Willy Brandt: Kanzler, Weltbürger - Friedensnobelpreisträger
Widerstandskämpfer, Kanzler, Parteivorsitzender: Willy Brandt war einer der bedeutendsten deutschen Politiker. 1971 wurden seine Verdienste mit dem Friedensnobelpreis geehrt. Am 18. Dezember 1913 wurde er in Lübeck geboren.
Regierender Bürgermeister von Berlin während der Berlin-Krise, Bundeskanzler mit tragischem Ende, Friedensnobelpreis-Träger, Widerstandskämpfer im Dritten Reich, Exilant, Journalist, Berichterstatter bei den Nürnberger Prozessen, Träger zahlreicher Ehrungen und Orden, Sozialdemokrat, Visionär und Weltbürger - über Willy Brandt sind bereits zu Lebzeiten zahlreiche Biografien sowie wissenschaftliche und journalistische Würdigungen und Analysen geschrieben worden.
Wegweisend für die Politik der Bundesrepublik
Obwohl Brandts Zeit als Bundeskanzler durch die Spionage-Affäre Guillaume überschattet wird, gilt seine Politik noch heute als wegweisend für die alte Bundesrepublik, wie sie bis 1990 bestanden hat. Dass er zwei Jahre vor seinem Tod im Oktober 1992 die Wiedervereinigung miterleben darf, ist indirekt auch seiner Politik des "Wandels durch Annäherung" geschuldet, die er als Bundeskanzler vorangetrieben hat.
Seine politische Bedeutung über seine Kanzlerschaft hinaus wird vorbehaltlos über Parteigrenzen und auch im Ausland anerkannt. Das war in seiner langen politischen Laufbahn nicht immer der Fall, denn der Sohn der Hansestadt Lübeck musste immer wieder Schmähungen und Kränkungen von Parteifreunden und politischen Gegnern einstecken. Wie bei vielen Politikern dieser Zeit, insbesondere sozialdemokratischen, spiegelt sein politischer und persönlicher Lebensweg die schwierige und rastlose Geschichte Deutschlands im 20. Jahrhundert wider.
Aufgewachsen als Herbert Frahm
Willy Brandt wird am 18. Dezember 1913 in Lübeck unter dem Namen Herbert Ernst Karl Frahm als uneheliches Kind in einem sozialdemokratischen Haushalt geboren. Seinen Vater hat er nicht gekannt. Er wächst weitgehend bei seinem Großvater mütterlicherseits auf. Bereits als Jugendlicher schließt er sich der sozialistischen Jugendbewegung an. Mit 16 tritt er der SPD bei, wechselt allerdings bald zur Linksabspaltung der SPD, der Sozialistischen Arbeiterpartei, weil ihm die SPD zu kompromissbereit erscheint.
Ins Exil als Willy Brandt
Kurz nach der Machtergreifung der NSDAP geht er aus politischen Gründen ins Exil nach Norwegen - schon unter dem Namen Willy Brandt, den er mit Hilfe gefälschter Papiere annimmt. Das Dritte Reich überlebt er in Norwegen und, nach dessen Eroberung durch die Deutschen, in Schweden. Während dieser Zeit fährt er 1937 nach Spanien, um auf republikanischer Seite über den Bürgerkrieg zu berichten. Seine zahlreichen Reisen in unterschiedliche europäische Länder dienen ihm dazu, den Kontakt zu sozialdemokratischen Exilgruppen zu halten. Auch in Deutschland verbringt er 1936 ein Studienjahr - unter dem Namen Gunnar Gaasland.
Seinen Lebensunterhalt im norwegisch-schwedischem Exil verdient er sich hauptsächlich als Journalist. Brandts politische Aktivitäten begründen viele Freundschaften, an die er nach dem Krieg wieder anknüpfen kann und die ihm den Ruf eines Weltbürgers einbringen sollen.
Rückkehr nach Deutschland als Prozess-Berichterstatter
Brandts Rückkehr nach Deutschland 1945 ist eine Schnupper-Rückkehr. Nach fast 13 Jahren im skandinavischen Exil kommt er zunächst als Berichterstatter über die Nürnberger Kriegsverbrecherprozesse im Auftrag einer norwegischen Zeitung nach Deutschland. Von dort nimmt er auch Kontakt zur deutschen Sozialdemokratie auf und erkundet das Nachkriegs-Deutschland. Sein nächster Aufenthalt ist Berlin, diesmal als Presseattaché des norwegischen Außenministers, seinem Freund Halvard Lange. 1947 beschließt Brandt, ganz nach Deutschland zurückzukehren - als Deutscher und nicht als Norweger. Begleitet wird er von Rut, seiner zweiten Frau, die er in Norwegen kennengelernt hat.
Der Name Willy Brandt wird offiziell
Bei der Wiedereinbürgerung in Schleswig-Holstein lässt er sich auf den Namen Willy Brandt registrieren - Herbert Frahm ist Geschichte, allerdings eine, die in den kommenden Jahren noch oft gegen ihn benutzt wird. Im Wahlkampf gegen Adenauer 1961 bezeichnet dieser ihn gern als "Willy Brandt alias Herbert Frahm" und beschwört so den Eindruck eines unzuverlässigen Mannes herauf, der seine Herkunft und wohl auch sein Land verraten hätte.
Die SPD-Führung wird schnell aufmerksam auf Willy Brandt, vor allem der damalige Vorsitzende Kurt Schumacher. Dieser macht Brandt zu seinem Vertreter in Berlin. 1957, nach dem Tode des Sozialdemokraten Otto Suhr, wird er dessen Nachfolger als Regierender Bürgermeister von Berlin. Internationales Ansehen erlangt Brandt als Bürgermeister während der Berlin-Krise von 1958. In den USA wird er dafür bei einem Besuch 1959 wie noch kein deutscher Politiker vor ihm gefeiert.
Bei seiner ersten Kanzlerkandidatur 1961 unterliegt Brandt noch der CDU. Fünf Jahre später ist er bereits Außenminister in der 1966 geschlossenen Großen Koalition, 1969 löst er Kurt Georg Kiesinger als Bundeskanzler ab und wird der erste sozialdemokratische Kanzler in der noch jungen Bundesrepublik.
Brandt befördert politische Erneuerung der SPD
Brandts Wille zur politischen Erneuerung der SPD und zum Wandel gesellschaftlicher Verhältnisse in der Bundesrepublik ist geprägt von seinen Erfahrungen im norwegischen und schwedischen Exil. Er ist einer der Befürworter des Godesberger Programms der SPD, welches diese zur Volkspartei umgestalten sollte. Zusammen mit Herbert Wehner macht er sich auf, die SPD zu erneuern und regierungsfähig zu machen.
Wehner wird während dieser Zeit sowohl ein wichtiger innerparteilicher Verbündeter Brandts als auch dessen größter Widersacher. Der als strenger "Partei-Zuchtmeister“ bekannte Wehner wirft Brandt immer wieder vor, nur ein Salonsozialist zu sein und sich im entscheidenden Moment aus dem Staub gemacht zu haben - nicht nur bezogen auf die unterschiedlich erfahrenen Jahre während der NS-Diktatur, sondern auch während Brandts Kanzlerschaft.
Ostpolitik unter dem Motto "Wandel durch Annäherung"
Bereits in den 60er-Jahren entwickelt Brandt zusammen mit Egon Bahr unter dem Einfluss des Mauerbaus von 1961 die politischen Leitlinien für den Umgang mit dem Osten. Die Konzepte von der "Politik der kleinen Schritte" und dem "Wandel durch Annäherung" entstehen. Als Bundeskanzler erlebt er selbst mit, welche Bedeutung diese Politik hat. In Erfurt wird er 1970 bei einem Staatsbesuch in der DDR frenetisch mit "Willy, Willy"-Rufen von einer begeisterten Menge gefeiert. Die DDR-Führung nimmt diesen Jubel damals als organisatorische Panne wahr. Dieses Treffen und ein Gegenbesuch von Willi Stoph, damals Premierminister der DDR, hat jedoch weitreichende Folgen für die internationale Anerkennung der DDR, nicht zuletzt, weil es um deren Sitz in der UNO geht.
Der Kniefall von Warschau
Endgültig angekommen auf internationaler Bühne ist Brandt mit seinem Kniefall vor dem Ehrenmal der Opfer des jüdischen Ghettos in Warschau bei einem Besuch in Polen. Für alle Beteiligten kommt diese Geste damals wie ein Schock - niemand hatte sie vorhergesehen und sie war auch nicht Teil des geplanten Programms. Der "Spiegel"-Reporter Hermann Schreiber schreibt damals mit Pathos und dem Ton der völligen Überraschung: "Dann kniet er da, der das nicht nötig hat, da für alle, die es nötig haben, aber nicht da knien - weil sie es nicht wagen oder nicht können oder nicht wagen können. Dann bekennt er sich zu seiner Schuld [...] Dann kniet er da für Deutschland".
Friedensnobelpreis für Brandts Entspannungspolitik
Der Schock ist wohl nur mit der Stimmung im Deutschland der 70er-Jahre zu erklären - einer Zeit, in der eine Aufklärung der eigenen Vergangenheit, wenn überhaupt, noch eher verschämt betrieben wird. Der 1973 in Kraft tretende Grundlagenvertrag mit der DDR ist das Ergebnis der Politik von Brandt und der anderen Entspannungspolitiker in der SPD.
Für diese Entspannungspolitik wird ihm am 10. Dezember 1971 in Oslo der Friedensnobelpreis verliehen. Als "Chef der westdeutschen Regierung und im Namen des deutschen Volkes" habe er "die Hand zu einer Versöhnungspolitik zwischen alten Feindländern ausgestreckt", heißt es vom Komitee.
In der Innenpolitik will er mehr Demokratie wagen und doch passiert der Radikalenerlass noch unter seiner Regierung den Bundestag. Es ist wohl eine Ironie der Geschichte, dass gerade unter jenem Kanzler, der sich dem Wandel und der Öffnung der Gesellschaft verschrieben hat, ein kleiner Teil der außerparlamentarischen Opposition sich radikalisiert, als RAF den deutschen Staat herausfordert und bis an seine Grenzen bringt. Da allerdings ist Brandt schon nicht mehr Kanzler.
Die Affäre Guillaume beendet die Kanzlerschaft
Er stürzt über den in sein Amt eingeschleusten DDR-Spion Günter Guillaume, der zu einem seiner engsten Berater im Kanzleramt geworden war. Es ist der tragische Schluss einer Kanzlerschaft, in der es bereits schon länger Unstimmigkeiten gab und er selbst amtsmüde wirkte. Nachfolger des Visionärs Brandt wird im Mai 1974 der schon lange als stärkster Mann im Kabinett gehandelte Praktiker und Macher Helmut Schmidt.
Staatsmann, Weltbürger - und 23 Jahre an der SPD-Spitze
Nach dem Ausscheiden aus dem Kanzleramt zieht sich Brandt keineswegs von der politischen Bühne zurück, sondern ist weiterhin sehr aktiv. Er bleibt noch bis 1987 Vorsitzender der SPD, ein Posten, den er seit 1964 innehatte. In dieser Funktion mischt er sich immer wieder in aktuelle Debatten ein. 1976 wird er zum Präsidenten der Sozialistischen Internationalen gewählt und übernimmt kurz darauf den Vorsitz der Nord-Süd-Kommission, der unter anderem auch Olof Palme angehört und die auf Betreiben des Weltbankpräsidenten Robert McNamara einberufen wurde. In diesen Ämtern betreibt der Weltbürger Brandt Außen- und Weltpolitik, bei der er seine Kontakte und Erfahrungen aus den Zeiten vor seiner Kanzlerschaft und die in seiner Emigration gründenden persönlichen Vorstellungen einer Weltpolitik nutzt und umsetzt.
"Jetzt wächst zusammen, was zusammengehört"
Einen seiner letzten großen öffentlichen Auftritte hat er im Rahmen des Mauerfalls am 10. November 1989 auf dem Balkon des Schöneberger Rathauses, wo er gewissermaßen auf das Ergebnis seines Lebenswerkes blickend feststellt, dass "zusammen wächst, was zusammen gehört". Seine Politik der Annäherung und des Wandels hat ohne Zweifel auch dazu beigetragen, dass er diesen Moment noch erleben kann.
Willy Brandt stirbt nach schwerer Krankheit am 8. Oktober 1992 in seinem Wohnort Unkel in Rheinland-Pfalz. An der Trauerfeier im Berliner Reichstag am 17. Oktober nehmen mehr als 1.500 Gäste aus dem In- und Ausland teil. Seine letzte Ruhestätte findet Brandt auf dem Waldfriedhof in Berlin-Zehlendorf. In seiner Heimatstadt Lübeck erinnert das Willy-Brandt-Haus an den großen Politiker.