"Die Tochter": Roman über die Herausforderungen der Mutterschaft
Der Roman "Die Tochter" der mexikanischen Schriftstellerin Guadalupe Nettel ist ein Buch, über das Literaturnobelpreisträgerin Annie Ernaux sagt, es führe "mitten ins Herz der Dinge, die wirklich wichtig sind im Leben".
"Das große Glück meines Lebens ist es, wahre Freundschaft erfahren zu haben", erzählt Guadalupe Nettel bei einem Spaziergang durch Paris, wo sie lebt und wo ihr neuer Roman "Die Tochter" zum Teil spielt. Wahre Freundschaft ist ein wichtiges Thema im neuen Buch der mexikanischen Autorin.
"Die Tochter" basiert auf einer wahren Geschichte
Alina und Laura haben sich während des Studiums in Paris kennengelernt. Als beide zurück in Mexiko-Stadt sind, wird ihre Freundschaft auf die Probe gestellt. Alina erzählt Laura, der Ich-Erzählerin, dass sie schwanger ist. Und das, obwohl beide sich einig darin waren, dass das Kinderkriegen für Frauen eine "menschliche Fußfessel" sei.
Wieso um Himmels willen freute ich mich? Alina war dabei, aus meinem Leben zu verschwinden, wollte sich der Mütter-Sekte anschließen, diesen leblosen Kreaturen, die wie Zombies mit dunklen Augenringen Kinderwagen durch die Straßen schoben! Leseprobe
Dann wird bei Alinas noch ungeborener Tochter eine Fehlbildung des Gehirns diagnostiziert.
Guadalupe Nettel hat hier die reale Geschichte einer Freundin verarbeitet: "Im Roman ist Alina davon überzeugt, dass ihre Tochter noch am Tag der Geburt stirbt", erzählt die Autorin. "Das haben die Ärzte im Krankenhaus auch meiner Freundin vorausgesagt. Auf ihr Anraten hatte sie auch schon ein Grab gekauft. Aber trotzdem wollte sie ihre Tochter wenigstens kurz kennenlernen. Dann nimmt die Geschichte allerdings eine extreme Wendung. Die Ärzte sagen ihr: 'Das Mädchen ist nicht gleich nach der Geburt gestorben, wie wir erwartet hatten. Aber das kann morgen passieren oder in einer Woche oder auch in zehn Jahren. Gehen Sie nun nach Hause und führen Sie ein normales Leben!'" Dass es ihrer Freundin letztlich gelungen ist, trotz dieses tragischen Befundes ein durchaus glückliches Leben zu führen, hat Guadalupe Nettel tief beeindruckt und zu diesem Roman inspiriert.
Nettel: "Mich hat schon immer die Andersartigkeit angezogen"
Michaela Meßner hat dieses berührende und nachdenklich stimmende Buch so treffend übertragen, dass man an keiner Stelle merkt, dass es sich um eine Übersetzung handelt. Das zentrale Motiv in Nettels Schreiben taucht auch hier auf - das Abweichen von der Norm: "Mich hat schon immer die Andersartigkeit angezogen. Ich habe immer gedacht: Das Einzigartige macht die Schönheit des Menschen aus. Nicht die Gleichförmigkeit oder die Nähe zu einem Schönheitsideal, sondern etwas, mit dem man niemandem sonst ähnelt."
Parallel zur schwierigen Mutterschaft Alinas erzählt Nettel, wie sich ausgerechnet Laura, die militante Schwangerschaftsgegnerin, die sich die Eileiter hat durchtrennen lassen, mütterlich um einen vernachlässigten Nachbarsjungen kümmert.
"Die Tochter": Überzeugender Roman über Freundschaft und Mutterschaft
Eine Stärke dieses Romans ist es, dass nicht nur die Gewissheiten der Figuren infrage stellt werden, sondern auch die der Leser: Empfinden wir selbst nicht oft das Andersartige als abstoßend und sind gar nicht so aufgeklärt wie wir denken? Und würdigt unsere Gesellschaft die Leistung der Mütter entsprechend?
Bei der Recherche für ihren Roman hat Guadalupe Nettel nachgelesen, dass im Tierreich die Aufzucht der Jungen oft Gruppenarbeit ist, etwa bei den Elefanten und Wölfen: "Was ist da also mit den Menschen los? Wann wurde die ganze Verantwortung, Last, Pflicht, den Frauen übertragen?"
Leise im Ton und stark in der Wirkung: "Die Tochter" von Guadalupe Nettel ist ein überzeugender Roman über Freundschaft, die verweigerte und gewollte Mutterschaft und das Leben mit einem geistig behinderten Kind.
Die Tochter
- Seitenzahl:
- 288 Seiten
- Genre:
- Roman
- Zusatzinfo:
- Aus dem Spanischen von Michaela Meßner
- Verlag:
- Luchterhand
- Veröffentlichungsdatum:
- 26. März 2025
- Bestellnummer:
- 978-3-630-87760-0
- Preis:
- 22 €
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