den Abend gelungen: "Es war total kurzweilig und lustig, hatte aber auch etwas Nachdenkliches dabei." Und dieser Besucher bringt seine Erfahrung so auf den Punkt: "Schrecklich schön. Wer gibt mir die Zeit zurück?"
Zum Ende gibt es den ganz großen Budenzauber mit Unterwasserballett und einem menschenfressenden Strandkorb. Die Apokalypse: Wenn sie so aussieht, könnte sie vergnüglich werden.
"Ein Sommer in Niendorf": Theater zwischen Nonsens und Apokalypse
Das Stück nach dem Bestseller von Heinz Strunk ist im Deutschen Schauspielhaus in Hamburg uraufgeführt worden - mit einem fabelhaften Charly Hübner.
- Art:
- Bühne
- Datum:
- Ort:
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Deutsches Schauspielhaus
Kirchenallee 39
20099 Hamburg - Telefon:
- 040 248713
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