Erst gefördert, dann bekämpft: Die Beatbewegung in der DDR
Nach dem Welterfolg der Beatles im Westen wächst auch der DDR die Beatbewegung - anfangs durchaus toleriert von der FDJ. Doch als sich eine echte jugendliche Opposition bildet, wird sie niedergeschlagen.
Kaum haben die Beatles von Hamburg aus die westliche Welt erobert, schießen auch in der DDR Beatgruppen aus dem Boden. Mit dem Jugendkommuniqué von 1963 hatte die SED den Eindruck vermittelt, dass Aufbruch und Veränderung im Rahmen des Sozialismus möglich sind. Trotz der Skepsis Konservativer geht das Jugendradio "DT64" auf Sendung.
"Das war unsere Jugend, mit allem Für und Wider", sagt Reinhard Möller im NDR Info Podcast "Deine Geschichte - unsere Geschichte". Als Jugendlicher in Rostock in den 60er-Jahren hat er die Beat- und Rockmusik für sich entdeckt - und er unterschreibt seine E-Mails noch heute mit dem Gruß "Keep on Rocking". Er kennt die Repressionen, mit denen die DDR-Führung ihre politische Linie durchsetzte, aber er hat auch die Erinnerungen an ein angenehmes Leben, das er als Musiker in der DDR führen konnte.
SED beschließt 1963 weniger Gängelei
Nach Mauerbau und Kubakrise hatte sich die politische Lage in Deutschland etwas entspannt. Die Großmächte führten Abrüstungsgespräche. Ost und West begannen, sich im Kalten Krieg einzurichten. Um endlich auch eine wirtschaftliche Stabilisierung zu erreichen, verkündet der Staatsratsvorsitzende Walter Ulbricht beim 6. Parteitag der SED im Januar 1963 neue wirtschaftliche Leitlinien mit flacheren Hierarchien, mehr Mitbestimmung und Investitionen in die Wissenschaft. Parallel dazu eröffnen sich in den nächsten beiden Jahren auch größere Spielräume für Kultur- und Gesellschaftspolitik. Ein Jugendkommuniqué der Partei aus dem Herbst 1963 wird unter die Überschrift "Der Jugend mehr Vertrauen und Verantwortung" gestellt.
Gegen Beat hat der Lipsi keine Chance
Die Jugend nutzt die Spielräume. Sie tanzt Twist und gründet Beatgruppen. Den Lipsi-Tanz, der 1959 als sozialistisches "Gegengift" zu den neuen, rockigen Rhythmen aus dem Westen entwickelt wurde, lässt sie links liegen. Wie im Westen spielen die Beatles eine wichtige Rolle bei der Emanzipation der Jugend und ihres Musikgeschmacks, erinnert sich Reinhard Möller: "Das war schon Musik, die uns sehr nah kam."
DDR-Jugendradio "DT64" bietet West-Sendern Paroli
Dass die neue Musik aus dem Westen "rüberschwappt", wie Möller es rückblickend ausdrückt, lässt sich nicht verhindern: Die Jugendlichen hören westliche Radiosender, wenn sie im DDR-Rundfunk nichts nach ihrem Geschmack finden. Auch deshalb richtet die SED zum Deutschlandtreffen der Jugend an Pfingsten 1964 ein "Sonderstudio DT64" ein, das Musik spielt, die die Jugend mag - und erlaubt, dass daraus das erste deutsche Jugendradio wird. "DT64" etabliert sich und kann den West-Sendern mit guter Musik, Live-Moderationen und guten Reportagen Paroli bieten. Aber natürlich wird auch darauf geachtet, dass alles auf Parteilinie bleibt, wie sich "DT64"-Redakteur Lutz Deckwerth nach der Wende erinnert: "Es waren nur ausgesuchte Leute, die moderieren durften. Beiträge wurden von drei, vier Leuten abgezeichnet."
Geld und Ideologie: Anteil der West-Titel streng quotiert
Für Reinhard Möller und seine Bands ist der Sender damals eine große Chance. "Wir haben dann ab und zu einen Publikumspreis gekriegt und wurden eingeladen zu Produktionen in diese Studios, die völlig ausländischen Standards entsprachen." Dabei dürfen sie ebenso wie bei ihren Live-Auftritten auch Titel aus dem Westen spielen - allerdings streng quotiert: "Du durftest 40/60 spielen. 40 Prozent West-Titel, 60 Prozent DDR-Titel." Die Gründe dahinter sind ideologischer Natur - aber auch finanzieller: Für die West-Titel musste die DDR Lizenz-Gebühren zahlen, und das Geld war nur in beschränktem Umfang vorhanden. Reinhard Möller erzählt, dass er viele DDR-Titel allerdings auch gerne gespielt habe.
Ulbricht: "Schluss machen mit 'Yeah, Yeah, Yeah'-Monotonie"
Doch bevor die DDR-Führung versteht, dass sie die DDR-Jugend nicht völlig von den Entwicklungen im Westen abschotten kann, gibt es Mitte der 60er-Jahre einen Rückschlag. In Moskau rückt Leonid Breschnew im Oktober 1964 an die Spitze der KPdSU - und der hält im Unterschied zu seinem Vorgänger Chruschtschow wenig von gesellschaftlichen Experimenten. Und was viele Herren in der SED-Führung von den Entwicklungen in der Jugendkultur halten, fasst Walter Ulbricht in dem viel zitierten Satz zusammen: "Ich denke, Genossen, mit der Monotonie des 'Yeah, Yeah, Yeah', und wie das alles heißt, sollte man doch Schluss machen."
SED verbietet 1965 Beat und Anglizismen
Die Randale bei Konzerten der Rolling Stones während deren Tournee in Westdeutschland 1965 lässt bei der SED-Führung die Befürchtung wachsen, dass womöglich auch in der DDR etwas aus dem Ruder laufen könnte. Im Oktober 1965 wird daher ein Beschluss der gefasst, der Beatmusik in Radio und Fernsehen verbietet, englische Namen für Bands untersagt und Beatgruppen die Lizenz entzieht.
Leipziger Beat-Demo mit Wasserwerfern niedergeschlagen
In Leipzig trifft der Beschluss nicht nur Profis, sondern der Rat der Stadt verbietet auch rund 50 Amateur-Bands. Zwei Jugendliche rufen daraufhin mit Flugblättern für den 31. Oktober zu einer Protest-Demonstration auf. Hunderte Beat-Fans versammeln sich in der Leipziger Innenstadt - und noch mehr FDJ-Funktionäre, Stasi-Leute und Schaulustige. Es ist die größte nicht genehmigte Demonstration in der DDR seit dem 17. Juni 1953. Ein vergleichbarer Widerstand organisiert sich erst wieder in der Vorwende-Zeit. Doch der Leipziger Beat-Aufstand wird von der Bereitschaftspolizei mit Wasserwerfern, Schlagstöcken und Hunden aufgelöst. Viele der jugendlichen Demonstranten werden festgenommen, viele werden zu mehreren Wochen Arbeit im Braunkohletagebau verurteilt.
Band-Dasein zwischen Repressionen und Narrenfreiheit
Reinhard Möller erlebt in der Folgezeit immer wieder den Wechsel von Phasen größerer Freiheit mit Phasen größerer Repression. Sein Geiger etwa landet im Gefängnis, weil er im Westen Informationen zur Umweltverschmutzung in der DDR veröffentlicht, die das Regime geheim halten wollte. Möllers Band darf im Unterschied zu anderen keine Tournee im Westen machen, weil er selbst als IT-Fachkraft gearbeitet hatte. Auf der anderen Seite sagt er, hätten sie als Musiker oft auch relative Narrenfreiheit gehabt: "Wie ein Hofnarr, der durfte vieles sagen. Wir waren die Hofnarren."
Versteckte Kritik in Form von Poesie
Möller wurde nie Mitglied der SED, aber er arrangierte sich mit den Verhältnissen. Er hat die Politik weitgehend rausgelassen aus seinen Songs. Jeder, sagt er, musste für sich selbst ausloten, wie weit er gehen konnte. Auch die im Westen bekannten Bands wie die Puhdys, City oder Karat. Und, dass oft auch politische Anspielungen in Zeilen steckten, die klangen wie reine Poesie - zum Beispiel in dem Song "Nach Süden, nach Süden" seiner Lieblingsband Lift. Die DDR-Bürger, sagt Möller, wussten das zu lesen. Und: "Vielleicht muss man auch DDR-Bürger gewesen sein, um das zu verstehen."