Nach Goecke-Skandal: "Man muss das Kunstwerk vom Künstler trennen"
Wie geht es nach dem Hundekot-Vorfall an der Staatsoper Hannover weiter? Ein Gespräch mit Christian Blossfeld, dem Nachfolger des inzwischen abgesetzten Ballettdirektors Marco Goecke.
Marco Goecke hatte einer Kritikerin aus Wut über ihre Texte Hundekot ins Gesicht geschmiert und ihr vorgeworfen, jahrelang gehässige Texte geschrieben zu haben. Die Staatsanwaltschaft ermittelt nun gegen ihn, erste Häuser haben seine Choreografien aus dem Programm gestrichen. In Hannover wurde er als Ballettdirektor abgesetzt - seine Stücke laufen dort aber weiter. Bis zum Sommer 2024 hat der bisherige stellvertretende Ballettdirektor Christian Blossfeld kommissarisch die Leitung der Ballett-Sparte übernommen.
Herr Blossfeld, wie fühlt sich für Sie die Arbeit im Ensemble gerade an?
Christian Blossfeld: Im Augenblick ist es so, dass wir wieder an Fahrt aufnehmen. Wir hatten am Freitag letzter Woche eine ausverkaufte Vorstellung - das war auch für unsere Tänzerinnen und Tänzer wieder ein sehr schönes Erlebnis. Morgen geht es aufs Gastspiel nach Tel Aviv. Wir sind hochkonzentriert und freuen uns auf die neuen Projekte.
Gab es denn in den vergangenen Tagen auch Vorbehalte oder kleine Blockaden, wieder auf die Bühne zu gehen, wieder zurück zur Arbeit zu finden?
Blossfeld: Nach unserer Premiere "Glaube-Liebe-Hoffnung" war es eine Woche, wo wir alle unter einer Art Schockmantel waren. Wir hatten das Gefühl, dass wir Gespräche mit unseren Tänzerinnen und Tänzern suchen müssen und ihnen auch den Freiraum geben müssen, um die ganze Sache zu verarbeiten. Mein persönlicher Eindruck ist: Je mehr wir zueinander halten und miteinander sprechen, umso schneller finden wir den Weg zurück in die Normalität.
Was hat die Tänzerinnen und Tänzer und auch Sie am meisten belastet?
Blossfeld: Belastet hat uns dieser extreme Wechsel. Wir planen ja immer sehr weit im Voraus, und zum Glück steht für uns auch die nächste Spielzeit, das hat keinen Einfluss auf unsere Arbeit. Aber natürlich sind wir alle wegen Marco Goecke nach Hannover gekommen, weil das künstlerische Werk für uns eine große Bedeutung hat. Jetzt müssen wir sondieren, wie es für die nächsten Jahre weitergeht.
Welche Unterstützung bräuchten Sie dafür?
Blossfeld: Unterstützung auf jeden Fall vom Publikum. Das war wunderbar letzten Freitag: Man hat richtig gespürt, wie das Publikum, das gern ins Ballett geht, hinter uns stand. Ich kann auch sagen, dass unser Haus, vorneweg mit unserer Intendantin Laura Berman, sich sehr gut um unsere Kompanie kümmert. Wir brauchen das Gespräch und auch weiterhin Perspektiven, um diese hervorragende Kompanie zusammenzuhalten.
Tänzerinnen und Tänzer werden ja mit Kritik groß. Schon in der Ausbildung geht es um Perfektion, es geht um den Körper, die Leistung, alles wird ständig bewertet. Wie haben Sie das als Tänzer erlebt?
Blossfeld: Ich gehöre noch zur alten Schule. Ich habe noch die Maßnahmen erlebt, die sehr negative Einflüsse auf Tänzer haben können. Ich freue mich, dass es in der Tanzausbildung einen Paradigmenwechsel gibt, auch durch die MeToo-Debatten oder durch das Hinterfragen von pädagogischen Systemen an Ballettschulen. Ich glaube, da wird ein Wechsel stattfinden. Auch für die Zukunft bin ich positiv gestimmt, dass wir dort pädagogischer und besser vorangehen können.
Welchen Wert hat Kritik für Sie als Tänzer oder auch als Ballettdirektor?
Blossfeld: Man darf nie vergessen, dass so eine Produktion mindestens anderthalb Jahre Vorlauf hat. Wir investieren sehr viel in einen Abend, auch die Tänzerinnen und Tänzer, die selber auf der Bühne stehen. Natürlich freut man sich über positive Kritik, dass das noch mal ein Ansporn ist für Menschen, die interessiert sind, in die Vorstellung zu kommen. Auf der anderen Seite freut man sich auch über konstruktive oder differenzierte Berichterstattung, weil der Aufwand, der dahinter steckt, enorm ist. Jedem sollte es möglich sein, sich selber davon ein Bild zu machen.
Wie persönlich nimmt man es, wenn eine Kritik nicht da ansetzt, wo man eigentlich künstlerisch hin wollte?
Blossfeld: Das kann nur jeder für sich selber beurteilen. Ich versuche, das zu differenzieren. Künstlerinnen und Künstler sind sensible Menschen, die auf der einen Seite sehr kreativ sein sollen, aber auf der anderen Seite auch in der Öffentlichkeit stehen. Damit geht jeder anders um. Manchen gelingt es besser, manchen weniger.
Fast alle Kompanien oder Häuser, die Stücke von Marco Goecke zeigen, halten an seinem Werk fest - die Kunst bleibt von dem Vorfall unberührt. Das Nationaltheater Mannheim allerdings hat die Stücke von ihm aus dem Spielplan genommen, und in Nürnberg schließt man eine Zusammenarbeit auch erst mal weiter aus. Wie ist Ihre Haltung zu solchen Maßnahmen?
Blossfeld: Hier in Hannover wurden Konsequenzen getroffen, und alles Weitere werden die Gerichte abarbeiten. Solange da noch keine Entscheidung getroffen worden ist, dadurch, dass das ein schwebendes Verfahren ist, möchte ich mich dazu im Augenblick nicht äußern. Ich glaube aber, man muss das Kunstwerk vom Künstler auf jeden Fall trennen.
Mit welchem Gefühl gehen Sie jetzt zur Arbeit?
Blossfeld: Mit dem Gefühl, dass ich stolz bin auf diese Kompanie. Ich freue mich auch, dass wir noch einige Highlights in dieser Spielzeit haben, um beweisen zu können, dass diese Kompanie zu einer der gefragtesten zeitgenössischen Kompanien in Deutschland gehört.
Das Interview führte Julia Westlake.