Wir bauen einen sozialistischen Staat: Die Verheißung der DDR
Ein halbes Jahr nach der Bundesrepublik wird die DDR gegründet. Die aus der Fusion von KPD und SPD hervorgegangene SED wird zur alles dominierenden Kraft. Mit Walter Ulbricht an der Spitze baut sie einen Staat nach Vorbild der Sowjetunion auf.
"Ob sie es glauben oder nicht, Anfang der 50er-Jahre ging das hier aufwärts. Da war eine Begeisterung." So erinnern sich Helga und Helmut Schulz aus Mestlin in Mecklenburg-Vorpommern an die frühen Jahre der Deutschen Demokratischen Republik. Am 7. Oktober 1949 konstituiert sich die "Provisorische Volkskammer" der DDR und verabschiedet die bereits vorbreitete Verfassung.
Hoffnung auf eine Zukunft ohne Last der Vergangenheit
Tatsächlich hoffen eine ganze Menge Menschen, in der DDR unter dem Vorzeichen des Sozialismus ein "besseres" Deutschland aufbauen zu können als die Bundesrepublik: ohne die Last der nationalsozialistischen Vergangenheit, fortschrittlich, mit mehr sozialer Gerechtigkeit. So wie die liberalen Demokratien des Westens dafür sorgen, dass in der Bundesrepublik eine parlamentarische Demokratie entsteht, wird der deutsche Staat in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) nach dem Vorbild der Sowjetunion aufgebaut.
Russische Besatzer nicht automatisch Feindbild
Auch wenn die Menschen zum Ende des Zweiten Weltkriegs zum Teil traumatische Erfahrungen mit den vorrückenden russischen Soldaten gemacht hatten - wie umgekehrt vorher die Menschen in Russland mit Teilen der deutschen Wehrmacht: Als Besatzungsmacht wird die Sowjetunion von der Bevölkerung nicht zwingend negativ wahrgenommen. Helga Schulz etwa erinnert sich gerne an den Kontakt mit den Familien sowjetischer Soldaten in ihrer Heimatstadt Parchim: "Ich habe mit sowjetischen Kindern gespielt. Wir hatten ein gutes Verhältnis."
SED-Führung statt Gewaltenteilung
Während die Amerikaner und Briten versuchen, das politische Leben im Westen mit demokratischen Parteien von der Gemeinde über die Länder bis zur Bundesregierung von unten nach oben aufzubauen, organisiert die Sowjetische Militäradministration den Aufbau des Staates von oben nach unten. An die Spitze der Behörden werden Kommunisten gesetzt, von denen viele während des Nationalsozialismus in Moskau im Exil gelebt hatten. Statt Parteienvielfalt gibt es die "Einheitsfront" nur nominell unabhängiger Kräfte. Und statt Gewaltenteilung steht der Führungsanspruch der Staatspartei, die als nominell oberstes Verfassungsorgan wichtiger ist als die geschriebene Verfassung oder die Volkskammer.
Die SED träumt von der Einheit der deutschen Arbeiterklasse
Gegründet wird die Staatspartei der DDR, die SED, am 21. April 1946 im Berliner Admiralspalast - durch die Vereinigung von KPD und SPD in der SBZ. Die Sozialdemokraten im Westen hatten sich mit großer Mehrheit dagegen ausgesprochen. Im Osten aber zieht die Sowjetische Militäradministration die Fäden. Deshalb sprechen Historiker auch von der "Zwangsvereinigung". Die Worte auf dem Vereinigungsparteitag 1946 klingen allerdings anders: "Ein alter Traum ist Wirklichkeit geworden: Die Einheit der deutschen Arbeiterklasse", so der Ost-Berliner SPD-Vorsitzende Otto Grotewohl beim historischen Handschlag mit dem KPD-Vorsitzenden Wilhelm Pieck.
Kritiker kommen schnell "ab in den Knast"
In der Realität ist die Einheitspartei damals durchaus nicht der Traum der gesamten deutschen Arbeiterklasse, wie Helmut Schulz berichtet, der selbst Arbeiter war und aus einer Arbeiterfamilie stammt: "Wenn Sie wüssten, wie sie mich wegen der Partei immer wieder geknetet haben, und ich habe nein gesagt. Mein Vater hat mir gesagt: 'Geh nie in die Partei.' Ich habe das zum Leitbild genommen." Skeptisch macht Schulz damals auch der Umgang der SED mit Kritikern: "Die den Mund aufgerissen haben, die waren ruckzuck verschwunden, ab in den Knast. Ein Arbeitskollege sagte: 'Ich musste barfuß im Winter einen Graben schaufeln.'"
Entsprechend dem stalinistischen Vorgehen in der Sowjetunion wird auch in der DDR verfolgt, wer - tatsächlich oder vermeintlich - nicht ganz linientreu ist.
Überwachungsapparat kontrolliert auch die eigenen Bürger
Als "Schild und Schwert der Partei" wird im Februar 1950 das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) gegründet. Und es wird allmählich ein flächendeckender Überwachungsapparat auch für die eigenen Bürger aufgebaut. Auch Helga und Helmut Schulz wird bewusst, dass es besser ist, die SED nicht offen zu kritisieren. "Dass es hier so viele Mitarbeiter der Stasi gab: Die ersten Jahre hat man darüber gar nicht nachgedacht. Das kam erst so mit der Zeit."
SED-Funktionäre vom "demokratischen" Handeln überzeugt
Die SED-Funktionäre sind der Überzeugung, dass allein im Sozialismus die Interessen der Mehrheit der Menschen vertreten werden können. Überzeugt sind sie auch davon, dass sie mit ihren Entscheidungen tatsächlich auch die Interessen der Mehrheit vertreten - und insofern "demokratisch" handeln, auch wenn das mit unserem heutigen Demokratiebegriff nicht viel zu tun hat. Wie sie sich den Aufbau des Sozialismus vorstellt, zeigt die SED zum Beispiel in Mestlin nördlich von Parchim, wo sie in den 50er-Jahren eine Vorzeige-Siedlung im Sinne des Sozialismus errichten lässt.
Mestlin: Nicht repräsentativ, aber lebenswert
Wo ursprünglich nur ein kleines Dorf stand, lässt sie Straßen pflastern, Wohnungen bauen, ein riesiges Kulturzentrum errichten und Freizeitangebote organisieren. Und es gibt Arbeitsplätze für alle - unabhängig von Bedarf und Produktivität - zum Beispiel in der örtlichen LPG, der Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft.
Helmut und Helga Schulz ist allerdings bewusst, dass das, was sie im "Musterdorf" Mestlin erleben, nicht repräsentativ ist für die ganze DDR: "Wir wurden sehr oft von Delegationen besucht. Die kamen von Schwerin, die kamen von Parchim, und dann wurde noch mal alles besonders aufgeräumt und alles."
Niedrige Mieten und Arbeit für alle stimmen positiv
Gleichwohl steht das Ehepaar Schulz damals zur DDR. Dass die soziale Ungleichheit dort nicht so groß ist wie im Westen, habe sie als einen der entscheidenden Vorzüge wahrgenommen, so Helga Schulz. Große Lohnunterschiede etwa habe es nicht gegeben. Und auch wenn ihr Gehalt als Kindergärtnerin nicht hoch war, so habe es doch gereicht: "Die Mieten waren zum Beispiel sehr niedrig. Wir haben für unsere Zweieinhalb-Zimmer-Wohnung im Neubaublock 37 Mark bezahlt im Monat. Flurbeleuchtung und so, das ging auf Staatskosten." Nicht jeder habe so gut gewohnt wie die Mestliner in ihren Neubauten, aber an Wohnungslose könne sie sich nicht erinnern.
Ein weiterer Pluspunkt der DDR aus ihrer Sicht: Nach der Geburt ihrer Kinder kann sie bald wieder arbeiten gehen, für die Kinder gibt es eine gute Betreuung: "Meine Tochter war sechs Wochen, da kam sie in die Krippe. Und ich muss sagen, die Betreuung war ja nicht schlecht in der Krippe. Auch das Essen und so weiter, wir brauchten nicht mal Windeln mitbringen."
Bildung und Erziehung zur Verwirklichung des Sozialismus
Auch vom Bildungssystem der DDR ist Helga Schulz nach wie vor überzeugt, auch wenn sie sagt: "Natürlich wurde der sozialistische Gedanke immer in den Vordergrund gestellt." In der Tat wird Erziehung in der DDR ernst genommen. Dass der Sozialismus kommt, ist aus Sicht seiner politischen Träger eine historische Notwendigkeit. Und zur Verwirklichung muss - neben der Stabilisierung der "Herrschaft der Arbeiterklasse" durch die Partei und der Aufhebung des Privateigentums vor allem in Industrie und Landwirtschaft - das Bewusstsein der Menschen verändert werden. Auch durch Bildung und Erziehung.
Schattenseiten der DDR zeigen ihr Ende auf
Auch überzeugte DDR-Bürger wie Helga und Helmut Schulz spüren natürlich die herrschenden Einschränkungen, allem voran die fehlende Reisefreiheit. Aber man arrangiert sich. Mit der Zeit allerdings habe die Begeisterung für die DDR dann doch etwas nachgelassen, erzählen sie. Im Laufe der 60er-Jahre sei es nämlich auch in Mestlin mit den goldenen Jahren vorbei gewesen, erinnert sich Helmut Schulz: Immer wieder gibt es Engpässe bei der Versorgung. So wartet die Familie nicht nur acht, neun Jahre auf den eigenen Trabi, sondern sogar als Kfz-Mechaniker hat er schon Probleme, Sicherungen für Traktoren zu bekommen: "Hinterher kam schon der Gedanke: Das hält sich ja wohl nicht mehr lange, wenn man nicht mal eine Sicherung produzieren kann für die Landwirtschaft."