Heinrich Breloer: "Thomas Mann hat mir schon viel im Leben geholfen"
Man könnte es sein Lebenswerk nennen: Heinrich Breloer hat "Die Manns" als TV-Mehrteiler inszeniert und den Jahrhundertroman "Buddenbrooks" ins Kino gebracht. Der Regisseur über seine Verbindung zur Mann-Familie und die Stadt Lübeck.
Die Manns lassen Sie nicht los!
Heinrich Breloer: Ein schöner Schatten, der mich begleitet - ein angenehmer Schatten. Wenn man mit dieser Familie zu tun hat, gibt es offenbar auch ein wenig den Segen von oben. Thomas Mann guckt uns vielleicht amüsiert zu und hilft - und wir helfen ihm hier unten, soweit wir können.
Ist Ihnen bei 152 Minuten Kinofilm, auch mit himmlischer Macht im Rücken, nicht auch ein wenig bange? Die "Manns" haben Sie als "Dokudrama" gedreht.
Breloer: Diesmal Spiel - und nichts als Spiel. Kein Dokument, dass als Brechung und Steigerung von Spielszenen einzufügen ist. Ich habe deshalb die Dreharbeiten so genau wie möglich vorbereitet. Mit meinem Kameramann Gernot Roll habe ich intensiv die Drehorte ausgesucht. Wir haben vor Ort die Einstellungen für jede Szene durchgespielt. Am Modell des Buddenbrookhauses sind wir sogar mit den Fingern die Treppe hochspaziert und haben dabei den Dialog und die Kamerapositionen probiert: Da steht die Kamera, dann sagt der den Satz, dann machen wir es von da, dann kommt die Steadycam, dann schieben wir die ganze Wand raus und der Kran fährt rein... So gewinnen wir die besten Bilder für das Kino. Das war die besondere Herausforderung: die große Leinwand.
Wie haben Sie es geschafft, so viele berühmte Schauspielerinnen und Schauspieler zusammenzutrommeln? Vor allem Armin Mueller-Stahl, der schon vor Jahren gesagt hat, er will gar keinen Film mehr drehen.
Breloer: Ich habe Armin zum ersten Mal bei einem Mittagessen in Hamburg im Hotel "Vier Jahreszeiten" getroffen und ihm damals für "Die Manns" die Hauptrolle angeboten. Für "Buddenbrooks" habe ich ihn als Jean Buddenbrook, den Vater von Thomas Buddenbrook, gewinnen können. Wenn Sie Armin Mueller-Stahls Zusage haben, ist die weitere Besetzung schon etwas leichter. Schwierig war es, eine Familie zusammenzustellen, die glaubhaft ist. Jessica Schwarz und Iris Berben - das passt zusammen. August Diehl als Christian Buddenbrook war ein Muss. Dieser nervöse, psychosomatische Familienclown, eine ganz moderne Figur. August hat ein Glanzstück abgeliefert. Die Menschen werden ihn lieben.
Da drängt sich eine Parallele zur aktuellen wirtschaftlichen Lage förmlich auf.
Breloer: Faule Offerte, Liquidität, frisches Geld - diese Worte fallen bei uns jetzt jeden Abend in der Tagesschau. Der Film hat eine erstaunliche Aktualität bekommen. Ich hatte gemeint, sie läge nur darin, dass Lübeck schon damals etwas Ähnliches erlebt hat wie das, was wir heute die Globalisierung nennen. Die Protagonisten der "Buddenbrooks" haben die Entwicklung eines Stadtstaates mit Zollgrenzen vor den Stadttoren zum Mitglied des Deutschen Zollvereins erlebt, wo plötzlich das enge Lübeck, das eigenes Geld und eine eigene Post hatte, mit den anderen Städten im Norddeutschen Bund konkurrieren muss.
Kurz darauf haben wir mit der Gründung des Deutschen Reichs 1871 ein einheitliches Zollgebiet von Lübeck bis München. Die Eisenbahn, der Telegraf, die Beschleunigung des Lebens - all das bietet Parallelen zu unseren Tagen, die vom Computer gerechnet werden. Plötzlich spielt uns mit der amerikanischen Finanzmalaise noch eine weitere Ähnlichkeit in die Geschichte hinein: der Betrug und der Verlust des Vertrauens in weitestem Sinn.
Sie sind ein wandelndes Lexikon, verbringen jetzt Jahre mit diesem Stoff und leben ihn.
Breloer: Ich liebe ihn! Das ist es wert. Es gibt auch viel Persönliches, das erklärt, warum ich so nah und intim mit dem Roman und seinen Charakteren umgehe. Ich habe zu verschiedenen Zeiten mit den unterschiedlichen Figuren im Roman gelebt. Mal sah ich mich als den jungen Hanno, der seinem Vater - meiner war auch ein Getreidegroßhändler - nichts recht machen konnte, später als den ordentlichen Thomas. Ich darf dazu ein sehr persönliches Moment erzählen: Ich bin - wie Christian Buddenbrook - als Bruder Liederlich nach Hamburg gekommen. Diese Stadt, der Protestantismus, die Liberalität, das Studieren hier haben mich frei gemacht. Ich war katholisch erzogen. Die Stadt hat mich erwachsen werden lassen. Ich bin dieser Freien und Hansestadt sehr dankbar.
Ich hatte den alten "Buddenbrooks"-Film von Alfred Weidenmann damals mit meinem Bruder gesehen. Er ist ein guter Kaufmann geworden. Ich war der Bruder Liederlich, der nicht wusste, was er mit seinem Leben anfangen sollte. Ich war beim Studententheater, bei Claus Peymann in seinen Anfängen und wurde mit dem Studium nicht fertig. Die Familie guckte schon mit hochgezogenen Augenbrauen aus Westfalen herüber.
Sie haben in Lübeck gedreht, an Originalschauplätzen. Wie haben Sie die Kulisse hinbekommen?
Breloer: Wir hatten zum ersten Mal die Chance, eine deutsche Hansestadt im 19. Jahrhundert für das Kino wiederherzustellen. Lübeck ist nach all den Zerstörungen im Krieg wieder sehr schön aufgebaut. Die Lübecker haben sehr viel getan, um die Straßen zu restaurieren. Aber sie haben leider überall Verkehrsschilder und Fahrradständer aufgestellt. Also haben wir Ständer abgesägt, Verkehrsschilder beseitigt und Mauern gebaut, damit die zweistöckigen Busse dahinter weiter ihre Runden drehen können.
Wir wollten ein Stück vom alten dampfenden Lübeck für unsere Szenen lebendig werden lassen und mit verschiedenen Straßen und Plätzen wie bei einem Mosaik aus Teilen den Eindruck des ganzen alten Lübeck beschwören. Wir haben das vorher am Computer für viele Szenen in den Straßen durchgezeichnet. Vorbild war immer das historische Lübeck. Dann haben wir unsere Drehorte fotografiert und in das Foto mithilfe des Computers Menschen, Bauten und Requisiten des alten Lübeck eingefügt.
Alles wäre nicht so gut gelaufen, hätten wir nicht die Hilfe der Lübecker gehabt, die überall, wo sie konnten, als Mitspieler dabei waren. Wenn die Anwohner ein bisschen Licht brauchten, wenn wir abends bis drei Uhr, vier Uhr in den Straßen drehten, haben sie Kerzen in die Fenster gestellt, statt ihr Licht anzumachen, und haben uns von oben aus den Fenstern, ohne weiter zu stören, zugesehen. Wir haben einmal nachts die Laternen in der Straße stehen lassen. Die waren am nächsten Morgen teilweise verschwunden. Die sind jetzt sicher in irgendeinem Schrebergarten aufgestellt. Eine ganze Stadt dreht einen Film, das war unser Gefühl, und sie haben uns alle geholfen, die Stadt ihrer Väter wieder lebendig werden zu lassen.
Sie haben den Film sehr detailgetreu inszeniert, bis in die Sprache hinein. Warum ist Tony (Jessica Schwarz) nicht blond, obwohl Thomas Mann sie so beschreibt?
Breloer: Jessica hätte als Tochter von Iris Berben blond nicht gut ausgesehen. Es geht darum, mit der Besetzung den Kern, den Charakter der Buddenbrooks zu finden.
Was kann nach diesem Wahnsinnsprojekt noch kommen?
Breloer: Ich schaue im Augenblick auf diesen Film. Wie wird das Publikum diese Menschen und ihre Geschichte aufnehmen? Konnte ich diese Familie so nah an ihre Herzen rücken, dass sie den Aufstieg und dann den "Verfall einer Familie" mit Sympathie und tiefer Anteilnahme begleiten? "Buddenbrooks" wurde bei seinem Erscheinen überall in der Welt gelesen und verstanden. Warum sollte man das nach 50 Jahren mit der Generation unserer Schauspieler nicht wieder einmal verfilmen? Was danach kommt, hängt auch vom Erfolg des Films ab und was uns das Leben so zuspielt. Wir leben in bewegten Zeiten - schauen wir mal, welche Themen die sich verändernde Welt und die Zeit uns aufgeben.
Das Interview führte Patricia Batlle.