Gehöft in der Mecklenburger Landschaft 1990 © dpa Foto: Hans-Jürgen Wiedl

Ackerland: Der größte Irrtum der DDR-Bilanz

Stand: 28.07.2020 09:00 Uhr

Äcker und Wälder gehören zum DDR Volkseigentum. Das ändere sich mit der Marktwirtschaft. Flächen, die zum Verkauf stehen, haben heute einen Marktpreis von fast einer Milliarde Euro.

von Michael Schönherr

Das heutige Mecklenburg-Vorpommern ist vor 1990 Agrarland: Nirgendwo im Osten gibt es mehr Ackerfläche, nirgendwo sind nach der Einheit mehr Bauern vom Umbau der Landwirtschaft betroffen. Ursprünglich sollen kleinteilige Strukturen wie im Westen entstehen. Doch den Ost-Bauern, sogenannten Wiedereinrichtern, fehlt das Kapital. Die meisten Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften (LPGs) werden Agrargenossenschaften. Die Großstrukturen bleiben. 

Treuhand-Tochter BVVG übernimmt Verkauf

Landwirt Franz Joachim Bienstein sitzt vor einem Traktor.
Franz Joachim Bienstein kommt nach 1990 als Landwirt aus Niedersachsen in den Osten.

Fast 30 Prozent der Ackerfläche geht an die Treuhand. Laut Einigungsvertrag darf nur der Bund die Flächen vermarkten. Das übernimmt 1992 die Treuhand-Tochter BVVG. In dieser Zeit kostet ein Hektar im Schnitt gut 2.000 Euro. Landwirt Franz Joachim Bienstein kommt aus Niedersachsen und kauft einen Bauernhof in Martensdorf bei Wismar: "Wir hatten das Glück, hier als Westdeutsche mit einem gewissen Startkapital anfangen zu können. Diesen Vorteil hatten viele ostdeutsche Berufskollegen nicht", sagt Bienstein im Rückblick.

Bauern protestieren gegen BVVG

Bauernproteste gegen die Arbeit der Treuhand-Tochter BVVG.
Viele Ost-Landwirte fühlen sich damals von der Treuhand-Tochter BVVG betrogen und gehen auf die Straße.

Viele Landwirte im Osten fühlen sich damals betrogen. Sie fürchten einen Ausverkauf des DDR-Vermögens und demonstrieren. In Berichten über die Bauern-Proteste Anfang der 90er-Jahre ist die Stimmung aufgeheizt. Die Landwirte werfen der Treuhand-Tochter vor zu lügen. "Hier geht es um die Ehre und das letzte bisschen Stolz, das die Bauern der ehemaligen DDR hier noch haben", fasst einer die Situation zusammen. Zum Zuge kommt am Ende, wer am meisten zahlt und wer schon viele Flächen besitzt. Das sind eher westdeutsche Bauern und große LPG-Nachfolgebetriebe, die bei Höchstgeboten mithalten können.

Was war die DDR-Wirtschaft wert?

Der Wirtschaftshistoriker Matthias Judt forscht seit Jahren in den Akten der DDR und der Treuhandanstalt. Sie liefern Statistiken und Daten, die Hinweise auf den wahren Wert der DDR liefern - so auch eine Aufstellung des Volksvermögens der DDR aus dem Jahr 1989. Darin gebe es eine Bilanzsumme von über 1,4 Billionen Mark der DDR und eine Vermögensbilanz von über 920 Milliarden Mark der DDR: "Dann entsteht natürlich der Eindruck, das ist eine Menge Geld, das da drin steckt und es ist sehr viel wert", meint der Experte. Doch der Schein trügt. Die Mark der DDR ist nicht so hart wie die D-Mark - trotz der Währungsunion mit 1:1-Umstellung im Juli 1990. Außerdem sind Maschinen und Gebäude oft veraltet und überbewertet.

Marx und der Wert des Bodens

Wirtschaftsexperte Matthias Judt im Interview
Grund und Boden spielten keine Rolle in der Vermögensbilanz der DDR, sagt Wirtschaftshistoriker Matthias Judt.

Mit Ackerland aber kann die neue Marktwirtschaft einiges anfangen. Denn das Land ist eine Wertanlage an sich - anders als in der Vermögensbilanz der DDR. Darin spielten Grund und Boden gar keine Rolle: "Karl Marx hat gesagt, etwas sei nur Wert als Gegenwert der Arbeit, die da hineingesteckt worden ist", erklärt Wirtschaftshistoriker Judt. Das sei bei Boden nicht der Fall gewesen, deshalb habe der eben keinen Wert. Ein kapitaler Fehler, denn mit der D-Mark bekommt der Boden einen Wert. Und der steigt.

Ackerland heute immer teurer

Beim Verkauf aber werden bestehende Pächter, vor allem frühere LPGs, bevorzugt. Viele Bauern bieten vergeblich mit. "Das war quasi von vorn herein aussichtslos. Weil schnell klar war, dass die Treuhand ihre Aufgabe eher darin gesehen hat, großen Industriestrukturen Flächen bereitzustellen und zu sichern", meint Landwirt Bienstein heute. Die Bauern hätten die Flächen dann aus privater Hand gekauft. Sein Hof hat 300 Hektar und wird wohl nicht weiter wachsen. Die Konkurrenz aus Hedgefonds oder Konzernen, die sich neue Geschäftsfelder erschließen und hohe Summen auf Ackerland bieten, ist zu stark. Im Umkreis seines Hofes hätten sich beispielsweise die Tabak- und Chemie-Industrie und die Müllentsorgungsbranche im großen Stil eingekauft, erzählt Bienstein.

Land will letzte Flächen kaufen

Das Land, das in der DDR keinen Wert hatte, wird heute immer teurer: Ein Hektar in Mecklenburg-Vorpommern kostet im Schnitt mehr als 20.000 Euro. Höchstgebote an die Treuhand-Tochter BVVG liegen sogar bei 40.000 Euro. Die Erlöse fließen in den Bundeshaushalt. Heute will das Land Mecklenburg-Vorpommern die übrigen Flächen von der BVVG übernehmen und so Spekulationen eindämmen. Eine Einigung steht noch aus. Denn allein diese letzten Agrarflächen der DDR wären in Marktpreisen fast eine Milliarde Euro wert.

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Nordmagazin | 21.06.2020 | 19:30 Uhr

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