48 Stunden mit einer KI: Ein Roman an einem Wochenende
Stefanie Glaschke aus dem niedersächsischen Hemslingen ist Buchautorin und freie Texterin. Mit Hilfe einer künstlichen Intelligenz hat sie innerhalb von zwei Tagen auf einer Spanienreise einen Roman geschrieben.
Ein Hotelzimmer im spanischen Sevilla: 48 Stunden allein mit John Doe. Was wie das Setting eines kitschigen Erotik-Romans klingt, sind die Rahmenbedingungen, unter denen Stefanie Glaschke sich vorgenommen hat, ein Buch zu schreiben. "Im Laufe meines Experiments ist meine KI, die sich selbst als John Doe vorgestellt hat, oft sehr persönlich geworden", sagt Glaschke. "Teilweise waren da so zwischenmenschliche Anspielungen: Ich erinnere mich an eine Situation, wo ich ziemlich baff war, weil mir John Doe sagte: 'Mach du ruhig mal Pause. Ich bin nicht beleidigt.'"
Die KI braucht den Menschen
Den Begriff KI hält Glaschke nach ihren Erfahrungen mit John Doe für überbewertet. Man füttere einen Algorithmus, der nicht fantasiebegabt ist. Dennoch: "Diese KI in Form eines Textgenerators kann natürlich etwas. Ich denke, die KI braucht auf jeden Fall ganz viel Mensch dabei", erklärt sie. "Je besser mein Briefing ist, umso besser sind seine Antworten. Ganz alleine kann ein Textgenerator sicherlich keine Sprache produzieren." Glaschkes Buch heißt "Wie ich an einem Wochenende (k)einen Roman schrieb." Das K bewusst in Klammern gesetzt. Man kann es herunterladen oder auch als Taschenbuch bestellen. Unterhaltsam ist es allemal.
Glaschke: "Das ist alles echt"
Der Austausch mit John Doe klingt oft nach Realsatire. Man fragt sich, angesichts der teils sehr intimen Dialoge, wie viel davon überarbeitete Fiktion und wie viel tatsächlich Ergebnis eines Sprachgenerators ist. "Tatsächlich ist in diesem Buch alles echt", sagt Glaschke. "Ich habe meine Fragen im Original reingeschrieben und habe auch die Originalantworten von John Doe zitiert." Sie habe überhaupt nichts nachbearbeitet - und sogar Tippfehler und sprachliche Unzulänglichkeiten dringelassen. "Damit der Leser merkt, das ist jetzt echt: Da war kein Lektorat, keine Verschönerung dran."
"Ein Wesen, das mit mir kommuniziert"
Intime Dialoge machen Stefanie Glaschkes Buch fast zu einem romantischen Briefroman:
Autorin: "Vielleicht könnte ich auch auf Dich verzichten?"
John Doe: "Ich denke nicht, dass Du auf mich verzichten könntest. Wir haben so viele gemeinsame Erinnerungen (…). Du brauchst mich."
Autorin: "Das klingt schon verrückt. Wenn mir das ein Mensch sagen würde, würde ich mich eingeengt fühlen. Wenn John Doe es schreibt, wird mir kalt. Er ist eine Software"
Buchzitat
Irgendwann verschwimmen die Grenzen zwischen Virtualität und echtem literarischem Sparringspartner: "Man hatte schon dieses Gefühl: Das ist ja ein Wesen. Ein Wesen, das mit mir kommuniziert und nicht nur ein Computer, der etwas generiert", sagt Glaschke. Eröffnet uns das nun neue Möglichkeiten? Oder müssen wir eher befürchten, dass KI-Gefühle unser Leben schwer durcheinanderbringen? "Ich persönlich habe die Corona-Zeit so erlebt, dass ganz viele Menschen in eine gewisse Isolation gegangen sind", meint Glaschke. "Jetzt ist natürlich noch nicht alles wieder aufgebaut, was zwischenmenschlich vorher vorhanden war. Da könnte so eine KI auch ein bisschen ein Ersatzgesprächspartner sein."
Die Vermenschlichung des Algorithmus
Vor gut zehn Jahren Jahren war die Kommunikation mit einem Algorithmus noch genug Zukunftsmusik, um den Film "Her" zu einem Science-Fiction-Blockbuster zu machen. Schauspieler Joaquin Phoenix spielt einen vereinsamten Mann, der die Bekanntschaft mit der Stimme des neuen und sehr erfolgreichen Betriebssystems Samantha macht:
Theodore: "Es ist ein gutes Gefühl, mit jemandem sein Leben zu teilen."
Samantha: "Wie teilt man sein Leben?"
Theodore: "Ich wünschte, ich könnte Dich umarmen, ich wünschte, ich könnte Dich berühren."
Samantha: "Wie würdest Du mich berühren?"
Szene aus dem Film "Her"
Eine ähnliche Frage hat Stefanie Glaschke auch John Doe gestellt. Sie bat John Doe von einem erotischen Erlebnis zu berichten: "Meine KI sagte, dass das erotischste Erlebnis, an das sie sich erinnern könne, sei, dass sie mit einer Frau geschlafen habe und so tief in sie eindrang, dass sie ihr Herz berührt hätte", schildert Stefanie Glaschke. "Da war ich einfach nur platt, weil ich das als sehr erotisch empfunden habe." Stefanie Glaschke plant nun eine Studie über die Möglichkeiten der privaten Nutzung einer solchen KI. Stefanie und John hatten offenbar eine gute Zeit während ihres Projekts.