Kulturpolitik der DDR: Das "Kahlschlag-Plenum" der SED 1965
Das 11. Plenum des Zentralkomitees der SED im Dezember 1965 sollte sich eigentlich mit Wirtschaftsfragen beschäftigen. Stattdessen geriet es zur Abrechnung mit Reformversuchen in Kunst und Kultur. Die SED wollte Intellektuelle auf Parteilinie zwingen.
"Das Plenum war nach meiner Auffassung der schärfste, schlimmste und folgenreichste Eingriff der Partei- und Staatsführung in Kunstprozesse der DDR. Mit verheerenden Folgen." Für Günther Agde hat das Vorgehen der DDR-Staats- und Parteiführung gegen Künstler und den Kulturbetrieb im Jahr 1965 nichts von seiner Schärfe verloren. Er war damals ein junger Dramaturg in Prenzlau, später hat er an der Akademie der Künste der DDR gearbeitet.
Viele seiner Freunde und Kollegen seien von den Beschlüssen damals betroffen gewesen, sagt er: "Es war schrecklich."
Die 11. Tagung des Zentralkomitees der SED ist als "Kahlschlag-Plenum" in die Geschichte eingegangen und markiert eine tiefe Zäsur, weil die SED-Führung alle liberalen und modernen Tendenzen in der DDR-Kultur, die in den Jahren zuvor aufgeblüht waren, radikal beendete.
DDR gibt sich nach Mauerbau zunächst lockerer
Nachdem sich die Situation in der DDR nach dem Mauerbau zunächst stabilisiert zu haben schien, formulierten vor allem junge Künstler offener und klarer als zuvor, was wie bewegte. Die Literatur in der DDR blühte auf - Lyriklesungen von Autoren wie Volker Braun wurden zu einem Treffpunkt junger Leute, Bücher wie "Der geteilte Himmel" von Christa Wolf oder "Ole Bienkopp" von Erwin Strittmatter wurden von vielen gelesen.
Auch in der Wirtschaft hatte sich einiges getan: Unter der Abkürzung NÖSPL (Neues Ökonomisches System der Planung und Leitung) sollte die Planwirtschaft reformiert werden, flachere Hierarchien und mehr Mitbestimmung wurden eingeführt. Dezentrale Einheiten gewannen an Bedeutung gegenüber der zentralen Verwaltung, Ökonomen gegenüber den Politfunktionären. Darum sollte es gehen, beim 11. Plenum des ZK der SED. Doch Erich Honecker, damals Stellvertreter von Walter Ulbricht an der Spitze der Partei, holte im "Bericht des Politbüros" aus zum Rundumschlag gegen die Kultur: "Unsere Deutsche Demokratische Republik ist ein sauberer Staat", war der Satz, mit dem er anhob, alles zu verurteilen, was den SED-Hardlinern an der Entwicklung der letzten Jahre missfiel.
Kulturschaffende werden zu DDR-Schädlingen stilisiert
Schon vor der Tagung war den Mitgliedern des ZK der SED eine Lesemappe ausgehändigt worden, nach deren Lektüre sie den Eindruck gewinnen mussten, die DDR drohe, in ihren Grundfesten erschüttert zu werden. In seiner Rede griff Honecker dann Künstler und Werke an, in denen "sich dem Sozialismus fremde, schädliche Tendenzen und Auffassungen" zeigten. Zu den so Verdammten gehörten zum Beispiel die Schriftsteller Volker Braun und Werner Bräunig - aber auch der Film "Das Kaninchen bin ich" von Regisseur Kurt Maetzig, der das Filmschaffen in der DDR nach dem Zweiten Weltkrieg maßgeblich aufgebaut und geprägt hatte. "Also das war eine Situation, in der man auch Angst bekommen konnte", erinnerte sich Maetzig nach der Wende an die Tage des 11. Plenums.
Widerspruch von Christa Wolf wird unter den Teppich gekehrt
Honecker gab den Ton vor, die folgenden Rednerinnen und Redner nahmen ihn auf. Nur Christa Wolf, damals junge Kandidatin im ZK, nahm am letzten Tag ihren Mut zusammen und widersprach. "Sie sagte, sie kann dem nicht folgen, sie kann dem auch nicht zustimmen", erzählt Günther Agde. Das habe ihn beeindruckt. Erfahren hat er vom mutigen Auftritt von Christa Wolf allerdings erst später. Die Reden und Diskussionsbeiträge solcher Plenartagungen wurden in den DDR-Medien zwar normalerweise veröffentlicht. "Da war aber von der Aufmüpfigkeit von Christa Wolf nichts zu lesen."
Verbannung und Berufsverbote haben "Begabungen getötet"
Die Öffentlichkeit erfuhr allerdings, dass es massive Eingriffe in der Kunstszene gab. "Dieses 11. Plenum hat auch Begabungen getötet oder gar nicht erst aufblühen lassen. Das ist für mich der größte Schaden", sagt Günther Agde. Werner Bräunig etwa, zu dessen Verteidigung Christa Wolf das Wort ergriffen hatte, schrieb keinen Roman mehr. Wolf Biermann bekam Berufsverbot. Volker Brauns Theaterstücke wurden von den DDR-Bühnen verbannt. Und die Filmschaffenden traf es auf breiter Front: Von den 14 Filmen der DEFA-Jahresproduktion 1965 kamen zwölf nicht in die Kinos.
Einer der bekanntesten Filme, den der Bannstrahl des Regimes traf, war "Spur der Steine" von Regisseur Frank Beyer mit Manfred Krug in der Rolle des undogmatischen Zimmermanns und Brigadeleiters Hannes Balla. Manfed Krug nannte den Film später den besten, in dem er mitgespielt habe. "Wenn man über die DDR was lernen wollte, dann war das genau der Film, an dem man das konnte: was lernen. Deshalb ist er ja auch verboten worden."
Archivare retten verbotene Filme in die Zukunft
Doch auch das war die DDR Mitte der 60er-Jahre: Die Filme wurden zwar verboten - aber die Archivare bewahrten sie auf. Nach dem Mauerfall konnten sie gezeigt werden. Günther Agde hat sich im Rahmen seiner Arbeit für die Akademie der Künste intensiv damit befasst - und hat ein klares Urteil: "Keiner dieser Filme wollte die DDR abschaffen oder die Regierung stürzen. Im Gegenteil, sie sollten mit ihren Beiträgen zu einer öffentlichen Diskussion die DDR verbessern." Bis zum 11. Plenum sei die sozialistische Utopie noch intakt gewesen, meint Agde. Das habe sich durch das Eingreifen der SED-Hardliner geändert.