Die Enteignung der Gutsbesitzer nach 1945
Mit der Bodenreform in der Sowjetischen Besatzungszone wurden Tausende Gutsbesitzer enteignet. Betroffene erinnern sich an den Herbst 1945 und die Folgen nach der Wende.
Die Bodenreform im Herbst 1945 gilt in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) als politisches Signal, als rigoroser Strich unter die deutsche Vergangenheit. Enteignet werden Gutsbesitzer, die Anhänger des Nazi-Regimes waren oder sich an Kriegsverbrechen beteiligt hatten, sowie sämtliche Großgrundbesitzer mit Landwirtschaftsbetrieben über 100 Hektar - unabhängig von ihrer politischen Gesinnung. Die Reform trifft damit auch Unschuldige. Zwei Zeitzeugen erinnern sich.
Familie Pätzold - Opfer der Bodenreform
Horst Pätzold ist 18 Jahre alt, als seine Eltern enteignet werden. Sein Vater hatte das 169 Hektar große Gut Bookhorst bei Ribnitz nach dem Ersten Weltkrieg gekauft und Schritt für Schritt abbezahlt - geerbt hatte er nichts. "Solche Menschen haben es durch Intelligenz, Fleiß und ungeheure Energie zu Eigentum gebracht. Viele dieser großen Güter sind von Bürgerlichen bewirtschaftet worden, die mit Leib und Seele Landwirte gewesen sind und sonst gar nichts", sagt Horst Pätzold.
Im Zweiten Weltkrieg müssen Vater und Sohn an die Front. Die Mutter bewirtschaftet weiter den Hof. Am 2. Oktober 1945 - ihr Mann und ihr Sohn sind noch in Kriegsgefangenschaft - ist sie der Bodenreform allein ausgeliefert. Ihr Sohn erzählt: "An diesem Tag hat meine Mutter unter Mitnahme nur eines Bettes, eines Stuhles und eines Tisches unser Gut verlassen müssen. Sie ist zu ihren Eltern in die Magdeburger Börde geflüchtet."
"Ich wusste, ich darf nicht dorthin"
1948 kommt Horst Pätzold aus der Kriegsgefangenschaft zurück, doch er darf nicht nach Hause - er darf sich dem enteigneten Gut, so will es die Reform, nur noch bis auf 30 Kilometer nähern. Einem Freund der Familie, der bei der Landesregierung tätig ist, gelingt es, Horst Pätzold eine Lehrstelle als Landwirt in Blankenhagen zu besorgen. Doch immer wieder kreisen die Gedanken des jungen Landwirts um die verlorene Heimat. Auch, weil in Ribnitz sein verstorbener Bruder begraben liegt. "Ich wusste, ich darf nicht dorthin. Aber ich bin dann heimlich nachts mit dem Fahrrad nach Bookhorst gefahren und habe mich um das Grab gekümmert", erinnert er sich.
Den "Makel", Sohn eines Gutsbesitzers gewesen zu sein, wird er nie mehr los. Trotzdem darf er später in Rostock studieren. Das Gut Bookhorst betritt er erstmals nach der Wende 1989 wieder. Jetzt kann er mit den Bauern sprechen, die er noch aus seiner Jugendzeit kennt.
Zweifel am Rechtsstaat
Die erste frei gewählte Volkskammer der DDR bekennt sich 1990 zur Unantastbarkeit der Bodenreform. 1991 bestätigt das Bundesverfassungsgericht ihre Rechtmäßigkeit. Damit steht fest: Eine Entschädigung wird es für ehemalige Gutsbesitzer und ihre Nachkommen wie Horst Pätzold nicht geben.
Den Hof zurückerhalten, das will der Gutsherren-Sohn auch nicht. Für die Landwirtschaft fühlt er sich mittlerweile zu alt, und seine Kinder haben andere Berufe. Dennoch lässt ihn das Thema nicht los: "Natürlich sehe ich in der Bodenreform aus heutiger Sicht auch eine Maßnahme, den Flüchtlingen damals überhaupt eine Existenzmöglichkeit zu geben. Insofern ist das alles sozial gerechtfertigt gewesen. Nicht zu rechtfertigen allerdings ist bis heute die entschädigungslose Enteignung", sagt Pätzold.
Er holt tief Luft: "Wir haben jetzt den Rechtsstaat. Das Eigentum an Grund und Boden sollte geschützt sein, das ist eine der wichtigsten Prämissen dieses Rechtsstaates. Und deshalb verstehe ich es nicht: Wenn sich die Bundesrepublik nach 1990 anschickt, juristische Willkür, juristisches Unrecht in Recht zu verwandeln, indem sie die Unumkehrbarkeit der Bodenreform propagiert und festschreibt, dann verstehe ich diesen Rechtsstaat nicht. Mir ist völlig klar, dass man die Bodenreform von 1945 nicht zurücknehmen kann. Aber man sollte zumindest den Eigentümern kleinerer Güter, also den Eigentümern, die ihren Grund und Boden selbst bewirtschaftet haben, eine Entschädigung einräumen."
Von Uruguay zurück in die Heimat: Heinrich Graf von Bassewitz
Auch Heinrich Graf von Bassewitz hat keine Entschädigung für das enteignete Familiengut erhalten. Dennoch ist es heute wieder in seinem Besitz. Das 1.400 Hektar umfassende Gut Dalwitz bei Teterow war seit 1349 Eigentum seiner Familie. Am 5. September 1945 wurde sein Großvater, ein gläubiger Christ, der keine Sympathien für das Nazi-Regime gehegt hatte, enteignet. Das Gut wurde unter ehemaligen Arbeitern und Flüchtlingen aus Ostpreußen aufgeteilt.
Der Enkel des Gutsbesitzers kennt das einstige Land seines Großvaters von mehreren Besuchen zu Zeiten der DDR. Nach der Wiedervereinigung erhält er die Möglichkeit, in der Nähe von Dalwitz 100 Hektar Grünland zu pachten. Ein Jahr später entschließen sich er und seine Frau Lucy, die bis dahin in Uruguay lebten, den Neuanfang auf alter Scholle zu wagen. Heinrich Graf von Bassewitz erzählt: "Wir sind 1992 im Frühjahr gekommen, weil mir klar war: Um hier irgendwas zu erhalten, muss ich hierherkommen und selber wirtschaften."
Hilfsbereite Dorfbewohner
Heinrich Graf von Bassewitz kauft das inzwischen völlig marode Gutshaus für symbolische zehn D-Mark von der Gemeinde zurück. Von den Bewohnern des Dorfes sei er von Anfang an unheimlich freundlich aufgenommen worden, erzählt er: "Das Dorf hat uns sehr geholfen. Als wir hier ankamen, war das ja nicht so ganz einfach, in diese Ruine einzuziehen. Man wusste ja gar nicht, wo man anfangen sollte. Wenn da nicht so eine freundliche Dorfgemeinschaft gewesen wäre, wäre das sehr schwierig gewesen. Das hätten wir dann vielleicht auch nicht gemacht, dann hätten wir wahrscheinlich die Zelte nach zwei Jahren wieder abgebrochen. Da habe ich das Glück gehabt, dass mein Großvater hier anscheinend sehr beliebt war."
Inzwischen betreibt von Heinrich Graf von Bassewitz in Dalwitz nicht nur eine Öko-Rinderzucht, sondern züchtet auch Pferde, bietet Urlaub auf dem Lande an und betreibt Waldbau. Rund um den Betrieb haben 23 Menschen Arbeit gefunden. Und mit dem Betrieb, so Bassewitz, lebt auch das Dorf. In der 400-Seelen-Gemeinde gibt es eine evangelische Grundschule, eine Gastwirtschaft, sechs Vereine und anhaltenden Zuzug, erzählt er stolz. Er selbst bekleidet über 20 Ehrenämter. Und obwohl er in vielen Orten auf der Welt gelebt und gearbeitet hat, sagt er ganz klar: "Ich bin Mecklenburger."