Arbeiten in Krisenzeiten: Firmen bieten anonyme psychische Beratung
Die Corona-Pandemie, der Ukraine-Krieg, Stress im Job oder private Probleme: Viele Arbeitnehmer leiden unter psychischen Belastungen. Was können Arbeitgeber für die mentale Gesundheit ihrer Mitarbeitenden tun?
Die Firma wird umstrukturiert, Arbeitsaufgaben verändert, manche Stellen gestrichen - für Arbeitnehmer bedeutet das alles oft großen Stress. Das weiß auch Wolfram Kaiser, Personalleiter bei der Hamburger Volksbank: "Wir hatten 2007 eine Fusion. Und so eine Fusion macht ja immer auch was mit den Mitarbeitern. Das verunsichert, man fragt sich: Kann ich meinen Arbeitsplatz behalten, muss ich wechseln? Bekomme ich einen neuen Vorgesetzen? Wie tickt der neue Laden? Das war für uns der Ansatz, zu fragen: Können wir etwas tun für unsere Mitarbeiter? Um so Stabilität anzubieten?"
Mitarbeitende nehmen psychologische Beratung gerne an
Kaiser wandte sich an Reinhild Fürstenberg. Sie kommt ursprünglich aus der Familien- und Suchtberatung und hat schon 1989 zusammen mit ihrem Mann das Fürstenberg Institut gegründet. Dort können sich Arbeitnehmer bei Problemen beraten lassen - und zwar auf Kosten ihres Arbeitgebers. Vor mehr als 30 Jahren war das ein echtes Novum: "Wenn wir da auf eine Betriebsversammlung gegangen sind und uns vorgestellt haben, haben die Mitarbeitenden gesagt: Ich bin doch nicht verrückt! Ich brauch doch keine Beratung! Und heute ist es so, dass die meisten Mitarbeitenden einfach nur noch dankbar sind, dass der Arbeitgeber sowas anbietet."
"Gut investiertes Geld"
Auch Personalleiter Kaiser musste 2007 beim Vorstand noch sehr dafür kämpfen, dass die Hamburger Volksbank für die psychische Gesundheit ihrer Mitarbeitenden Geld ausgibt. Doch als vor zwei Jahren mal wieder Kosten gespart werden sollten und dafür "jeder Schein einzeln umgedreht wurde" wie Kaiser sagt, galt der Service des Fürstenberg Instituts bereits als unantastbar: "Wir zahlen pro Monat und Mitarbeiter circa 4,50 Euro, und wir wissen, dass das gut investiertes Geld ist. Andere Unternehmen bieten einen Obstkorb, einen Zuschuss zu Lauftreffs oder dergleichen mehr. Da haben wir auch einige Angebote. Aber wir finden, dass die mentale Gesundheit wesentlich wichtiger ist."
Das Besondere: Jeder der rund 400 Mitarbeitenden der Hamburger Volksbank kann sich bei Problemen jederzeit - 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche - an das Fürstenberg Institut wenden. Und zwar bei jeder Art von Problemen - egal ob beruflicher oder privater Natur. Sogar enge Familienmitglieder dürfen sich beraten lassen.
"Depressive Verstimmungen und Erschöpfung haben zugenommen"
Erst die Corona-Pandemie, nun der Ukraine-Krieg: All das versetzt viele Menschen mental in eine Art dauerhaften Alarmzustand. Viele suchen Hilfe, doch auf einen Termin beim Psychotherapeuten muss man im Schnitt fünf Monate warten. Beim Fürstenberg Institut reicht ein Anruf, dann bekommt man einen Beratungstermin. Mittlerweile zählen rund 500 Firmen zu den Kunden. Die Nachfrage sei in der letzten Zeit enorm gestiegen, berichtet Reinhild Fürstenberg: "In der Pandemiezeit haben depressive Verstimmungen und Erschöpfung definitiv zugenommen. Wir haben auch sehr viel mit Partnerschafts- und Familienkonflikten zu tun gehabt. Denn viele waren im Homeoffice - waren das überhaupt nicht gewohnt - und haben sich da wirklich manchmal die 'Köpfe eingeschlagen'."
Für jedes Thema hat das Fürstenberg Institut speziell ausgebildete Psychologen. Der Beratungsansatz ist lösungsorientiert und zum Teil sehr handfest: Wird etwa ein Elternteil zum Pflegefall, können Berater auch bei der Suche nach einem guten Pflegeheim und beim Ausfüllen von Anträgen helfen. Geht es um Schulden, steht auch eine Anwältin für eine Rechtsberatung zur Verfügung. Allerdings hat die sogenannte "systemische Beratung" auch Grenzen. Hat das aktuelle Problem tieferliegende Ursachen, liegt möglicherweise eine behandlungsbedürftige Erkrankung, wie eine Depression vor, helfen die Berater bei der Suche nach einem Psychotherapeuten.
Alles bleibt anonym
Selbstverständlich bleiben alle Betroffenen anonym. Personalleiter Wolfram Kaiser erfährt nur, wie viele Mitarbeitende das Angebot genutzt haben und wo grob die Probleme liegen: im Bereich Gesundheit, Familiäres oder im Betrieb: "Wir hatten in all diesen Jahren meist eine Dreiteilung, mit einem Drittel auf all den drei Feldern. Wir haben aber auch festgestellt: Wenn wir als Hamburger Volksbank wesentliche Veränderungen herbeiführen durch Organisationsänderungen, dann steigt der Anteil der betrieblichen Herausforderungen kurzzeitig überproportional. Das ist für mich Signal genug, dass wir dann gut daran tun, unseren Mitarbeitern diese Dienstleistung zusätzlich noch anzubieten."