"Anthropolis": Blockbuster-Serie am Hamburger Schauspielhaus
Das Deutsche Schauspielhaus zeigt in dieser Spielzeit in fünf Stücken den Aufstieg und Fall der Stadt Theben. Die "Anthropolis"-Serie von Roland Schimmelpfennig und Karin Beier startete mit "Dionysos".
Die berühmtesten Gründungsmythen der europäischen Zivilisationsgeschichte stammen aus der Stadt Theben. Mit Antigone und Ödipus haben sie gleich zwei Gestalten hervorgebracht, die in Literatur, Philosophie und Psychologie bis heute zentrale Rollen einnehmen. Zwei Jahre lang haben sich Intendantin Karin Beier und Dramaturg Roland Schimmelpfennig über die Überlieferungen von Sophokles, Aischylos und Euripides gebeugt. Herausgekommen sind fünf Inszenierungen von der Gründung Thebens durch Kadmos über den Fluch des Ödipus bis zum Fall der Stadt. "Wir erzählen eine Zivilisationsgeschichte, in der zu guter Letzt die Natur oder die Götter zurückschlagen und zwar mit Gewalt zurückschlagen", sagte Intendantin Karin Beier bei der Vorstellung im April.
"Prolog/Dionysos" erzählt von der Gründung Thebens
In der ersten Inszenierung wird zunächst von der Gründung Thebens erzählt. Die Bühne ist nackt, nur der Boden ist bedeckt von Geäst. Kadmos hat auf göttliches Geheiß einen Drachen getötet, ihm die Zähne herausgebrochen und ausgesät. Es regnet in Strömen. Gewalt sät Gewalt. "Wir befinden uns gerade in einer Situation, wo man fast von einer Art Polytrauma des Planeten sprechen kann, also wo es viele, riesige Krisenherde gibt", sagt Karin Beier. "Ich persönlich finde das immer total spannend, zu gucken: Wo ist denn der Mensch falsch abgebogen, was ist passiert? Das lässt sich sehr exemplarisch an diesen Helden der griechischen Tragödie erzählen."
"Ein großer Akt für das ganze Theater": Proben über einen langen Zeitraum
Letzte Ansagen von der Intendantin bei den Proben - die Schauspielerin Lina Beckmann will noch kurz wissen, ob das alles so gepasst habe eben. Die Antwort: ein knappes "Ja". "Das ist über die Jahre ganz doll gewachsen", erzählt Lina Beckmann. "Als ich Karin kennengelernt habe, hatte ich so viel Respekt und war so aufgeregt, dass ich mich immer zwingen musste zu spielen. Dann habe ich gemerkt, dass sie ganz viel nimmt, was man ihr anbietet und ein bisschen daran rumschraubt."
Seit anderthalb Jahren probt Beier, ein Stück nach dem anderen, nicht in der "richtigen" Reihenfolge, denn nicht alle Schauspielerinnen und Schauspieler waren immer verfügbar. So kommt für "Öpidus", das Mitte Oktober Premiere feiert, beispielsweise wieder Devid Striesow ans Haus. "Ich glaube, das ist wirklich ein Fokussieren auf das einzelne Stück", meint Beier. "Natürlich sind die anderen Stücke da, aber jetzt, wo wir alles wieder hochholen, habe ich mich in dieser Phase primär auf 'Dionysos' und den 'Prolog' konzentriert. So wird es sukzessive weitergehen. Insofern ist es vielleicht gar nicht so extrem, wie sich das vielleicht anfühlt. Es ist schon ein großer Akt für das ganze Theater, aber ich habe das über einen langen Zeitraum proben können."
Lina Beckmann bringt Groteskes und Humor ein
Dionysos, der Gott der Fruchtbarkeit, der Ekstase, des Weins. Seine Anhänger tanzen und trinken. Lina Beckmann lädt, ganz in Gold, zur Weinprobe: "Mich juckt es manchmal, eine Szene kaputt zu machen mit Humor oder zu irritieren, weil ich glaube, dann ist es auch lebendiger. Manche Teile in dem Abend eignen sich auch wahnsinnig gut dazu, da eine Groteske oder einen Humor reinzubringen."
Das ist auch Karin Beier wichtig. Außerdem war der Dramatiker Roland Schimmelpfennig immer bereit, noch etwas dazuzuschreiben. Er hat die Texte modernisiert, teilweise neu geschrieben. "Da haben wir sehr viel gesprochen. Es gab sehr viel Hin und Her", erklärt Beier. "Er hat etwas geschrieben, es gab wieder einen Rückwurf. Er war unfassbar uneitel, was ich ganz, ganz toll fand."
Antike Mythen beklemmend aktuell
Beklemmend aktuell sind die Konflikte, die die Tragödien des thebanischen Sagenkreises verhandeln und die seit langem unter der Oberfläche moderner Gesellschaften rumoren. Machtberauschte Politiker und widerständige Kinder, rigide Ordnungsfanatiker und entfesselte Rebellinnen, übermenschliche Zerstörungskräfte und gewalttätige Eliten - sie alle tauchen in den thebanischen Mythen auf. "Ich finde, dass Theben ein ganz tolles Beispiel ist, um anhand von der Mythologie Themen aufzuwerfen, die uns heute berühren", so Beier.
Karin Beier und Roland Schimmelpfennig interpretieren die antiken Mythen als Urform unseres politischen Staatswesens und unserer Gesellschaft. Sie fragen: "War es richtig, das Irrationale komplett aus der Politik zu verbannen, sich die Natur zu unterwerfen und die Götter zu töten? Haben wir den Selbstdestruktionstrieb des Menschen und die Potenz von Gewalt unterschätzt? Es ist tatsächlich so, dass wir ja schon merken, dass die Risse in dem Fundament unserer aufgeklärten, vernunftbasierten Welt immer größer werden", so Karin Beier.