Halbmaschinelle Ernte in der Obstplantage der VEG Waßmannsdorf im Kreis Königs Wusterhausen in Brandenburg in der DDR im September 1964. © picture-alliance / dpa

"Kollektiv statt Ausbeutung": Die Verheißung der Planwirtschaft

Stand: 23.06.2021 05:00 Uhr

Als die DDR ihre sozialistische Planwirtschaft aufbaut, wird Produktionsmittel-Privateigentum abgeschafft, angefangen mit der sowjetisch angeordneten Bodenreform. Versprochen wird soziale Gerechtigkeit, doch die Versorgung wird zur Herausforderung.

von Ulrike Bosse, NDR Info

Manchmal scheint es, als bewege sich die Geschichte im Kreis. Die Familie von Christian-Matthias Schröder wird Ende der 40er-Jahre im Rahmen der Bodenreform in der Sowjetischen Besatzungszone enteignet - heute bewirtschaftet sie das Familiengut in Lischow in Mecklenburg-Vorpommern wieder.

Kommunisten sehen Enteignungen als historisch notwendig

"Junker-Land in Bauernhand" ist damals das Schlagwort für die erste große wirtschaftliche und gesellschaftliche Umwälzung in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ). Ehemalige führende Nationalsozialisten, aber auch politisch nicht belastete Großbauern mit einem Besitz über 100 Hektar werden enteignet. Ebenso folgt die Enteignung von Großbetrieben und Konzernen.

Das Landgut Lischow. © NDR Foto: Katharina Kaufmann
AUDIO: Die 50er: Kollektiv statt Ausbeutung (5/12) (28 Min)

 

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Werbeplakat für die Bodenreform in der Sowjetischen Besatzungszone mit der Aufschrift "Junkerland gehört in Bauernhand". © Ernst-Jürgen Walberg; Thomas Balzer: Erinnerungen für die Zukunft: Geschichten und Geschichte aus dem Norden der DDR, hrsg. vom Norddeutschen Rundfunk/Deutsches Historisches Museum Berlin

Die Enteignung der Gutsbesitzer nach 1945

Mit der Bodenreform in der Sowjetischen Besatzungszone wurden Tausende Gutsbesitzer enteignet. Betroffene erinnern sich. mehr

Die Kommunisten begründen die Enteignungen als historisch notwendig und politisch unumgänglich, so Walter Ulbricht Anfang 1946: "Es muss gesichert werden, dass die Träger des Militarismus, die Großgrundbesitzer, nicht weiter in Deutschland kommandieren." Und Wilhelm Pieck, der spätere und einzige jemals amtierende Präsident der DDR, formuliert mit sozialistischem Impetus : "Den feudaljunkerlichen Großgrundbesitzern wird der Boden, den sie ehemals den Bauern raubten, abgenommen und den Bauern zurückgegeben."

Umverteilung und Verstaatlichung für den sozialen Ausgleich

Das Landgut Lischow in den 1950er-Jahren. © privat
Das Gut der Familie Schröder wurde während der Enteignungen zum volkseigenen Besitz der DDR.

Die großen Agrarbetriebe werden verstaatlicht und - wie der Pflanzenzuchtbetrieb der mittlerweile in den Westen geflüchteten Familie Schröder - in Volkseigene Güter umgewandelt. Oder das Land wird umverteilt: Mehr als drei Millionen Hektar Land werden neu vergeben, an etwa eine halbe Million Menschen.

Ein Ziel der Bodenreform ist es, Flüchtlinge und Vertriebene zu versorgen. Aber ebenso soll ein sozialer Ausgleich geschaffen werden: Bisherige Landarbeiter und landlose Bauern bekommen eigenes Land - meist fünf bis zehn Hektar. Der ehemalige Landarbeiter Emil Ferdinand ist damals einer von ihnen - er erzählt davon im Radio der DDR: "Ich bin Landarbeiter gewesen und habe auch die Junker gut kennengelernt. Mein schönstes Leben begann erst, als ich aus Gefangenschaft kam und eine kleine Wirtschaft von neun Hektar durch die Bodenreform übernahm. Da fing ich erst an, als Mensch richtig zu leben."

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LPG: Vom Kleinbauern zum Agrargenossen der DDR

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Kleinbauern sollen in LPGs effektiver wirtschaften

Durch die Aufteilung von Bodenreform-Land an - oft unerfahrene - Neubauern entstehen viele kleine Höfe, die nicht rentabel wirtschaften und nicht in der Lage sind, genügend Lebensmittel für die Versorgung der DDR-Bevölkerung zu produzieren. Im Sommer 1952 beschließt die SED daher, Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaften zuzulassen - die LPGs. Dort können auch Landmaschinen eingesetzt werden, die für die kleinen Bauern einzeln nicht erschwinglich sind. Allerdings zögern viele Bauern, sich den LPGs anzuschließen. So wird die Kollektivierung in der Landwirtschaft in mehreren Schritten durchgeführt - und 1960 schließlich mit Zwang abgeschlossen.

Der Staat soll die schwierige Alltagsversorgung lenken

Christian Matthias Schröder mit seiner Mutter 1943. © privat
Nach der Enteignung sah die Familie Schröder keine Chance, wieder in den Osten zurückzukehren.

Für enteignete Gutsbesitzer wie die Familie Schröder aus Lischow gibt es quasi keine Chance, zurückzukehren. Christian-Matthias Schröder erinnert sich allerdings daran, dass seine Mutter jeden Abend für eine Rückkehr betete. Und sein Vater habe ihn noch auf dem Totenbett 1981 gebeten: "Bitte guck du nach Lischow", erzählt Schröder heute.

Die Kollektivierung in der Landwirtschaft ist Teil des "planmäßigen Aufbaus des Sozialismus", den Walther Ulbricht im Sommer 1952 verkündet. Dazu gehört ebenso die Enteignung und Verstaatlichung der Industriebetriebe. Und dazu gehört die Organisation der Wirtschaft mit einer zentralen, staatlich gelenkten Planung und die Konzentration auf den Ausbau der Schwerindustrie entsprechend dem Vorbild der Sowjetunion. Das bedeutet allerdings, dass die Konsumgüter - und damit all das, was die Menschen sich wünschen - hintenanstehen muss. Im Herbst 1952 ist aber schon die Versorgung mit Lebensmitteln ein Problem.

Anhebung der Arbeitsnorm: SED beschließt 1953 Mehrarbeit

Die Ausgangsbedingungen für die DDR-Wirtschaft sind ohnehin schwierig: Sie leidet darunter, dass die Sowjetunion im Rahmen der von den Alliierten beschlossenen Reparationsleistungen viele Betriebe demontiert hat. Andere werden als "SAG" als "Sowjetische Aktiengesellschaften" geführt und sind dadurch dem deutschen Zugriff entzogen. Dazu kommt, dass das industrielle Zentrum mit der damals so wichtigen Kohle- und Stahlproduktion im Westen Deutschlands liegt. Im Frühjahr 1953 hat sich die Lage so zugespitzt, dass die DDR-Führung drastische Maßnahmen verhängt - unter anderem wird am 14. Mai 1953 eine Anhebung der Arbeitsnormen um 10 Prozent verkündet.

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Druck der SED führt zum Volksaufstand

Hinweise auf die Unzufriedenheit in der Arbeiterschaft nimmt die SED-Führung nicht ernst. Erst auf Druck aus Moskau, wo nach dem Tod Stalins ein neuer Kurs gilt, reagiert sie: Die Kollektivierung der Landwirtschaft wird verlangsamt, Preiserhöhungen werden rückgängig gemacht. Am 16. Juni wird schließlich auch die Erhöhung der Arbeitsnormen zurückgenommen - aber es ist zu spät: In Ostberlin legen Bauarbeiter die Arbeit nieder und ziehen in einem Protestzug zum Sitz der Regierung. Am 17. Juni kommt es überall in der DDR zu Streiks, Demonstrationen und Protestaktionen. Die Menschen fordern nicht nur die Rücknahme der Arbeitsnormen, sondern den Rücktritt der SED-Regierung, freie Wahlen, den Abzug der Sowjet-Truppen, die Wiedervereinigung.

Die Sowjetische Besatzungsmacht und die DDR-Führung reagieren mit aller Härte. Die Sowjets rufen den Ausnahmezustand aus, die Panzer rollen, es wird scharf geschossen - der Aufstand wird blutig niedergeschlagen, Beteiligte werden standrechtlich erschossen. Und die SED-Führung strickt die Legende, dass es sich um einen vom Westen inszenierten "konterrevolutionären Putsch" gehandelt habe.

Auch Schröders gedenken am "Tag der deutschen Einheit"

Christian Matthias Schröder im Spiegelbild zwischen Bildern der Ahnengalerie im Speisesaal des Landguts Lischow © NDR Foto: Katharina Kaufmann
Als Symbol für den Freiheitswillen begeht auch Familie Schröder den 17. Juni als Gedenktag - Christian-Matthias Schröder spiegelt sich hier zwischen Bildern seiner Vorfahren.

Im Westen wird der 17. Juni zum Symbol für den Freiheitswillen der DDR-Bevölkerung. In der Bundesrepublik wird er ab 1954 als "Tag der Deutschen Einheit" als Feiertag begangen - auch von Familie Schröder. Mit der Wiedervereinigung 1990 erhält der 17. Juni des Status eines Gedenktages.

Christian-Matthias Schröder lässt die Familientradition auch im Westen nicht los. Er studiert Landwirtschaft, arbeitet am Max-Planck-Institut für Kulturpflanzenforschung und Züchtung und baut sich einen landwirtschaftlichen Betrieb mit Pferdezucht auf der Schwäbischen Alb auf.

Zähe Treuhand-Verhandlungen vor der Rückkehr nach Lischow

Christian Matthias Schröder auf dem Landgut Lischow. © NDR Foto: Katharina Kaufmann
Viel steht auf dem Spielt, als Schröder sich entschließt, nach Lischow zurückzukehren, wie er sich heute erinnert.

Lischow aber lässt ihn nie los - und als die Wende kommt, setzt er alle Hebel in Bewegung, um auf das alte Familiengut zurückzukehren - um das Versprechen einzulösen, das er seinem Vater gegeben hat. Da das Bodenreform-Land entsprechend dem Einigungsvertrag zwischen der DDR und der Bundesrepublik nicht an die Alteigentümer zurückgegeben wird, muss er lange und zäh mit der Treuhand verhandeln, um es zuerst einmal pachten zu können.

"Ich bin hier geboren und hierher will ich zurück"

Das Landgut Lischow. © NDR Foto: Katharina Kaufmann
Nach zähen Kämpfen ist das Landgut in Lischow nun wieder im Familienbesitz der Schröders.

Am 22. Juni 1990 kehrt er zurück - durchaus mit bangem Empfinden, wie der sich erinnert: "Ein ganz ängstliches Gefühl. Ich hatte einen Betrieb auf der Schwäbischen Alb. Einen gut gehenden Betrieb zurücklassen, hierher gehen und von null anfangen. Da habe ich Angst davor gehabt, ob wir das schaffen." Aber er sei in Lischow gut empfangen worden, erzählt er. So kam eine ältere Dame aus dem Dorf auf ihn zu und erzählte, dass sie ihn für die Taufe fertig gemacht habe.

Denjenigen, mit denen er habe kämpfen müssen, hielt er entgegen: "Ich bin hier geboren und hierher will ich zurück. Und ich will das Recht haben, wieder hierher zu gehen." Lange fürchtet er, die Treuhand werde das Gut vielleicht an einen Industriellen verkaufen, erinnert er sich. Schließlich kann er es selbst zurückkaufen - auch wenn die Familie noch lange brauchen werde, bis es abbezahlt ist. Aber seine beiden Söhne leben jetzt mit ihren Kindern auf dem Gut und führen den Betrieb fort.

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