Die beiden Moderatoren der Reality-Show "Ich bin ein Star - Holt mich hier raus!", Sonja Zietlow und Jan Köppen © picture alliance/dpa/RTL+

Zum Start vom "Dschungelcamp": Warum ist Trash-TV so beliebt?

Stand: 12.01.2023 15:29 Uhr

"Ich bin ein Star - Holt mich hier raus!" - in dieser Woche geht es wieder los. Was fasziniert die Menschen an dieser und an weiteren Fernsehsendungen, die zu den sogenannten Trash-Formaten zählen?

Ein Gespräch mit Joan Bleicher vom Institut für Medien und Kommunikation in Hamburg.

Frau Bleicher, Sie sind selber auch Fan von Trash-Fernsehen - welche Sendung ist da Ihr Topfavorit?

Joan Bleicher: Als Fan würde ich mich nicht unbedingt bezeichnen, aber ich interessiere mich besonders für das "Dschungelcamp", weil das so eine Art Mikrokosmos der Mediengesellschaft ist. Man kann sehen, mit welchen Strategien Menschen versuchen, die mediale Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Das ist ein Aspekt, der mich als Medienwissenschaftlerin sehr interessiert.

Der interessiert Sie. Aber ist es auch das, was die breite Masse an diesen Formaten interessiert? Oder ist es doch etwas anderes?

Bleicher: Es gibt eine ganze Kombination von Elementen, die für die Menschen interessant sind. Wir haben einerseits eine Art Sozialexperiment mit offenem Ausgang. Man weiß also nicht, was passiert, wie die Abläufe sein werden. Man weiß auch nicht, wer jeweils die Staffel gewinnen wird - das ist so ein Spannungselement. Man bekommt viele Emotionen, tränenreiche Beichten am Lagerfeuer. Man bekommt Comedy-Elemente durch die Doppelmoderation. Es sind ganz viele Aspekte, die hier kombiniert werden.

Generell gilt beim Reality-TV das grundlegende menschliche Interesse am Leben der Anderen. Wir erhalten quasi voyeuristische Einblicke in das Leben von Menschen, und diese Reality-TV-Formate bilden auch einen - so zumindest das Versprechen - faktenbasierten Gegenpol zu dieser Übermacht an fiktionalen Sendeformen, an Serien und Filmen. Außerdem ist immer wieder auch der soziale Vergleich entscheidend: Ich sehe Menschen, die häufig in sehr prekären Situationen leben, und ich fühle mich dadurch im sozialen Vergleich bestätigt, in meiner eigenen Normalität.

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Es geht bei diesen Trash-Formaten oft um Stereotype, aber im Gegensatz dazu auch immer wieder um Paradiesvögel. Wie gefährlich ist es, den Zuschauenden, vor allem jüngeren Menschen, dieses ganze Klischee-Paket vorzusetzen?

Bleicher: Das Klischee-Paket ist ja ein Teil der Unterhaltung. Wir schaffen es sehr schnell, Rollenmuster in der stereotypen Gestaltung zu erkennen, und das ist ja auch Grundlage der Unterhaltung. Ich weiß nicht, ob viele junge Menschen sich das tatsächlich als Vorbild für die eigene Identitätskonstruktion nehmen, sondern auch da geht es eher um den Abgrenzungseffekt und um den Vergleich mit seinen eigenen Rollenmustern und Lebensmodellen.

In den vergangenen Jahren sehen wir das auch mehr und mehr in gescripteten Formaten, wo am Ende etwas als wahr vorgespielt wird, was sich aber jemand ausgedacht hat. Wie gefährlich ist das?

Bleicher: Ich weiß nicht, was für Gefährdungspotenziale da vorhanden sind, weil diese Formate in einer Art und Weise gestaltet werden, die erkennbar werden lässt, dass es sich um gestellte Szenen handelt. Dauerschreiende Menschen, die sich ankeifen, die ganzen Confrontainment-Situationen, die völlig abstrusen Themen lassen doch die Frage offen, ob es sich hier tatsächlich um Wiedergabe von Realität handelt, sondern es scheint so, dass viele Menschen den Inszenierungscharakter tatsächlich erkennen, genau angesichts dieser sehr abseitigen Themen und dargestellten Lebensmodelle.

Warum lassen sich die Teilnehmer dazu hinreißen - sowohl die Laiendarsteller, die diesen gescripteten Text vortragen, als auch die C- und D-Promis, die ins Dschungelcamp gehen?

Bleicher: Natürlich ist die finanzielle Lage ein Punkt, sodass man sich davon Einnahmen verspricht. Häufig wird auch von den Produktionsfirmen suggeriert, dass das das Eingangstor in eine ganz große Karriere ist. Gerade der Dschungel ist ein Aufmerksamkeits-Generator, der dazu führt, dass im Anschluss Nachfolge-Jobs denkbar sind. Man möchte sich auch selbst darstellen und erhofft sich eine Aufwertung der eigenen Existenz durch Medienpräsenz: Ich war im Fernsehen, also bin ich wichtig. Das ist natürlich auch eine Motivation.

Gibt es auch eine Übersättigung mit diesen ganzen Reality-TV-Formaten? Haben wir den Peak irgendwann überschritten?

Bleicher: Das zeigt ja schon die Präsenz von Scripted-Reality-Formaten, dass das normale Reality-TV an Bedeutung verliert. Man setzt auf die dramaturgische Steigerung, man braucht noch mehr Konflikte, noch stärker stereotype Klischees in den Figurendarstellungen. Es nutzt sich doch scheinbar ab. Ich glaube auch, dass das Quoten-Spektrum nicht mehr ganz so hoch ist wie etwa in der Anfangsphase. Man versucht auch, immer mehr Bereiche zu entdecken, immer neue Genre-Elemente miteinander zu kombinieren, um wieder hohe Quoten erzielen zu können.

Können Sie denjenigen, die sich erwischt fühlen, die auch zu denen gehören, die beim Dschungelcamp mal reingucken, noch einen Rat an die Hand geben: Ist es okay, das ab und zu mal zu tun?

Bleicher: Es ist durchaus von Interesse, das zu verfolgen. Es zeigt sich, dass auf Twitter viele Diskussionen parallel zur Sendung verlaufen, die manchmal deutlich interessanter sind als das Format selber.

Das Interview führte Jan Wiedemann.

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Journal | 12.01.2023 | 16:30 Uhr

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