"Der lange Schlaf": Dystopisches Stück über Klimakatastrophe
Was bedeutet es, wenn weite Teile des öffentlichen Lebens lahmgelegt sind? Finegan Kruckemeyers düsteres Gedankenexperiment feiert Premiere am Hamburger Schauspielhaus.
Die Idee klingt ebenso surreal wie originell: "Was wäre, wenn wir uns einfach alle hier ins Bett legen und schlafen? Licht aus, Augen zu, 54 E und ein Jahr schlafen." Emily, eine junge Mitarbeiterin im Ministerium für Weltraumforschung in Australien, macht diesen Vorschlag. Der Minister greift ihn auf, gibt ihn gar als den seinen aus. Und tatsächlich einigen sich die Regierungen weltweit darauf, den Versuch zu wagen, angesichts der sich immer dramatischer zeigenden Folgen des Klimawandels: Alle Menschen werden mit 54 E, einem Gas, in den "Schlaf" versetzt.
Globales Schicksal in Einzelschicksalen
"Als die Idee da zum ersten Mal präsentiert wurde, denkt man: wow, großartig, aber dann bröckelt es ja vor den eigenen Augen zusammen", beschreibt ein Zuschauer. Trotzdem: Erst einmal ist Hoffnung. Wir lernen Menschen in den verschiedenen Teilen der Erde kennen, in den USA, Nigeria, Kolumbien, Australien natürlich. Eine Frau packt für den "langen Schlaf" wie für eine Reise, eine Fernsehmoderatorin dreht fast durch, ein Vater erlaubt der Tochter, im Ehebett zu schlafen.
Finegan Kruckemeyer reißt alle diese Geschichten nur kurz an, wechselt hin und her, schlaglichtartig. Und so inszeniert Philipp Stölzl sie auch. Jede bekommt ihre eigene kleine Bühne auf der großen, sechs luftige Kästen, die rotieren, mal nebeneinander, mal versetzt stehen. Schade, dass das Geschehen zusätzlich auf einer Leinwand illustriert wird mit übergroßen Bildern von Müllbergen, Feuersbrünsten, aufgerissenen Böden oder Hochwasser. Das ist doch arg plakativ. "Ergibt ja Sinn. Ich meine, das Problem ist plakativ", findet eine Zuschauerin.
Wie frei ist der Mensch?
Nur zwei Menschen schlafen nicht, eine Frau und ein Mann, einsame Streuner, in einer Welt, in der Milchkühe verenden, schlafende Menschen verbrennen und Hunde in Rudeln durch die Stadt streunen: "Ich habe den Feuerschein gesehen in dem Fenster da, ich dachte, es brennt was, ich wollte nur sichergehen, dass niemand verbrennt." "Was machst Du hier?" "Dasselbe wie du, nehme ich an."
Hier konzentriert sich das Stück, findet einen Ruhepunkt, bei diesen Ausgesetzten - oder sind es Privilegierte? Denn sie kann das Gas nicht in den Schlaf zwingen, sie haben künstliche Lungen. Finegan Kruckemeyer wirft viele Fragen auf, so auch diese: Wie frei ist und sollte der Mensch sein in seinem Handeln? Was darf "der Staat"? Er muss durchgreifen, findet Emily: "Wir haben allen anderen Lebensformen die menschlichen Regeln aufgedrückt, wir zerstören den Planeten mit diesen menschlichen Regeln. Alle leiden wegen dieser menschlichen Regeln."
Starkes Ensemble, toller Soundtrack
Natürlich ist der lange Schlaf keine Lösung, er zieht andere Katastrophen nach sich. Am Ende zerfasert das Stück und auch die Inszenierung. "Ich bin mit dem zweiten Teil nicht so einig, wie ich mit dem Exposé des ersten Teils zufrieden bin", resümiert ein Zuschauer. "Es geht hier eigentlich um eine Botschaft des Innehaltens und des Verlangsamens von allem, von uns, von der Wirtschaft und von diesem ganzen Wahnsinn, der dem Erdball dem Ende zutreibt und dem stimme ich zu", sagt hingegen eine andere Zuschauerin.
Philipp Stölzl bekommt diesen märchenhaften, episodischen und dabei so düsteren Dreiakter insgesamt gut in den Griff. Er inszeniert fast filmisch, mit einem starken Soundtrack: Tristan Breitenbach am Klavier und das Streichquartett sind klasse. Auch das divers besetzte Ensemble spielt stark. Wohltuend, dass der Regisseur es auch die komischen Momente auskosten lässt, denn eigentlich gibt es nichts zu lachen: "Es ist an der Zeit, dass wir uns in Nichts entwickeln."
"Der lange Schlaf": Dystopisches Stück über Klimakatastrophe
Finegan Kruckemeyers düsteres Gedankenexperiment feiert Premiere am Hamburger Schauspielhaus.
- Art:
- Bühne
- Datum:
- Ende:
- Ort:
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Schauspielhaus Hamburg
Kirchenallee 39
20099 Hamburg
- Hinweis:
- Autor: Finegan Kruckemeyer
Übersetzung: Thomas Kruckemeyer
Regie: Philipp Stölzl