Eine blonde Frau mit Brille lächelt © picture alliance/dpa Foto: Hendrik Schmidt
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AUDIO: Leipziger Buchpreis: Kristine Bilkau über Mütter, Töchter und die Küste (26 Min)

Leipziger Buchpreis: Kristine Bilkau über Mütter, Töchter und die Küste

Stand: 28.03.2025 17:13 Uhr

Die Hamburgerin Kristine Bilkau ist frisch mit dem Preis der Leipziger Buchmesse ausgezeichnet worden. Im NDR Kultur Gespräch erzählt sie, was sie zu ihrem Roman "Halbinsel" bewogen hat und welche Rolle Nordfriesland und das Watt darin spielen.

Für den - wie sie fand - "ziemlich unwahrscheinlichen Fall", dass ihr der Preis der Leipziger Buchmesse zuerkannt werden würde, hatte Kristine Bilkau vorsichtshalber eine kleine Rede vorbereitet. Neben dem obligatorischen Dank an alle am Buch Beteiligten äußerte sie sich auch zum teils unsicheren Verhalten von Eltern gegenüber ihren Kindern. Denn darum geht es in ihrem Mutter-Tochter-Roman, der überwiegend auf einer Halbinsel im nordfriesischen Wattenmeer spielt. Für die Jury des Preises der Leipziger Buchmesse ist "Halbinsel" ein "sensibel gebauter Roman über emotionale Altlasten, über Großzügigkeit und über das Geschäft mit dem Klima-Gewissen".

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Die Autorin Kristine Bilkau wird für ihren Roman "Halbinsel" mit dem Preis der Leipziger Buchmesse in der Kategorie Belletristik ausgezeichnet. © Hendrik Schmidt/dpa

Kristine Bilkau bekommt den Preis der Leipziger Buchmesse

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Ihr Roman "Halbinsel" ist ein vielschichtiger Text über eine Mutter-Tochter-Beziehung. Wie ist Ihnen diese Geschichte, wie sind Ihnen diese Figuren zugeflogen?

Kristine Bilkau: Es hat bei mir damit angefangen, dass ich als Mutter beobachtet habe, dass es mir manchmal fast ein bisschen wehgetan hat, mit meinem älter werdenden Kind über die Welt zu sprechen und zuzugeben, was alles nicht läuft und was wir für Krisen, Missstände und Ungerechtigkeiten haben. Wenn man ein kleines Kind hat, dann kann man dieses Kind ein bisschen abschotten, und das ist auch zum Teil richtig.

Man muss seine Kinder auch schützen. Dann wird das Kind älter, wird eine eigene Persönlichkeit. Dann fängt es an, dass diese Fürsorge und dieser Schutz brüchig werden und da kommt die Frage der Aufrichtigkeit rein: Wie spreche ich mit meinem Kind über die Welt?

Interessant ist für uns im Norden natürlich die Topografie des Romans: Er spielt fast ausschließlich auf einer Halbinsel an der Nordsee, bei der es sich um Nordstrand handeln müsste.

Bilkau: Es könnte auch Eiderstedt sein.

Und was favorisieren Sie?

Bilkau: Das benenne ich nicht, weil ich es beim Lesen schön finde, wenn es da ein bisschen Räume gibt, wenn man nicht die ganze Zeit abgleicht, welcher Ort das ist. Es geht vor allem um diese Küstenlandschaft und um ihre Fragilität.

Und die kleine Stadt in der Nähe, in der Annette als stellvertretende Leiterin der Stadtbibliothek arbeitet, müsste doch Husum sein, oder?

Bilkau: Das würde ich auch sagen, das könnte Husum sein.

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Cover: Kristine Bilkau, "Halbinsel" © Luchterhand

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Im Roman stellt die Hamburger Autorin existenzielle Fragen. Dafür hat sie am Donnerstag den Preis der Leipziger Buchmesse bekommen. mehr

Orte sind wahrscheinlich von entscheidender Bedeutung für einen literarischen Text. Warum diese Halbinsel in Nordfriesland am Watt?

Bilkau: Zum einen ist es so, dass ich eine sehr enge Bindung zur Nordsee habe, ich das aber vorher gar nicht so genau reflektiert hatte. Aber das kam zu mir zurück. Meine Mutter ist an der Nordsee geboren, meine Großmutter hat an der Nordsee gelebt, meine Urgroßeltern auch. Meine Familie hat mir erzählt, weil ich meine Urgroßeltern nicht kennengelernt habe, dass mein Urgroßvater geführte Wattwanderungen angeboten hat und in der Nachkriegszeit in den Prielen nachts illegal Krabben gefischt hat, um die Familie damit zu ernähren. Die wurden in einem großen Bottich im Garten unter Feuer gekocht, und dann gab es tage- und wochenlang Krabben, Krabbenfrikadellen, Krabbenpudding, Krabben in allen Varianten.

Ich habe dann angefangen, genauer über diese Landschaft nachzudenken, und zwar auch aus der heutigen Perspektive. Das hat wiederum mit Mutter und Tochter zu tun. Für die Mutter ist das etwas Selbstverständliches: Sie lebt schon seit über 20 Jahren auf der Halbinsel, sie kennt die Mythen, sie kennt die Geschichten, sie ist Bibliothekarin, sie kennt die Literatur, sie machen Theodor Storm-Abende. Sie tauscht sich mit ihrer Tochter zum Beispiel über eine historische Sturmflut aus, die vor über 600 Jahren ganze Küstenlandstriche überschwemmt hat.

Das ist "das große Ertrinken" von 1362, oder?

Bilkau: Ganz genau. Die Mutter denkt dabei an die Vergangenheit, und die Tochter denkt dabei an die Zukunft. Die Mutter muss das erst einmal begreifen, die weiß nichts von dieser Perspektive, obwohl die beiden sich nah sind.

Eine Halbinsel hat auch etwas Spannungsvolles - zwischen Sicherheit und Zerbrechlichkeit. Da ist einerseits das sichere Festland, und dann gibt es die Erinnerung an verheerende Sturmfluten der Vergangenheit, vielleicht die Perspektive auf zukünftige Sturmfluten. Da ist die Wahl einer Halbinsel nicht zufällig, oder?

Bilkau: Die Halbinsel ist eben keine Insel, und sie ist auch nicht das Festland. Sie ist Teil einer Küstenstruktur, die über die Jahrhunderte ständig im Wandel war. Die Halbinsel war vielleicht auch mal Festland, oder sie kann irgendwann auch eine Insel sein. Diese Küste und die Nähe zum Wasser ist ein wunderbarer Erzählraum, finde ich.

Das Gespräch wurde geführt von Alexander Solloch.

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Das Gespräch | 30.03.2025 | 15:00 Uhr

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