Gegenlichtaufnahme von grünen Viren, die um eine Gruppe von tanzenden Menschen schweben. © Menschen Corona Fotolia_psdesign photocase_joexx Foto: Menspsdesign joexx
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AUDIO: Coronavirus-Update: Kommunikation und Politikberatung (9/10) (81 Min)

Aus Corona-Fehlern lernen: Kommunikation in Pandemien

Stand: 11.03.2025 06:00 Uhr | vom Norddeutscher Rundfunk-Logo

Keine Strategie, keine Vision: Die Kommunikation in der Corona-Pandemie war nicht gut. Das führte zu einer Polarisierung in der Gesellschaft und zu einem Vertrauensverlust in Wissenschaft, Politik und Medien. Virologe Drosten setzt auf mehr Transparenz.

von Ines Bellinger

Anfeindungen, Hassmails, Shitstorms, Morddrohungen - während der Corona-Zeit wurden Wissenschaftler, Politiker und Journalisten zur Zielscheibe, die den öffentlichen Diskurs über die Pandemie prägten. Je länger der Ausnahmezustand mit Kontaktbeschränkungen, Maskentragen, Testen und Impfungen anhielt, desto stärker polarisierten die Maßnahmen die Gesellschaft. Auf der einen Seite standen die, die sie mittrugen und Wissenschaftlern und Politikern vertrauten. Auf der anderen Seite versammelten sich die Gegner der Corona-Maßnahmen, die auf Demonstrationen, vor allem aber auf Social Media vermeintlich Schuldige an den Pranger stellten und teils Fakten verleugneten oder umdeuteten.

Sozialwissenschaftler und Kommunikationsforscher, die die Ursachen für gesellschaftliche Verwerfungen in der Corona-Zeit untersucht haben, kommen zu einem weitgehend einhelligen Schluss: Die Kommunikation in der Pandemie hat nicht gut funktioniert. Es gab keine Strategie, wenig Transparenz, viele Missverständnisse, keine Vision. Und es sei plötzlich ein Verlust an Vertrauen in die Wissenschaft entstanden, sagt der Soziologe Alexander Bogner. Er hat für die Österreichische Akademie der Wissenschaften untersucht, welche Faktoren zu einer Polarisierung in der Gesellschaft beigetragen haben.  

Soziologe Bogner: Menschen vertrauen der Wissenschaft - eigentlich

Der Befund ist alarmierend, denn im deutschsprachigen Raum vertrauen laut Umfragen im Regelfall etwa 70 Prozent der Bevölkerung der Wissenschaft - und damit mehr als zum Beispiel der Politik, der Polizei oder der Kirche. "Da kann sich die Wissenschaft eigentlich glücklich schätzen", sagt Bogner in der neuen Folge des NDR Info Podcasts Coronavirus-Update. "Aber manchmal wird es schwierig. Manchmal ist die Wissenschaft gezwungen, einen Einblick in ihren Maschinenraum zu geben, und die Pandemie war ganz offensichtlich so ein Fall. Da wurde gefragt, wie sicher ist dieses Wissen? Wie wird es hergestellt? Können wir diesem Wissen vertrauen?" 

Dass der Vertrauensvorschuss schnell aufgebraucht war, überrascht Kommunikationsforscherinnen wie Irene Broer von der Universität Braunschweig nicht. Denn das Verhalten der Menschen in der Pandemie folgte ihrer Einschätzung nach einem Muster, das in jeder großen Krise zum Tragen kommt: Die Anfangszeit ist in der Regel geprägt von Solidarität und Zusammenhalt. Dann, nach zwei, drei Monaten, wird die Krise zum neuen "Normal", es tritt ein Gewöhnungseffekt ein. Und schließlich entsteht politischer und gesellschaftlicher Streit über Maßnahmen zur Bewältigung der Krise und bis dato vernachlässigte Themen wie die wirtschaftlichen und sozialen Folgen. 

Wissenschaft informiert, Politik entscheidet 

Zum Vertrauensverlust hat nach Bogners Analyse auch ein Missverständnis über die unterschiedlichen Rollen von Wissenschaft und Politik beigetragen: Wissenschaft informiert über Erkenntnisse, Politik entscheidet über Maßnahmen. Viele Menschen hätten jedoch geglaubt, dass naturwissenschaftliches Wissen 1:1 in politisches Handeln übersetzt würde.

"Aber Aufgabe der Politik ist es ja nicht, Wahrheit zu exekutieren, sondern ist es, auf der Basis von relevantem Wissen auch wichtige Interessen und Werte miteinander abzuwägen", sagt Bogner. Und das hängt nach Meinung des Soziologen von verschiedenen Fragestellungen ab: "Was hat die Politik verstanden von dem, was die Wissenschaft gesagt hat? Was will sie überhaupt verstehen? Wer hat die Frage gestellt? Inwiefern passt die politische Frage mit der Art von Problemstellung zusammen, die die Wissenschaft mit ihren Methoden bearbeiten kann?" 

Politikberatung - Großbritannien als Vorbild 

Dass es eklatante Kommunikationsprobleme zwischen Forschung und Politik und keine Standards für Wissensvermittlung gab, hängt auch damit zusammen, dass eine vorstrukturierte interdisziplinäre Politikberatung seitens der Wissenschaft in Deutschland bis dato nicht existierte. Erst im Dezember 2021, fast zwei Jahre nach Beginn der Pandemie, wurde der Corona-Expertenrat installiert, der die Bundesregierung beraten sollte.  

Dagegen schöpfte zum Beispiel Großbritannien bereits aus mehr als zehn Jahren Erfahrung in der wissenschaftlichen Politikberatung: Das staatliche Government Office of Science hält britische Politiker zu Zukunftsthemen aus der Wissenschaft auf dem Laufenden. Die Scientific Advisory Group on Emergencies (SAGE) ist eine Gruppe wissenschaftlicher Berater in Notfällen, die schon beim Vulkanausbruch auf Island (2010), beim Reaktorunglück in Fukushima (2011) und im britischen Flutwinter 2013 aktiv war. Deutschland hat aus diesem anfänglichen Vakuum in der Pandemie Lehren gezogen. Seit einem Jahr gibt es den Expertenrat "Gesundheit und Resilienz", mit dessen Hilfe die Politik Gesundheitskrisen künftig besser managen will. Es ist das Nachfolgegremium des Corona-Expertenrats. 

Drosten über Desinformation: "Man kann das nur mit Transparenz heilen" 

Der Virologe Christian Drosten im NDR Interview. © NDR/Christian Spielmann Foto: Christian Spielmann
Der Virologe Christian Drosten sagt, Fehlinformationen könne man nur mit Transparenz beikommen.

Der Virologe Christian Drosten war einer der führenden Wissensvermittler in der Corona-Pandemie und auch Mitglied des Expertenrats. Er hat die Kommunikation mit der Politik eher als Einbahnstraße empfunden. Die Rückkopplung sei zum Teil spärlich gewesen und Resultate hätten auch die beratenden Wissenschaftler häufig erst aus den Medien erfahren, sagt er. Die Beratungs- und Entscheidungsprozesse müssten in künftigen Pandemien nachvollziehbar gemacht werden, so Drosten: "Die Bevölkerung muss das unbedingt mitkriegen, damit manche Desinformationsquellen weniger Chancen haben, ihre Fehlinformationen zu streuen auf dem Rücken der beteiligten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler und auch auf dem Rücken der Politiker. Man kann das nur mit Transparenz heilen." 

Veröffentlichung der RKI-Files - für Drosten "Pseudo-Transparenz" 

Für "Pseudo-Transparenz" hält Drosten indes die sogenannten RKI-Files. Das sind Gesprächsprotokolle des Covid-19-Krisenstabs im Robert Koch-Institut (RKI). Sie wurden im April 2023 nach einer Klage auf Basis des Informationsfreiheitsgesetzes veröffentlicht - zunächst in großen Teilen geschwärzt, später als Klarversion von einer Journalistin geleakt. Die 3.800 Seiten geben in der Hauptsache keine gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnisse wieder, sondern einen unverbindlichen Informationsaustausch im Krisenstab, der nie für eine Veröffentlichung vorgesehen war.

Der heutige RKI-Präsident Lars Schaade spricht deshalb von Zwischenständen, von ergebnisoffenen Diskussionen, die nicht immer das "beste verfügbare Wissen" wiedergeben. "Und da glaube ich persönlich, dass der Wert dieser Transparenz nicht besonders groß ist." Doch auch wenn die Protokolle letztlich wenig zu einer Aufarbeitung beisteuern können: Die Schwärzungen und das Gezerre um die Herausgabe der Dokumente dürften Verschwörungserzählungen noch befeuert haben.

Fehler in den Medien: False Balance - falsche Ausgewogenheit 

Ein weiteres Problem bestand - und besteht immer noch - in der medialen Aufbereitung. Dem Anspruch folgend, immer alle Seiten zu hören, kam und kommt es häufig zu "False Balance", auf Deutsch: falsche Ausgewogenheit. Argumentiert beispielsweise in einer Talkshow ein Aerosolforscher anhand wissenschaftlicher Erkenntnisse pro Maske und ein Allgemeinmediziner aus eigenem Erleben contra Maske, dann entsteht möglicherweise der Eindruck, dass sich die Forschung nicht einig ist über die Wirksamkeit von Masken. Tatsächlich stünde damit medial aber eine Minderheitenmeinung auf einer Stufe mit wissenschaftlichen Fakten, das kann die Wahrnehmung beim Publikum beeinflussen.

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Wirksam gegen Fake News: Faktensandwiches 

Zu wenig eingeordnet und entlarvt wurden während der Corona-Pandemie nach Einschätzung von Fachleuten auch Verschwörungstheorien und Fake News, also Falschmeldungen, die in manipulativer Absicht in Medien, im Internet und vor allem auf Social-Media-Plattformen verbreitet werden. Die Kommunikationspsychologin Mirjam Jenny von der Universität Erfurt rät dazu, die Aufklärung darüber in sogenannte Faktensandwiches zu verpacken: "Erst richtige Fakten, dann: Achtung hier ist ein Irrglaube! Wo kommt er her? Und dann wiederholt man noch mal die richtigen Fakten."

Prof. Dr. med. Jörg Meerpohl, Direktor des Instituts für Evidenz in der Medizin am Universitätsklinikum Freiburg © Universitätsklinikum Freiburg
Evidenzforscher Jörg Meerpohl sagt, Wissenschaft muss auch Unsicherheit kommunizieren.

Was Kommunikationsexperten Medien, Wissenschaft und Politik gleichermaßen als Lehre aus der Corona-Zeit mit auf den Weg geben, ist der Umgang mit Unsicherheiten und "weißen Flecken". Für den Freiburger Evidenzforscher Jörg Meerpohl gehört dazu auch, die Bevölkerung nicht zu unterschätzen und Unwägbarkeiten klar zu benennen. "Wir kommen nicht darum herum, Unsicherheit zu kommunizieren", sagt Meerpohl. Denn in Krisen müsse deutlich werden, dass der jeweilige Forschungsstand eine Momentaufnahme ist und sich Beurteilungen der Lage ändern können. "Das können Menschen auch nachvollziehen, wenn man ehrlich und aufrichtig mit ihnen ist."

Es wäre eine vertrauensbildende Maßnahme, die womöglich auf fruchtbaren Boden fallen würde. Darauf deutet eine Studie aus dem ersten Pandemie-Jahr hin. Forschende des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung und der Berliner Charité konfrontierten damals 2.000 Menschen mit verschiedenen Prognosen zum weiteren Pandemie-Verlauf. Am wenigsten überzeugend fanden die Befragten die Version, in der Unsicherheit fast gar nicht kommuniziert wurde.

Weitere Experten in dieser Folge:

  • Cornelia Betsch, Kommunikationspsychologin, Universität Erfurt
  • Fabian Leendertz, Biologe, Helmholtz-Institut für One Health in Greifswald
  • Stefan Kluge, Intensivmediziner, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf
  • Sandra Ciesek, Virologin, Universitätsklinikum Frankfurt/Main 
  • Martin Kriegel, Ingenieur, Leiter des Hermann-Rietschel-Instituts an der TU Berlin

Die neuen Folgen des Coronavirus-Update von NDR Info sind immer dienstags in der ARD Audiothek verfügbar. In der zehnten und letzten Folge der Staffel geht es kommende Woche um ein Fazit zu den Corona-Lehren.

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Dieses Thema im Programm:

NDR Info l Coronavirus-Update l 11.03.2025 06:00 Uhr

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