Bodenreform in Mecklenburg 1945: Alles auf Anfang
In der Sowjetischen Zone beginnt nach dem Kriegsende eine Bodenreform. Im Kreis Güstrow übernimmt Bernhard Quandt die Aufgabe, das Land zu enteignen und neu zu verteilen. Am 27. September 1945 geht es los.
"Wir rufen alle auf, zu helfen, dass aus dem junkerlichen Mecklenburg-Vorpommern ein Land der Demokratie, ein Mecklenburg-Vorpommern freier Bauern wird, wo die Bauern und nicht mehr die Junker die Nutznießer des Bodens sind." So liest man auf zahllosen Flugblättern im Herbst 1945 in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ), die für die geplante Bodenreform werben. Die Reform sieht vor, sämtliche Landwirtschaftsbetriebe über 100 Hektar sowie alle Betriebe von Nazis und Kriegsverbrechern entschädigungslos zu enteignen. Der frei werdende Grundbesitz soll zunächst einem Bodenfonds übertragen werden, der das Land in Flächen von fünf bis zehn Hektar aufteilt und an Neubauern vergibt. Anwärter hierfür gibt es genug: Zahllose Flüchtlinge, Vertriebene und Umsiedler strömen 1945 nach Mecklenburg.
Bodenreform auch ein politisches Signal
Die Bodenreform soll jedoch nicht nur den Mittellosen helfen, sondern auch ein deutliches Signal sein: Die politische Elite auf dem Land, die vielfach das Hitler-Regime unterstützt hatte, soll vollständig entmachtet werden. Bei den großen Betrieben mit mehr als 100 Hektar spielt jedoch das politische Verhalten keine Rolle. So trifft alle Großgrundbesitzer dasselbe Schicksal. Enteignet werden neben Anhängern des Nazi-Regimes auch deren Gegner. Enteignet werden Gutsbesitzer, die ihre Mitarbeiter ausgebeutet, aber auch solche, die faire Arbeitsbedingungen geschaffen hatten.
"Das kann nur der Bernhard Quandt"
Als Vater der Bodenreform in Mecklenburg gilt der Kommunist Bernhard Quandt. Aufgewachsen ist er in Gielow bei Malchin, unter dem Gutsherren Graf von Hahn. Dessen Verhalten gegenüber den Landarbeitern hat Quandts Entschlossenheit bei der Durchführung der Bodenreform geprägt. "Wenn ich die Bodenreform durchführe, der ich inmitten der Grafen von Hahn und so weiter groß geworden bin, das Elend gesehen habe, dann muss der Tag so durchgeführt werden, dass man in 100 Jahren noch davon spricht", sagt er im Herbst 1945.
Nach jahrelanger Haft in den Konzentrationslagern von Sachsenhausen und Dachau zieht er nach Kriegsende in die Kleinstadt Güstrow. Dort wird er Erster Kreissekretär der KPD. Kurz darauf wird ihm der Posten des Landrats angeboten - und damit die Aufgabe, die Bodenreform im Kreis Güstrow zu organisieren. "Das kann eben nur ein Kommunist. Das kann nur der Bernhard Quandt", bekommt er von allen Seiten zu hören. Bernhard Quandt nimmt den Posten an.
164 Güter betroffen
In Mecklenburg ist Güstrow der Kreis mit den meisten Gutsbesitzern. 164 Güter muss Bernhard Quandt nun aufteilen. Doch zunächst muss er sich gegenüber seinen neuen Kollegen durchsetzen. Im Landratsamt ist er der einzige Kommunist. "Die aktiven Faschisten waren natürlich raus, aber viele Mitläufer und die ideologisch Belasteten, die waren natürlich alle noch drin", erinnert er sich später. Die Zeit eilt. Im nahe gelegenen Wismar ist die Landaufteilung schon weiter fortgeschritten. Doch dort hat es auch keine ordentliche Landvermessung gegeben, sind die Pflöcke übereilt eingeschlagen worden. Bernhard Quandt will es gründlicher, demokratischer: Er beauftragt professionelle Landvermesser und setzt durch, dass die Landarbeiter selbst die Bodenkommissionen wählen, die für die Zuteilung des Landes zuständig sind.
Diebstahl? Quandt überzeugt katholische Kritiker
In Mecklenburg beginnt die Bodenreform am 27. September 1945. An diesem Tag fährt Bernhard Quandt nach Bredentin - gemeinsam mit vier Pastoren. Er hat davon gehört, dass die katholischen Umsiedler aus Oberschlesien sich weigern, Bodenreform-Land zu bewirtschaften. Sie sehen in der Bodenreform einen Diebstahl und damit einen Verstoß gegen das siebte Gebot. Den Gläubigen sagt Quandt: "Von selber fällt nichts vom Himmel - kein demokratisches Dorf. Der Herrgott will uns dabei helfen, beim siebten Gebot 'Du sollst nicht stehlen'. Wir können nachweisen, dass die Gutsbesitzer seit Hunderten von Jahren den Landarbeitern die Butter vom Brot stehlen." Mithilfe der Pastoren kann Bernhard Quandt die Menschen überzeugen. Die Parzellen werden ausgemessen und verteilt, die Neubauern ziehen Lose und nehmen ihr Stück Land in Besitz. In zahlreichen Dörfern herrscht Volksfeststimmung.
Dem einstigen Schlossherren die Ehre
Mancherorts bestehen die alten Machtstrukturen weiterhin fort. Immer wieder erzählt Bernhard Quandt von einem Jägermeister in Vietgest. Dieser habe noch 1946, wenn er in die Nähe des dortigen Schlosses gekommen sei, jedes Mal seine Mütze abgenommen, um dem Schlossherrn seine Ehre zu erweisen. Dabei war dieser schon ein Jahr lang enteignet, stand das Schloss längst leer.
Widerstand gegen arbeitsscheue Gutsbesitzer
Gutbesitzer "leben nur von dem, was die Landarbeiter schaffen. Sie selber tun nichts!" - dies ist und bleibt Bernhard Quandts Überzeugung, dies sieht er immer wieder bestätigt. Auch, als drei Tage nach der Bodenreform Landarbeiter aus Tellow vor seiner Tür stehen und ihn bitten, auch ihrem einstigen Pächter, dem Gutsbesitzer Albert, ein paar Hektar Land zu geben. Offiziell verwehrt dies die Bodenreform: Die Gutsbesitzer müssen mindestens 30 Kilometer von ihrem einstigen Gut entfernt leben und arbeiten. Bernhard Quandt ist skeptisch, willigt jedoch ein und stellt für den ehemaligen Gutsbesitzer eine Bodenreform-Urkunde über sieben Hektar Land aus. Wenige Tage später erfährt er, dass Albert noch keine Stunde gearbeitet hat. Bernhard Quandt fährt nach Tellow. Die Neubauern arbeiten auf dem Zuckerrübenfeld, nur Albert ist nirgends zu sehen. Quandt findet ihn in seiner Wohnung: auf dem Kanapee. Er nimmt ihm die Bodenreform-Urkunde wieder ab.
Quandt macht schnell Karriere
Während der soziale Abstieg der Großgrundbesitzer unaufhaltsam ist, verläuft die Karriere des Bernhard Quandt rasant: 1948 wird er zum Landwirtschaftsminister von Mecklenburg ernannt. 1951 wird er Ministerpräsident des Landes Mecklenburg, nach Auflösung der Länder 1952 Erster Sekretär der SED-Bezirksleitung Schwerin. Zudem ist er ab 1958 Mitglied des Zentralkomitees der SED.
Bis zuletzt von den Maßnahmen überzeugt
Im September 1995 versammeln sich im brandenburgischen Kyritz zahlreiche Menschen, um der Bodenreform zu gedenken. Zu den Rednern gehört auch der 90-jährige Bernhard Quandt. Seine Stimme hat viel von ihrem vollen Klang verloren, seine Erinnerungen aber sind lebhaft wie eh und je. Er hat sie über die Jahrzehnte in allen Funktionen und in vielen Reden immer wieder volksnah zum Besten gegeben, sie haben sich so wenig verändert wie seine politischen Überzeugungen. "Niemals", sagt er, "niemals hat der Kampf der Bauern um ein Stück Land aufgehört." Er fährt fort: "Jetzt spricht man nur von der Bodenreform 1945, aber diese Bodenreform-Bewegung hat ja lange Wurzeln bis weit hinaus. Und diese Wurzeln, das Sehnen nach einem Stück Land, das ist 1945 erfüllt worden." Wie hart und willkürlich zahlreiche Enteignung abliefen, wie ungerecht und schikanös manche Gutsbesitzer behandelt wurden - darüber verliert Bernhard Quandt bis zu seinem Tod im Jahr 1999 kein Wort.