Wie das Nachrichtenmonopol der SED die DDR-Medien prägte
Die Nachrichtenagentur ADN bestimmte den Medien-Alltag in der DDR. Wie politische Inszenierungen im SED-Staat erfolgten, wurde im Dezember 1981 am Besuch von Bundeskanzler Helmut Schmidt in Güstrow besonders deutlich.
13. Dezember 1981: Bundeskanzler Helmut Schmidt zu Gast in Güstrow. Die Stadt wird komplett abgeriegelt, Stasi-Offiziere spielen Bürger. Der Staatsbesuch zeigte nicht nur, wie politische Inszenierungen im SED-Staat erfolgten, sondern auch, wie die Berichterstattung der Medien auszusehen hatte. Um hier die führende Rolle der Partei zu propagieren, nutzte die SED den Allgemeinen Deutsche Nachrichtendienst (ADN). Die zentrale Nachrichtenagentur bestimmte den Medien-Alltag in der DDR und verbreitete vorgefasste Pressemeldungen. Doch Helmut Schmidt änderte die Pläne der SED.
Treffen von Schmidt und Honecker: Ein "Arbeitsbesuch"
Es sollte ein "Arbeitsbesuch" werden. Im Dezember 1981 kamen Bundeskanzler Helmut Schmidt und DDR-Staatschef Erich Honecker zu einem deutsch-deutschen Gipfeltreffen zusammen. Die politische Lage war angespannt - die Entspannungspolitik der 1970er-Jahre wich in dieser Zeit einer Aufrüstung der Machtblöcke. Deshalb war der Symbolwert des Treffens hoch: Statt Konfrontation bemühten sich beide Seiten um Sachlichkeit und eine "deutsche Normalität". Wie die auszusehen hatte, wollte die SED allerdings selbst bestimmen.
Kein zweites Erfurt
Denn beim letzten Besuch eines Bundeskanzlers aus dem Feindesland erlebte die Partei spontane Begeisterung der DDR-Bürger. "Willy, Willy" riefen die Erfurter Bürger, als Willy Brandt 1970 die DDR besuchte und in Erfurt sein Hotelzimmer bezog. Zu Hunderten versammelten sie sich unter seinem Hotelfenster. So eine Peinlichkeit durfte nicht noch einmal passieren, entsprechend bereitete sich die SED auf den Schmidt-Besuch vor. Die Staatssicherheit übernahm hierfür das Zepter.
Geisterstadt Güstrow
Zum Höhepunkt des Staatsbesuches wurde Helmut Schmidt nach Güstrow eingeladen - die mecklenburgische Kleinstadt war einfach leichter zu überwachen. Die Staatssicherheit riegelte den Ort komplett ab, 35.000 Einsatzkräfte waren vor Ort, kritische Bürger wurden im Vorfeld eingeschüchtert, die Bewohner durften zwischen 9 und 18 Uhr die Fenster nicht öffnen. Güstrow glich einer Geisterstadt.
Die SED steuert die Medien über den ADN
Die SED kontrollierte aber nicht nur, was in Güstrow passierte, sondern auch, wie die Medien darüber zu berichten hatten - und die Hauptrolle spielte der ADN. Die zentrale Nachrichtenagentur der DDR, gegründet am 10. Oktober 1946, verstaatlicht am 2. April 1953, wurde der DDR-Regierung unterstellt und danach kontinuierlich zum zentralen Nachrichtenorgan der SED aufgebaut. Im Sinne der Partei filterten die ADN-Redakteure Informationen, zensierten sie und verbreiteten sie in Pressemeldungen und Fotos an alle Massenmedien der DDR, an Zeitungen, Radio- und Fernsehsender.
Nachrichtenmonopol der SED
Das Nachrichtenmonopol kannte zwei Richtungen: Einerseits belieferte der ADN ausländische Nachrichtenagenturen mit gefilterten und möglichst positiven Informationen über die DDR. Dies sollte dem Ringen der DDR um internationale Anerkennung dienen. Andererseits dominierte der ADN die außenpolitische Berichterstattung innerhalb der DDR, da er ausländische Agenturmeldungen erhielt und neben der SED-Zeitung "Neues Deutschland" die einzigen Auslandskorrespondenten beschäftigte.
Dabei war die Berichterstattung weder neutral noch ausgewogen: Als Handlungsmaxime galten laut ADN-Statut das Parteiprogramm der SED sowie die Beschlüsse des Zentralkomitees (ZK) der SED. Durch die wortgetreue Übernahme der SED-Verlautbarungen konnten viele Texte schon im Vorfeld verfasst werden. Die führende Rolle der Partei war unantastbar. Deshalb arbeitete hier nur ideologisch zuverlässiges Personal, im Parteiauftrag der SED. In diesem Sinne waren die ADN-Redakteure nicht nur Journalisten, sondern Parteifunktionäre.
Der ADN in Güstrow
Es waren auch ADN-Redakteure, die Helmut Schmidt und Erich Honecker über den Weihnachtsmarkt in Güstrow begleiteten. Sie sollten über die Ereignisse "berichten". Doch auch hier wurden die Meldungen schon Tage vorher verfasst. Lediglich einzelne Passagen wurden für Äußerungen der Menschen vor Ort frei gelassen. Doch selbst diese sowie der Jubel für Erich Honecker standen schon vorher fest und waren bis ins Detail einstudiert.
Der verschneite Weihnachtsmarkt bot die Kulisse für eine Inszenierung, dessen Drehbuch jeder kannte, nur nicht der Staatsgast Helmut Schmidt. Anstelle von Familien mit Kindern sah er hauptsächlich junge Männer, es waren Stasi-Offiziere oder systemtreue Parteimitglieder. Schon Tage vorher taten SED-Parteischüler so, als wären sie Bürger der Stadt, um westdeutschen Journalisten die richtigen Antworten auf kritische Fragen geben zu können.
Das Mediensystem der DDR
Im Gegensatz zu den bundesdeutschen Medien waren die DDR-Medien Teil des Herrschaftssystems der SED. Die Presse galt nach Lenins Pressetheorie als "schärfste Waffe der Partei" und sollte als "Presse neuen Typs" das sozialistische Bewusstsein der Bürger festigen. Die größten Regionalzeitungen nannten sich sogar "Organe" der SED oder der Blockparteien. Die Redakteure in Bezirken und Kreisen wurden zusätzlich von den jeweiligen SED-Parteileitungen instruiert. Hörfunk und Fernsehen waren staatlich organisiert, angeleitet und kontrolliert vom ZK der SED.
Diese doppelte Kontrolle gab es auch beim ADN: Offiziell war er dem Presseamt beim Vorsitzenden des Ministerrats, der DDR-Regierung, unterstellt und erhielt dort seine Weisungen - manche ADN-Nachrichten wurden dort sogar verfasst. Daneben sorgte der Sekretär für Agitation und Propaganda im ZK der SED für die Durchsetzung der Parteilinie in allen Massenmedien. Hinzu kam die Schere im Kopf - die meisten Journalisten waren SED-Mitglieder und kannten die Parteilinie. Wer etwas anderes schreiben wollte, verlor seinen Job.
Der ADN übernahm für sämtliche Zeitungen sowie Radio- und Fernsehsender die publizistische Leitfunktion, vom kleinsten Provinzblatt bis zu den Hauptnachrichten der "Aktuellen Kamera". Über die dort vermeldeten Inhalte des ADN steuerte die Partei, was die DDR-Bürger alltäglich lasen und sahen. Denn in der Regel wurden die Agenturmeldungen einfach übernommen.
Medien-Alltag in der DDR
Eintönigkeit dominierte den Medien-Alltag in der DDR. Die Berichterstatter zeigten immer öfter ein verzerrtes Bild vom tatsächlichen Leben der Menschen. Damit gingen Vertrauensverlust und schwindende Akzeptanz einher, die unter anderem zum Aufbegehren und schließlich zur Friedlichen Revolution 1989 führten. So haben die Presseanweisungen der SED unfreiwillig zum Scheitern ihres eigenen Herrschaftssystems beigetragen.
Auch in Güstrow lief für die SED nicht alles nach Plan: Am Morgen des 13. Dezember 1981 verhängte der polnische Ministerpräsident Wojciech Jaruzelski das Kriegsrecht gegen die Oppositionsbewegung und die Gewerkschaft Solidarność. Helmut Schmidt hätte den Staatsbesuch fast abgebrochen, blieb aber. Zum Abschluss sollte er den Dom besichtigen und hier auf der Orgel spielen. Doch wegen der politischen Lage im Nachbarland verzichtete er darauf, selbst zu spielen. Die vorgefasste ADN-Meldung über den Schmidt-Besuch musste also doch noch umgeschrieben werden.