Premiere in Stralsund: "Buddenbrooks" aus Sicht von Tochter Tony

Stand: 14.03.2025 11:37 Uhr

Der Roman "Buddenbrooks" von Thomas Mann beschreibt den Niedergang einer Familie und auch den einer vermeintlich stabilen Weltordnung. Das Theater Vorpommern zeigt jetzt eine eigene Fassung mit der Tochter Tony als Hauptfigur.

von Juliane Voigt

Da stehen sie als Foto fürs Familienalbum, direkt in der Familienchronik, ein aufgeschlagenes überdimensionales Buch, vor einer überdimensionalen Biedermeierrüsche, ein grau glänzender Vorhang auf der Hinterbühne des Theaters in Stralsund. Umbaut ist die Szene mit dunkelbraunen Holzkassetten, auf jeder prangt ein großes "B" für Buddenbrooks, in altdeutscher Frakturschrift. Eine feste Burg für eine heile Familie.

Tony Buddenbrook: eine tolle, tragische Figur

Sie ist süß, die kleine Tony und so keck mit ihrer Oberlippe, und diese Zuversicht, wenn sie läuft mit ihren schmalen Beinchen und ihren weißen Strümpfen. Was willst du mal werden, wenn du groß bist?
Tony wird sich bemühen, eine kluge und tüchtige Frau zu sein.
Ich werde einen Kaufmann heiraten.
Einen Kaufmann?
Na für die Firma.
Ich würde sagen, dann hast du dir deine Schokolade verdient. Bühnenzitat aus "Buddenbrooks"

Die Eltern Buddenbrook, zwei Söhne und die Tochter Tony, acht Jahre alt. Gespielt wird die von Nora Hickler. Sie steht im Mittelpunkt dieser Bühnenfassung am Theater Vorpommern, die Regisseur Niklas Ritter geschrieben hat. Der Roman ist komplex, sagt Ritter: "Mir war schnell klar, dass ich da einen Fokus setzen muss und eine Figur in den Mittelpunkt stellen möchte: Tony Buddenbrook, die Tochter des Konsuls, die Schwester von Thomas und Christian, weil ich finde, dass ihr Kampf um Gleichberechtigung, um Selbstbestimmung hochaktuell ist und ich das eine tragische aber tolle Figur finde. Letztlich hätte man auch einen Abend über Thomas oder Christian machen können. Viele Figuren in dem Roman hätten Potenzial dafür, aber mir ist die Tony am nächsten gekommen."

"Buddenbrooks" - erster deutscher Gesellschaftsroman

Thomas Mann hatte den Roman mit 20 Jahren geschrieben. Als er 1901 erschien, fühlten sich viele in seiner Heimatstadt Lübeck beleidigt, denn Thomas Mann hatte sich an dem Stoff seiner Kindheit und Jugend bedient. 1929 brachte ihm dieser "erste deutsche Gesellschaftsroman" den Nobelpreis für Literatur ein.

Heirat der Tochter als Geschäft

Erzählt werden vier Generationen der Kaufmannsfamilie Buddenbrook. Mit Jean Buddenbrook als Familienoberhaupt, gespielt von Markus Voigt. Zu den Geschäften des Kaufmanns gehört auch die Verheiratung der Tochter Tony - mit Bendix Grünlich.

Sie sind aus Hamburg gekommen.
Heute früh?
In der Tat, aus Hamburg, da habe ich meinen Wohnsitz. Ja wissen Sie, ich bin viel unterwegs, also rastlose Geschäftigkeit ist für mich eine Lebensbedingung, und mein Geschäft ist ein außerordentlich reges. Bühnenzitat aus "Buddenbrooks"

Über die Macke Grünlichs, an seine Ausführungen dieses nervöse "Was" zu hängen, machen sich die Brüder und Tony lustig. Auch über eine Warze, die auf seiner Backe blüht. Und überhaupt. Aber los werden sie diesen Grünlich nicht mehr.

Er kommt hierher, sagt allen etwas Angenehmes und dann schreibt er Euch, er habe tiefe Zuneigung zu mir gefasst und will mich heiraten?
Du kannst Dir sicher sein, dass Deine Eltern nur das Beste für Dich wollen.
Er ist mir widerlich, verstehst Du? Bühnenzitat aus "Buddenbrooks"

Scheidung - ein Skandal

Die junge Tony wird in diese Ehe gedrängt. In den weißen Hochzeitsrüschen bekommt sie in der Inszenierung etwas Künstliches. Als Tochter des Hauses ist sie fortan eine Zahl: 80.000 Mark Mitgift. Ihr Vater verspricht sich einen Anteil an der Hamburger Geschäftswelt. Nora Hickler spielt Tony als junge Frau, die vorerst ihre Pflichten als Tochter zu erfüllen sucht. "Irgendwann gibt es eben das Gespräch, wo der Vater sie fragt: 'Liebst du denn auch den Mann?' Und ich finde das so interessant, dass sie sagt: 'Ja ich liebe ihn.' Das ist das, was du mir gesagt hast. Und ich bleibe dabei, ich verrate diese Ehe nicht, auch wenn sie jetzt in die Brüche geht. Bis es dann doch diesen Ausweg gibt - diese Scheidung. Das ist natürlich ein Skandal."

Die stigmatisierte Tochter aus "gutem Hause"

Bendix Grünlich hat sich als Hochstapler herausgestellt. Vater Buddenbrook holt seine Tochter nach Hause. Ihre Brüder machen, während sie Jahre mit dem ungeliebten Mann verbrachte, in Amsterdam und London ihre Kaufmannslehren. Bei der Beerdigung des Vaters kommen sie im Familienhaus zusammen.

Du bist jetzt also eine geschiedene Frau.
Du solltest mal die Leute sehen, ich gehe schon gar nicht mehr aus. Und wenn ich mal in die Stadt komme, stecken sie die Köpfe zusammen.
Sie sind neidisch, weil du es geschafft hast, aus dem Käfig. Und du bist ja noch jung.
Ich bin ja noch jung, und hübsch.
Das bist du.
Aber ich habe das Leben kennengelernt.

Rolle als Tony von der Jugend bis ins Alter

Fortan ist das Tonys bevorzugtes Thema: Das Leben zu kennen. "Es ist sehr interessant, weil man das ja selten hat, dass man quasi vom Jugendalter bis zum hohen Erwachsenenalter als Rolle begleitet", sagt Hickler. "Das ist natürlich sehr spannend, und die Tony erlebt ja wirklich viele Rückschläge. Ich finde es aber trotzdem sehr bemerkenswert, dass sie immer noch diese Stärke bewahrt und sich dann doch irgendwie emanzipiert in den Verhältnissen, die eben gegeben sind."

"Buddenbrooks" zum 150. Geburtstag von Thomas Mann

Das Theater Vorpommern zeigt die Buddenbrooks zum 150. Geburtstag von Thomas Mann. Und auch, weil Greifswald und Stralsund ähnlich wie Lübeck aus der Blüte der Hanse hervorgegangen sind. Der Roman hat auch den Untertitel "Der Verfall einer Familie." Regisseur Niklas Ritter meint: "Die Buddenbrooks scheitern ja auch an ihrer eigenen Prämisse und an einem neuen Hyperkapitalismus, der die Tradition überrollt, und das sehen wir ja gerade auch."

Blättern durch die Familienchronik

Die Familienchronik auf der Bühne wird umgeblättert. Menschen drängeln sich durch den Buchrücken, der aus schwarzen Gummibändern besteht, ins Geschehen - neue Familienmitglieder, die auch wieder durch diese Öffnung verschwinden. Am Ende sind die Buddenbrooks bankrott. Das Elternhaus wird verkauft. Tony hält tapfer den Kopf hoch. "Sie hat ja trotzdem diese ganzen Wunden. Sie ist am Ende nicht bereinigt davon. Das ist ja vielleicht auch eine Stärke von Tony, dass sie immer wieder die Sachen abstreift und einfach weitergeht", betont Schauspielerin Hickler. "Das macht sie zu einer starken Persönlichkeit. So landet sie dann mit diesem ganzen Gepäck, was sie natürlich im Keller hat. Sie ist nicht befreit, aber sie wird einfach niemals aufgeben."